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Gelassen durch dir Trotzphase: «Trotzen ist ein Akt der Verzweiflung»

Für Eltern ist die Trotzphase ein Übel, für die Entwicklung des Kindes ist sie unabdingbar. Das Kind lernt seine Gefühle zu kontrollieren und Frust auch mal auszuhalten. Was Eltern jetzt tun können, erklärt Brigitte Saurenmann, Erziehungsexpertin, im Interview. 

So kommen Sie besser durch die Trotzphase.

Auch wenn es anstrengend ist, während der Trotzphase sollten Eltern weiter Grenzen setzen und Ruhe bewahren. Bild: E+

Manchmal genügt ein schlichtes «Nein» von den Eltern und das Kind kriegt einen Wutanfall. Es brüllt, weint oder schlägt minutenlang verzweifelt um sich. Wenn das auch noch in der Öffentlichkeit passiert, fühlen sich Eltern schnell hilflos und peinlich berührt. Dabei bedeutet das nicht, dass ein Kind schlecht erzogen ist, sondern, dass es wahrscheinlich mitten in der Trotzphase steckt. Das ist anstrengend, aber wichtig für die Entwicklung eines Kindes. Denn wie gut es später mit Stress und Frust umgehen kann, entscheidet sich häufig genau jetzt. 

Deshalb braucht es während der Trotzphase aktive Unterstützung von seinen engsten Bezugspersonen. Warum Kinder Trotzanfälle bekommen und was Eltern während eines Trotzanfalles tun und lassen sollten, erklärt Erziehungsexpertin Brigitte Saurenmann im Interview.

Alles Wichtige rund um die Trotzphase

Sie wollen genauer wissen, wann die Trotzphase beginnt oder endet, wann sie am schlimmsten ist und warum Kinder trotzen? In unserem Artikel zur Trotzphase und zum Trotzalter finden Sie alle wichtigen Details.

Frau Saurenmann, viele Eltern fürchten sich ja vor der sogenannten Trotzphase ...

Die Furcht vor der Trotzphase liegt an einem falschen Bild, das sich viele Menschen von ihr machen. Landläufig herrscht die Meinung, Kleinkinder wollten mit ihren Wutanfällen Grenzen austesten und die Geduld ihrer Eltern auf die Probe stellen. Das ist aber nicht der Fall. Eine Trotzreaktion ist keine bewusste Handlung des Kindes. Und plötzlich merkt man vielleicht, dass man sich ganz anders verhält, als man es möchte.

Sondern?

Der Begriff «Trotzphase» ist unglücklich gewählt. Im Alter von eineinhalb und zwei Jahren beginnt ein Kind, einen sehr wichtigen Entwicklungsschritt zu machen: Es erkennt, dass es ein selbstständiges Wesen ist. Es entdeckt sich selbst – und damit sowohl seinen eigenen Willen als auch seine Wirkung auf andere. Es merkt, dass es Einfluss auf das Geschehen um sich herum nehmen kann. Und weil es neugierig ist, will es diese Fähigkeit ausprobieren. Das alles ist zunächst eine notwendige und sehr positive Entwicklung, die Eltern fördern sollten.

Mit welchem Alter kommen Kinder in die Trotzphase?

Mit etwa anderthalb Jahren beginnt das Kind zu entdecken, dass es einen eigenen Willen hat. Wenn dieser durch die Regeln der Eltern eingeschränkt wird, beginnt auch die Trotzphase, in der Kinder den Widerspruch zwischen dem, was sie wollen und dem was sie sollen zum ersten Mal bewusst erfahren. Weitere Details zur Dauer und zur Ausprägung der Trotzphase und dem Trotzalter lesen Sie hier. 

Rebellierende Kleinkinder können aber die Geduld ihrer Eltern sehr auf die Probe stellen.

Sicher. Doch der Trotz ist Ausdruck einer grossen Verzweiflung, die entsteht, wenn ein Kleinkind, den Kopf voller begeisternder Ideen, plötzlich ausgebremst wird, weil eine überlegene Person, zum Beispiel die Mutter, der Opa, die Kindergärtnerin «Nein» sagt. Einerseits möchte das Kind in diesem Fall so gern seinen Plan umsetzen, oft will das Kind es gleichzeitig aber auch dem Erwachsenen recht machen. Dann fühlt es sich hin- und hergerissen. In diesem Alter ist es seinen Gefühlen noch völlig ausgeliefert und kann sie nicht steuern. Es tobt und stampft und weint, weil es nicht weiter weiss – um so mehr, wenn die Kräfte nachlassen, weil es müde ist oder Hunger hat.

Was sollten Eltern besser nicht tun?

Eltern sollten auf keinen Fall während eines Wutanfalls an die Vernunft des Kindes appellieren. Vernünftig denken kann ein Kleinkind noch nicht. Auch Machtkämpfe schaden. Je mehr Erwachsene Überlegenheit demonstrieren, um so verzweifelter wird das Kind. Zum Trotzen gehören immer zwei!

Nachgeben sollten Eltern aber auch nicht, oder?

Nein, das müssen sie auch nicht. Schliesslich haben sie oft gute Gründe, ein Kind in seinem Tun auszubremsen. Es braucht seitens der Eltern Kenntnisse über den Gefühlshaushalt des Kindes, um situationsgerecht zu reagieren und so die Situation zu entschärfen. Gut ist es, dem Kind die Gelegenheit zu geben, im Rahmen einer Auseinandersetzung sein Gesicht zu wahren.

Die Trotzphase ist für Kleinkinder ein Akt der Verzweiflung.

Haben Sie ein Beispiel?

Ja. Letztens sah ich einen Mann mit einer schweren Tasche die Strasse entlang gehen. Das kleine Mädchen, das ihn begleitete, bat ihn, es zu tragen. «Nein», sagte der Vater. «Ich habe schon eine schwere Tasche in der Hand. Ich kann Dich nicht auch noch tragen.» Diese Situation hätte nun zu einem Wutanfall führen können, wenn der Vater nun nicht feinfühlig das Mädchen gefragt hätte: «Sicher bist Du müde?» - «Ja», antwortete das Mädchen. - «Willst Du Dich einen Moment hinsetzen?» - «Ja! » Das Kind setzte sich zwei Sekunden auf den Bordsteinrand, um dann gleich wieder aufzuspringen. Auf die Frage: «Geht es jetzt besser?», antwortete es fröhlich: «Ja! » Und so gingen Vater und Tochter langsam weiter.

Das macht Mut!

Es hilft Eltern sicher zu wissen, dass es sich bei der Trotzphase - wie es der Name schon sagt - nur um eine Phase handelt, also um einen vorübergehenden Zeitraum, der meist im Alter von drei Jahren endet. Dieses Wissen gibt genau die Gelassenheit, die Eltern brauchen, um warten zu können, bis ein Wutanfall vorbei ist.

Gelassenheit und Geduld sind also wichtig.

Auf jeden Fall. Ein Kind braucht Zeit, um auf eine Anweisung reagieren zu können. Sinnvoll ist zum Beispiel zu sagen: «Du kannst noch drei Mal rutschen – dann aber müssen wir den Spielplatz verlassen und nach Hause gehen.» Gut, wenn das Kind lernt, dass Konfliktsituationen grundsätzlich nichts Bedrohliches sind, sondern sich gemeinsam Lösungen finden lassen. Zum Beispiel: «Nein, im Moment kann ich nicht mit Dir meinen Werkzeugkoffer erforschen. Aber nach dem Frühstück können wir zusammen ein paar Nägel in die Platte hauen.» Dann fühlt sich das Kind ernst genommen, kann Erfahrungen und Erfolge sammeln.

Praktische Tipps für Eltern während der Trotzphase

1 Auch wenn das Kind vielleicht einen Trotzanfall bekommt. Geben Sie nicht nach, wenn es vernünftig ist «Nein» zu sagen. Dass Sie jetzt Grenzen setzen ist massgeblich dafür, ob sich Ihr Kind später an Regeln halten wird. Andernfalls lernt es, mit viel Wut bekomme ich, was ich will. 

2 Ein Wutanfall heisst aber nicht, dass Ihr Kind gerade versucht Ihre Grenzen auszutesten. Es will seine Eltern nicht ärgern. Es kann in diesem Moment oft einfach noch nicht anders. Zeigen Sie deshalb Verständnis für seine Gefühle ohne nachzugeben. Auch können Sie Ihrem Kind jetzt kurz und knapp vermitteln, dass es sich ärgern darf, aber, dass es dies ohne Stampfen, Schlagen oder Schreien tun soll. 

3 Lange und tiefgehende Vernunftappelle während eines Trotzanfalles bringen jedoch nichts. Ihr Kind ist in diesem Moment nicht aufnahmefähig. Lassen Sie es zuerst runterkommen und reden Sie anschliessend mit ihm, über die Gründe seiner Wut. Auch eine Umarmung tut Ihrem Kind jetzt gut.
4 Einem Trotzanfall lässt sich auch vorbeugen. Besonders häufig trotzen Kinder nämlich, wenn sie müde, erschöpft, hungrig oder gelangweilt sind. Versuchen Sie beispielsweise gemeinsame Einkäufe am morgen zu erledigen, nehmen Sie immer eine Kleinigkeit zum Essen oder Trinken mit und beziehen Sie Ihre Kinder bei Ihren Aktivitäten mit ein.  
 

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Zur Person

Die ausgebildete Sozialpädagogin und Familientherapeutin führt seit 2008 eine eigene Praxis als Erziehungsberaterin. Brigitte Saurenmann ist spezialisiert auf Babys und Kleinkinder bis sechs Jahren. Neben ihrer Tätigkeit als Erziehungsbeaterin leitet sie Pekip- und Spielgruppen. erziehungsberatung-zh.ch

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