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Konzentrationsschwäche bei Kindern: So lässt sich Konzentration steigern

Einige Kinder schweifen bei den Hausaufgaben in Gedanken immer wieder ab. Das kann zu Spannungen zwischen Eltern und dem Kind führen. Wie sich die Konzentration steigern lässt, weiss der Buchautor Helmut Weyhreter.

Konzentrationsschwäche bei Kindern macht Eltern oft Sorgen.
Hinter einer Konzentrationsschwäche verbirgt sich oft ein Vermeidungsverhalten. Foto: Lisa5201, iStock, Getty Images Plus

Herr Dr. Weyhreter, immer wieder stöhnen Eltern «Mein Kind kann sich einfach nicht konzentrieren!» Was raten Sie Eltern mit Kindern, die eine Konzentrationsschwäche haben?

Dr. Helmut Weyhreter: Erst einmal schaue ich genau hin. Ich frage mich: «Wie zeigt sich diese von den Eltern genannte Konzentrationsschwäche? Kann sich das Kind wirklich nicht konzentrieren – oder konzentriert es sich nur in bestimmten Situationen nicht?» Das ist ein wesentlicher Unterschied! Die meisten Kinder, von denen Eltern annehmen, dass sie eine Konzentrationsschwäche haben, können bei selbst gewählten Beschäftigungen durchaus sehr ausdauernd aufmerksam sein. Das heisst, sie zeigen ausreichend Konzentration, wenn sie sich als erfolgreich erleben. Immer wieder berichten Eltern zum Beispiel, dass ihr Kind stundenlang in sich vertieft mit Lego spielt.

Viele Kinder können sich also konzentrieren, wollen es aber nicht?

Tatsächlich sind nur sehr wenige Kinder gänzlich unfähig zur Konzentration. In den meisten Fällen geht es nicht um eine Konzentrationsschwäche, sondern um wenig vorhandende Anstrengungsbereitschaft oder um Vermeidungsverhalten. Man kann dann auch nicht von «Wollen» oder «Nicht-Wollen» sprechen. Etliche Kinder nehmen in der Schule und bei den Hausaufgaben nur widerwillig Herausforderungen an, arbeiten oberflächlich und hören möglichst rasch wieder auf oder fangen gar nicht erst an, schieben alles vor sich her, unterbrechen immer wieder.

Womit erklären Sie sich die mangelnde Motivation?

Aufgrund der Technik, der Medien, die Kindern heute zur Verfügung stehen, müssen sie nicht viel tun, damit etwas Aufregendes passiert. Sie müssen nur auf den Knopf des Game Boys oder der Fernbedienung des Fernsehers drücken – und schwupp, wechselt das Bild! Kein Wunder, dass Schularbeiten gegen die farbige Welt, die von den Medien präsentiert wird, langweilig wirken! Was fehlt, ist letztlich nicht Konzentration, sondern die Fähigkeit zu warten, Bedürfnisse aufzuschieben, Misserfolge auszuhalten, also wichtige Aspekte von Selbstdisziplin.

Gemeinsam Spielen fördert Konzentration

Gemeinsam Spielen macht nicht nur Spass, es fördert auch die Konzentration. «Zunächst haben aufmerksamkeitsgestörte Kinder oft auch beim Spielen Schwierigkeiten, bei der Sache zu bleiben», weiss Dr. Helmut Weyhreter. Doch gelte es, bei der Sache zu bleiben. Denn Übung macht den Meister.
 
Was Eltern tun können:

  • Orientieren Sie sich bei der Wahl der Spielinhalte zunächst vor allem an den Interessen, den Möglichkeiten und dem Alter Ihres Kindes.
  • Vermeiden Sie es, Ihr Kind zu überfordern. Achten Sie deshalb darauf, dass die gewählten Spiele nicht zu schwierig sind und nicht zu lange dauern.
  • Um die Frustrationen Ihres Kindes in erträglichem Rahmen zu halten, dürfen die Anforderungen an das konzentrationsgestörte Kind nur langsam steigen.
  • Sie sollten auch eigene Interessen nicht völlig ausser Acht lassen, denn das Spielen soll auch Ihnen Freude bereiten.

(Quelle: Konzentrationsschwäche. Wie Eltern helfen können. Von Dr. Helmut Weyhreter)
 
Gleichgültig, ob es sich um ein Gesellschaftsspiel, ein Konstruktionsspiel wie Lego oder Bauklötze, ein Ball-, Rollen- oder Geschicklichkeitsspiel handelt: Jedes Spiel ist geeignet, wenn es Spass macht. Auch gemeinsames Basteln, Vorlesen und das Anschauen von Bilderbüchern fordern und fördern Konzentration.

Greifen hier Konzentrationsübungen?

Konzentrationsübungen machen wenig Sinn. Bei Problemen rund um die Konzentration lässt sich effektiver bei den Eltern ansetzen. Vielen Eltern fehlt die Kraft, Kindern Kontrolle und Struktur zu bieten, Forderungen an die Kinder zu stellen, sie aber auch zu ermutigen, ihnen Selbstvertrauen zu vermitteln, weil sie sich unter prekären Lebensbedingungen durchschlagen müssen. Diese Eltern brauchen Unterstützung und Entlastung, zum Beispiel durch Familienhilfe, Jugendhilfe, Hausaufgabenbetreuung, heilpädagogische Tagesgruppen. Andere Eltern, meist aus der Mittelschicht, tun dagegen zu viel.

Meinen Sie die sogenannten «Helikopter-Eltern»?

Ja, ich denke an die Eltern, die ständig um ihre Kinder kreisen, um diese zu überwachen und zu behüten. Sie wissen genau, welche Hausaufgaben zu erledigen sind, wann Klassenarbeiten geschrieben werden und stellen Zeitlernpläne auf.

«Würde ich mich nicht kümmern, würde gar nichts passieren», wenden sicher manche Eltern ein …

Kinder müssen eigene Erfahrungen machen! Die Förderung von Eigenverantwortlichkeit, von Selbständigkeit aber auch - als ganz zentraler Aspekt - die Förderung von Selbstwert sind ganz wesentliche Erziehungsziele. Sie befähigen dann auch die Kinder und Jugendlichen, eigene Ziele zu entwickeln, Bedürfnisse aufzuschieben, Frustrationen auszuhalten und sich nicht entmutigen zu lassen. Nur wenn Eltern Verantwortung abgeben, können Kinder Verantwortung übernehmen - für das, was sie tun bzw. nicht tun.

Was bedeutet «Verantwortung abgeben» bezogen auf die Hausaufgaben und die eben angesprochene Konzentrationsschwäche?

Eltern sollten sich mit Lehrern kurzschliessen und ihnen mitteilen, dass sie das Kind von nun an die Hausaufgaben eigenverantwortlich machen lassen. Es muss nicht alles richtig sein. In der Schule kann das Kind kontrollieren, was richtig und was falsch ist. Hat es die Hausaufgaben nicht erledigt, muss es die Konsequenzen tragen und das Versäumte nachholen. Etwas anders stellt es sich bei Kindern dar, die Angst haben, zu versagen und massive Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl haben.

«Das kann ich nicht!» hören Eltern oft schon, bevor das Kind die Aufgabe gelesen hat …

Hier ist es wichtig, dass Eltern lernen, ihre Erwartungen zu reduzieren und damit dem Kind Druck zu nehmen und auch wiederum das Kind zur Eigenständigkeit zu ermutigen. Manche Kinder lernen nun einmal langsamer, das gilt es auszuhalten. Gleichzeitig benötigt das Kind Unterstützung: Um Konzentration zu steigern, braucht es Mut und Menschen, die langsame Fortschritte anerkennen. Eltern sollten zusammen mit der Schule nach geeigneten Fördermöglichkeiten suchen.

Zur Person

Dr. Helmut Weyhreter

Dr. Helmut Weyhreter ist seit 35 Jahren als Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut / Kinder u. Jugendlichentherapeut an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Sozialpädiatrisches Zentrum) der Universität Ulm tätig. Er beschäftigt sich (Diagnostik und Beratung) mit Lern-, Leistungs-, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen sowie Adipositas und Diabetes (im Rahmen der endokrinologischen Ambulanz der Kinderklinik). Im August erscheint sein Buch «Konzentration stärken: Lernfähigkeit fördern – entspannter leben» im Urania Verlag.

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