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Wenn ein Kind stirbt: «Was mich trägt, ist mein Glauben an das Leben»

Es widerspricht dem normalen Lebenszyklus. Es überfordert unsere Vorstellung. Wenn ein Kind stirbt, bricht für viele Eltern die Welt zusammen. Sabine Shah hat das erlebt. Aber sie hat auch viel Kraft aus dem Tod ihrer Tochter geschöpft. Heute möchte sie mit ihrer besten Freundin Elisabeth Schäfer an ihrer Seite betroffenen Eltern Mut machen.

Wenn ein Kind stirbt, bleibt das Babybett leer.
Das Babybett bleibt leer: Sabine Shahs Tochter Jasmina ist trotzdem noch Teil der Familie. Foto: iStockphoto, Thinkstock

Wer Sabine Shah kennen lernt, mag gar nicht glauben, was sie Anfang dieses Jahres durchgemacht hat. Ihre Augen strahlen, während sie über ihre Zukunftsprojekte spricht. Sie lacht aus vollem Herzen, weil ihre Freundin sie an ein komisches Ereignis erinnert. Und sie spricht stolz und glücklich über ihre verstorbene Tochter, obwohl deren Tod nur wenige Monate zurück liegt.

Statt nach dem Tod ihrer Tochter Jasmina im Februar dieses Jahres in ein tiefes Loch zu sinken, hat sie ihn als «Entwicklungschance» begriffen, wie sie sagt. «Was mich trägt, ist mein Glauben an das Leben und die Liebe, aber nicht im religiösen Sinn», erklärt Sabine Shah ihren eigenen Lebensmut. So paradox es klingen mag, der Tod von Jasmina hat ihr das gezeigt. Kurz nachdem sie ihre Tochter verabschieden musste, gründete die Baslerin die Jasmina Soraya Organisation. Eine Organisation, die Eltern, deren Kinder im Sterben liegen oder die ihr Kind verloren haben, helfen will. Mit Beratung, Gesprächen und Unterstützung im Alltag.

Jasmina litt an Spinaler Muskelatrophie

Jasmina war ein kerngesundes Mädchen, als es im April 2011 auf die Welt kam. Ein aufgewecktes Baby, das sich aber auch von seiner ruhigen Seite zeigen konnte. Die ersten sechs Monate ihres Lebens waren sorgenfrei. Bis die Eltern feststellten, dass sie ihren Kopf nicht richtig drehen konnte. Die Diagnose Spinale Muskelatrophie war ein Schock. «Da ist mir der Boden unter den Füssen weggezogen worden», sagt Sabine Shah. Der Arzt erklärte, dass Jasmina im schlimmsten Fall eine Lebenserwartung von einem Jahr hätte. Denn die unheilbare Krankheit geht mit einem Muskelschwund einher, wovon auch die Atemmuskulatur betroffen sein kann.

Die Familie versuchte alles, um ihr das Leben so leicht wie möglich zu machen. Sie gingen zum Babyschwimmen, zur Physiotherapie, machten Solebäder und Massagen. «Mir war wichtig, dass sie sich wohl fühlt», sagt Sabine Shah. An Weihnachten glaubten die Eltern an einen Lichtblick. Die damals acht Monate alte Tochter beschenkte sie trotz Krankheit mit ihren ersten Sitzversuchen.

Die schwerste Woche im Leben

Im Januar 2012 aber musste Jasmina wegen einer Lungenentzündung sofort ins Spital. Mit einem Puls von 200 habe sie um ihr Leben gekämpft, erinnert sich Sabine Shah. Erfolgreich. Nach fünf Tagen durfte sie zurück nach Hause. Doch schon wenige Wochen später war die Mutter wieder mit ihr im Spital. Die zweite Lungenentzündung machte Jasmina und Sabine Shah sehr zu schaffen: «Es war die schwerste Woche meines Lebens». Als ihre Tochter nachts in ihren Armen einschlief und zu atmen aufhörte, um kurz darauf wieder Luft zu holen, fuhren die Gefühle bei Sabine Shah Achterbahn: «Sie können sich nicht vorstellen wie das ist, wenn man erst glaubt, das Kind stirbt und dann bekommt man einen weiteren Tag mit ihm geschenkt.»

Elisabeth Schäfer und Sabine Shah wollen Menschen Mut machen, die ein Kind verloren haben.
Elisabeth Schäfer und Sabine Shah wollen Menschen, die ein Kind verloren haben, Mut machen. Foto: Jessica Buschor

Am 3. Februar ist Jasmina «zurück ins Licht» gegangen. «Es war wunderschön, aber todtraurig zugleich», beschreibt Sabine Shah ihre Gefühle. Jeden Abend schaut sie seitdem gemeinsam mit ihrem bald vierjährigen Sohn und ihrem Mann in den Sternenhimmel, um das Leuchten der Tochter zu sehen. Wenn es gewittert, sagt Sabine Shah ihrem Sohn, dass Jasmina gerade Disko macht. Als es einmal einen besonders schönen Sonnenuntergang gab, war er davon überzeugt, dass es Jasmina für ihn gemacht hatte. Wenn er seine Schwester vermisst, setzt er sich auf den Boden, wird ruhig und legt eine Hand auf seinen Bauch, so wie es seine Mutter ihm gezeigt hat. Dann fühlt er ein leichtes Pochen und sagt: «Mami, ich habe sie gespürt.»

Im Haus der Familie steht eine Gedenkvitrine mit den Spielsachen von Jasmina. Am Anfang war auch der Stuhl der Tochter immer mit am Tisch. Darin sass ein Engel. «Sie ist immer noch ein Teil unserer Familie», sagt Sabine Shah. Doch so öffentlich über das Sterben zu reden, das ist ihre persönliche Art, den Tod zu verarbeiten. Ihr Mann geht mit seiner Trauer anders um. Beide sprechen oft über ihre Gefühle, aber jeder darf seinen eigenen Verarbeitungsprozess durchlaufen.

Tabuthema Tod

«Ich möchte das Tabuthema „Abschied vom eigenen Kind nehmen“ brechen», erklärt Sabine Shah ihre Motivation. Sie will für ihre Jasmina Soraya Organisation ein Netzwerk von Müttern und Vätern aufbauen, die Ähnliches erlebt haben. Mehrere Eltern haben bereits ihr Interesse bekundet. Weitere bringt sie aus ihrem eigenen Netzwerk mit. Sabine Shah führt eine Beratungsfirma für Burnout-Betroffene, kennt dadurch viele Familien-  und Paartherapeuten.

Unterstützung erhält sie von ihrer besten Freundin Elisabeth Schäfer. «Jasmina ist für mich wie ein eigenes Kind», sagt Schäfer, die selbst keine Kinder bekommen konnte. Sie legt ein Foto der Kleinen auf den Tisch. «Sie ist immer bei uns.» Obwohl ihr der Tod von Jasmina unglaublich nah ging, strahlt sie wie ihre Freundin Lebensfreude aus.     

Elisabeth Schäfer hat in der Nacht nach dem Tod von Jasmina ein Kinderbuch geschrieben. Es ist eine Geschichte über das Sterben mit Happy End geworden. «Möge diese Buch helfen, betroffenen Kindern, Eltern und Erwachsenen ihre Angst vor dem Tod zu nehmen», heisst es im Abspann. Dieser Wunsch hat sich bereits erfüllt. Mittlerweile erscheint es in der zweiten Auflage. Ein Teil des Erlöses ist für die Jasmina Soraya Organisation vorgesehen.

Lebenskraft tanken

Mut machen, Trost spenden und die Angst vor dem Sterben nehmen: Beide Frauen verfolgen ein ehrgeiziges Ziel. Sie wollen nicht missionieren, aber den ein oder anderen Betroffenen aus der Opferrolle holen und ihm zeigen, was es bedeutet Lebenskraft zu tanken.

Obwohl Sabine Shah und ihre Freundin Elisabeth Schäfer so positiv in die Zukunft schauen, haben beide natürlich auch schwierige Zeiten. Dann fliessen Tränen. Dann vermissen sie Jasmina unheimlich. Dann sind sie aber füreinander da. «In guten und in schlechten Zeiten», wie Elisabeth Schäfer versichert.

Weiterführende Informationen

  • Die Jasmina Soraya Organisation finden Sie unter www.jasminasoraya.ch
  • Das Kinderbuch «Tody & Angelina» über das Sterben und Abschied nehmen kostet CHF 29.90 und kann bei Elisabeth Schäfer unter tody-angelina@gmx.ch bestellt werden.

 

Haben Sie auch ein Kind verloren? Wie haben Sie getrauert? Schreiben Sie uns. Hier geht es zum Kommentarbereich.

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