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Komasaufen: Trinkt mein Kind zu viel?

Saufgelage, Alkoholexzesse und Komasaufen. Immer wieder hört man davon. Während Jugendliche ihre Grenzen ausloten, sind Eltern bereits an sie gestossen. Yves Wetli von der Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme erzählt im Interview, was Eltern tun können, wenn ihr Kind trinkt und wieso sie es nicht verbieten sollten.

Komasaufen: Mädchen gehen aus
«Verbote sind meist kontraproduktiv, die Jugendlichen finden so oder so den Zugang zum Alkohol.» Foto: Michael Blann, Digital Vision, Thinkstock

Wer kommt zu Ihnen, zur Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme?

Yves Wetli: Zu uns kommen Jugendliche sowie Eltern. Eltern, die zum Beispiel selbst ein Alkoholproblem haben und dabei Unterstützung für ihre Kinder suchen oder Eltern von Jugendlichen, welche einen problematischen Umgang mit Alkohol aufweisen. Es nehmen aber auch Verwandte und Bekannte von Betroffenen mit uns Kontakt auf.

Wie nehmen die mit Ihnen Kontakt auf?

Die Betroffenen melden sich meistens telefonisch oder per Mail bei der ZFA. Andere hingegen kommen direkt zu uns, um einen Termin zu vereinbaren.

Mit einem Alkoholiker assoziiere ich einen männlichen Mittvierziger. Ist das ein Trugschluss?

Nein, dieses Bild, was Sie von einem Alkoholiker haben, hat seine Berechtigung. Denn der Anteil meiner männlichen Klientel überwiegt. Zudem sind sie vielfach in dieser Alterskategorie. Trotzdem sind Menschen aller Altersklassen und beider Geschlechter betroffen.

Es sind also gar nicht vermehrt die Jugendlichen, die den Alkoholgenuss überstrapazieren?

Nein, die Trinkexzesse an den Wochenenden mögen dies suggerieren, doch an und für sich sind es eher die Personen um die 40 Jahre mit chronischer Alkoholsucht.

Wieso ist das Komasaufen bei Jugendlichen so beliebt?

Jugendliche experimentieren aufgrund ihrer Entwicklung und loten dabei Grenzen aus. Sie überschätzen sich häufig, werden jedoch auch von Ängsten, Hemmungen und Zweifel betreffend ihres Aussehens und ihrer Wirkung auf andere heimgesucht. Dort hilft der Alkohol, durch seine enthemmende und angstlösende Wirkung – aber eben auch nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn sie es übertreiben, schlägt es ins Gegenteil um: sie ecken an und wirken im betrunkenen Zustand unattraktiv. Zusätzlich ist es der Gruppendruck, der eine sehr starke Wirkung auf die Jugendlichen ausüben kann.

Ist das Komasaufen am Wochenende bereits ein Alkoholproblem?

Ein Problem ist es schon, denn das ist ein riskanter und schädlicher Gebrauch. Dass der bei Jugendlichen vorkommen kann, ist nicht selten. Denn in dieser Lebensphase werden Grenzen in jeglicher Hinsicht ausgelotet, experimentiert, und das ist auch wichtig. Die Frage ist natürlich, in welchem Ausmass das geschieht und ob es zudem ein Mischkonsum ist, also Alkohol mit anderen Drogen. Es handelt sich aber auch um ein Alkoholproblem, wenn durch den Alkoholkonsum am Wochenende Probleme in Schule, im Beruf oder in der Familie entstehen. Problematisch ist es ebenfalls, wenn der exzessive Konsum der Problemverdrängung dient. Von einer Alkoholabhängigkeit muss hier aber noch nicht zwingend die Rede sein.

Ist das Komasaufen am Wochenende riskanter als der tägliche Konsum?

Das kann man nicht so pauschal sagen. Wir bei der ZFA beurteilen den Alkoholkosum einer Person mit Hilfe von Standardeinheiten. Eine Standardeinheit ist eine Stange Bier (3dl), ein Glas Wein (1dl) oder ein Alcopop wie zum Beispiel Smirnoff Ice oder Bacardi Breezer. Konsumiert ein gesunder Mann ein bis drei Standardeinheiten pro Tag mit zwei Tagen Abstinenz pro Woche – wirkt der Toleranzbildung und körperlichen Abhängigkeit entgegen –, wird er bei uns noch als risikoarm eingestuft. Werden jedoch mehr als drei Standardeinheiten getrunken, sprechen wir von einem schädlichen Gebrauch, bei mehr als fünf SE von Rauschtrinken. Dabei besteht die Gefahr einer Alkoholvergiftung die zu Koma oder Tod führen kann.

Gilt das auch für Frauen und Jugendliche?

Nein. Bei Frauen – aufgrund des geringeren Wasseranteils im Körper sowie dem Stoffwechsel, der Alkohol weniger gut verarbeiten kann – sollten es nur eins bis zwei Standardeinheiten sein. Das gilt theoretisch auch für Jugendliche. Doch angesichts der psychischen und physischen Entwicklung eines Jugendlichen sollte vor dem 19. Lebensjahr kein Alkohol konsumiert werden. Denn Alkohol hat einen schädlicheren Einfluss auf den jugendlichen, noch in der Entwicklung steckenden Körper. Zudem wird der Alkohol als Zellgift bei ihnen weniger gut abgebaut.

Also sollten Eltern ihren Kindern das Trinken bis zum 18. Geburtstag untersagen?

Nein, denn Verbote sind meist kontraproduktiv und die Jugendlichen finden so oder so den Zugang zum Alkohol.

Ist denn sinnvoller, die Jugendlichen einfach trinken zu lassen?

Nein, auch das wäre zu kurz gegriffen. Jugendliche sollen zwar ihre Erfahrungen machen dürfen, jedoch ist es auch wichtig ihnen in einem offenen Gespräch zu vermitteln, dass Alkoholkonsum im Jugendalter schädlicher ist als der Konsum bei Erwachsenen. Zudem ist es wichtig, sie darauf aufmerksam zu machen, dass der Alkohol noch andere Risiken birgt als das Gift, was darin steckt. Denn durch den Alkohol wird auch die Bereitschaft zu Gewalt erhöht und Unfälle werden wahrscheinlicher.

Wenn ich meinem Kind Alkoholkonsum nicht verbieten soll, aber auch nicht alles durchgehen lassen, stellt sich mir die Frage, wie viel Alkohol noch vertretbar ist?

Also von Hochprozentigem sollte auf jeden Fall nur wenig, besser gar nicht konsumiert werden. Auch Standardeinheiten dürfen Jugendliche nur mit Bedacht trinken: prinzipiell nie mehr als fünf aufs Mal. Ausserdem sollte nach jedem alkoholischen Getränk ein Nonalkoholisches getrunken werden. Die Bereitschaft der Eltern müsste auch da sein, ihren Sohn oder ihre Tochter nach Hause zu fahren, wenn es ihnen nicht mehr gut geht. Es ist zudem ratsam, das übermässige Trinken des Jugendlichen erst am nächsten Morgen offen zu thematisieren: wenn der Rausch ausgeschlafen und die verständliche Sorge und der Ärger der Eltern etwas abgeklungen ist.

Sollten Eltern vor den Kindern keinen Alkohol trinken?

Ich denke, das nützt nichts. Der Jugendliche kommt trotzdem in Kontakt mit Alkohol. Das ist eine Illusion zu hoffen, es werde nie passieren. Wenn die Eltern nicht trinken, ist das gut, wenn sie massvoll trinken, auch nicht zu verurteilen. Denn massvoller Genuss sensibilisiert die Jugendlichen auf einen bedachten Umgang mit Alkohol.

Und wenn bereits der 13-jährige Sohn vom Wein probieren möchte?

Dann lässt man ihn probieren. Doch die meisten Kinder mögen es sowieso nicht. Es ist wichtig in dieser Zeit das Thema bereits offen zu kommunizieren. Man erklärt ihnen zum Beispiel, dass es für Kinder und Jugendliche giftig und gefährlich ist. Jedoch ist es natürlich nicht geschickt, Alkohol einfach herumstehen zu haben.

Wenn der Alkoholkonsum aus dem Ruder läuft, kommt die ZFA ins Spiel. Wie läuft so eine Beratung ab?

Die erste Frage ist: Wie viel trinkt der Jugendliche? Trinkt der Jugendliche aus reiner Neugierde, hat die Beratung einen aufklärenden Charakter und ist von kurzer Dauer. Ich erkläre dann zum Beispiel: Was macht der Alkohol mit dir? Wie kannst du in der Gruppe lernen, nein zu sagen? Wie kannst du den Konsum verringern? Da regelmässiger und übermässiger Alkoholkonsum aber kein isoliertes Problem ist – das Alkohol-Problem rührt meistens von einem anderen Problem her –, stellen sich andere Fragen: Gibt es Probleme in der Schule oder Schwierigkeiten mit den Eltern oder psychische Probleme? Eine solche Beratung hat dann therapeutischen Charakter, ist intensiver und dauert länger.

Kommen die Jugendlichen von selbst zu Ihnen?

Einige kommen aus Eigeninitiative, weil sie Fragen haben.  Zum Beispiel: Trinke ich zu viel? Manche machen einen sogenannten «Alcocheck» auf unserer Webseite. Und aufgrund des Resultats im Test melden sie sich vielleicht. Ein anderer Zugang ist über die Eltern, die sich melden sowie Sozialarbeiter und Lehrer, Arbeitgeber oder die Jugendanwaltschaft.

Welcher Fall ist Ihnen persönlich sehr nahe gegangen?

Ein Jugendlicher, der regelmässig exzessiv trank, kam von sich aus zu mir. Er wollte wissen, was es mit dem Alkohol auf sich hat und wie er lernen kann, weniger zu trinken. Er war auch in der Rolle – die man übrigens bis ins Erwachsenenalter mit sich zieht – des am meist Trinkenden. Der Jugendlliche hat gemerkt, dass er vor ein paar Jahren in gewissen Bereichen eigentlich sehr erfolgreich war, bevor er mit dem regelmässigen Alkoholkonsum anfing. Durch die Selbstreflexion bemerkte er, was ihm der Alkohol genommen hatte. Das war sehr eindrücklich.

Was hat ihm der Alkohol denn genommen?

Der Jugendliche war ein fleissiger und sehr erfolgreicher Schüler, dessen Ziel das Gymnasium und ein späteres Studium war. Die schulische Leistung ging aber durch den häufigen, exzessiven Alkoholkonsum zurück. Auch im Fussball, in dem er grosses Potenzial hatte und ambitioniert trainierte, schwand seine Motivation und er hörte schliesslich damit auf.

Was ist, wenn die Eltern zu Ihnen kommen, aber die Jugendlichen völlig abblocken?

Dann ist es schon schwierig. Ich kann die Jugendlichen nicht zwingen, dass sie kommen. Man kann die Eltern gewissermassen unterstützen, damit sie ihr Kind für eine Beratung überzeugen können.

Können sich auch Eltern melden, ohne dass das Kind miteinbezogen wird?

Auf jeden Fall. Es kann sein, dass nur die Eltern wissen wollen, wie sie damit umzugehen haben. Die Eltern aufzuklären, wie sie sich am besten verhalten, ist eine wichtige Funktion von uns.

Wann sollten sich Eltern bei der Alkoholfachstelle melden?

Kommunizieren ist das A und O. Wenn die Gespräche aber nicht konstruktiv sind oder nur vermeintlich konstruktiv, sprich das Kind am nächsten Wochenende wieder übermässig viel Alkohol konsumiert, ist der Weg zu uns sicherlich nicht falsch. Sie sollten uns auch konsultieren, wenn sie das Gefühl haben, sie hätten zu wenige Informationen oder wenn zu viele Emotionen im Spiel sind.

 

Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme

 

Komasaufen: Yves Wetli
Yves Wetli, Berater bei der ZFA, Psychologe lic. psych

Die ZFA ist für in Zürich wohnhafte Jugendliche bis 23 Jahre unentgeltlich. Für Erwachsene ist es einkommensabhängig und sie müssen in der Stadt Zürich wohnhaft sein oder in einem städtischen Betrieb arbeiten. Doch Beratungsstellen gibt es auch in anderen Bezirken des Kantons.

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