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Wachstumsstörungen: Zu klein bei der Geburt

Wenn ein Baby zu klein oder zu leicht zur Welt kommt, machen sich viele Eltern Sorgen über die weitere Entwicklung ihres Kindes – nicht zu Unrecht. Denn Wachstumsstörungen beim Ungeborenen können sich ein Leben lang auswirken.

Wachstumsstörungen - ein Problem mit vielen Ursachen
Die meisten zu klein geborenen Kinder holen ihren Wachstumsrückstand in den ersten zwei Lebensjahren auf. Wachstumsstörungen können viele Ursachen haben. Foto: Handemandaci, iStock, Thinkstock

In der Schweiz werden jährlich rund 2’500 Kinder geboren, die für ihr Gestationsalter – das Alter ab dem Zeitpunkt der Befruchtung – zu klein oder zu leicht sind. Die Tendenz ist steigend. Der häufigste Grund dafür ist eine Unterversorgung des werdenden Kindes mit Nährstoffen aufgrund einer eingeschränkten Plazentafunktion, die bei älteren werdenden Müttern häufiger auftritt.

Wachstumsstörungen bei älteren Schwangeren

In den letzten Jahrzehnten ist das Durchschnittsalter der Mütter bei der ersten Geburt schweizweit angestiegen und liegt mittlerweile bei rund 32 Jahren. Damit hat auch die Zahl der Kinder zugenommen, die bei der Geburt zu klein oder zu leicht sind. Ältere Schwangere leiden häufiger an Schwangerschaftskomplikationen als jüngere. So können zum Beispiel Nierenstörungen, Schwangerschaftsvergiftung, Blutarmut oder chronische Infektionen der werdenden Mutter das Wachstum des Fötus beeinträchtigen.

Mehr Risiken bei Zwillingen

In den letzten Jahren ist die Anzahl der Zwillingsgeburten in der Schweiz gestiegen. Einerseits werden ältere Frauen häufiger auf natürliche Weise mit Zwillingen schwanger, andererseits kommt es durch Kinderwunsch-Behandlungen vermehrt dazu. Zwillinge haben ein grösseres Risiko für eine ungenügende Nährstoffversorgung als Einlinge und sind deshalb vergleichsweise häufig von Wachstumsstörungen in der Schwangerschaft betroffen.

Weitere Faktoren für Wachstumsverzögerung im Mutterleib

Oft sind Mütter von zu klein oder zu leicht geborenen Kindern ebenfalls zu klein oder zu leicht zur Welt gekommen. Nicht zuletzt wird das Wachstum des werdenden Kindes auch durch Alkoholkonsum und durch Rauchen verzögert.

Wie gross wird unser Kind?

Die Grösse des Kindes wird vor allem genetisch beeinflusst und lässt sich mit folgender Formel errechnen:

Für Mädchen: Grösse von Vater und Mutter addieren und halbieren, davon 6,5 cm abziehen.

Für Jungen: Grösse von Vater und Mutter addieren und halbieren, dazu 6,5 cm addieren.

Lebenslange Auswirkungen

Doch was genau geschieht im Bauch? Mit dieser Frage hat sich der Hormon- und Wachstumsspezialist Prof. Urs Eiholzer vom Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrum Zürich PEZZ intensiv beschäftigt. Er erklärt: «Wenn der Fötus während der Schwangerschaft nicht genügend Nährstoffe erhält, entwickelt er eine Überlebensstrategie und konzentriert sich auf Kosten des Wachstums auf die Versorgung der lebenswichtigen Organe.» Der Körper des Fötus passt sich sozusagen einer «Hungersnot» an und lernt, mit möglichst wenigen Nährstoffen auszukommen.

Das Problematische an Wachstumsstörungen in der Schwangerschaft ist die Tatsache, dass sich der Stoffwechsel lebenslang umstellt. Das kann laut Urs Eiholzer zu gesundheitlichen Problemen führen, denn Kinder, die zu klein und oder zu leicht zur Welt kommen, haben weniger Muskeln, sind weniger aktiv und später anfälliger für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall.

Ungenügendes Wachstum behandeln

Die meisten zu klein geborenen Kinder holen ihren Wachstumsrückstand in den ersten zwei Lebensjahren auf. Rund zehn Prozent der Betroffenen tun dies jedoch nicht. «Bei diesen Kindern ist es speziell wichtig, das Wachstum regelmässig zu kontrollieren und die Werte auf der Wachstumskurve einzutragen», erklärt Urs Eiholzer. Seit 2008 können Kinder mit einem zu leichten Geburtsgewicht oder zu kleiner Geburtslänge, die diesen Rückstand bis zum vierten Lebensjahr nicht aufholen, mit Wachstumshormon behandelt werden. Studien belegen, dass diese Kinder auf zusätzliches Wachstumshormon angewiesen sind, um normal zu wachsen. Dank der Behandlung erreichen sie im Erwachsenenalter (nahezu) die Grösse, die genetisch durch die Grösse der Eltern vorgegeben ist.

Normales Wachstum

In den ersten zwei Lebensjahren ist es nicht ungewöhnlich, wenn Kinder die Wachstumskurven (Perzentilen) durchkreuzen. Ab dem dritten Lebensjahr bis zum Beginn der Pubertät sollte das Kind jedoch regelmässig und innerhalb seines Perzentilenkanals wachsen.

Wachstumsstörungen – ein Problem mit vielen Ursachen

Das Wachstum des Kindes kann auch nach der Geburt aufgrund verschiedener Ursachen gestört werden. Dazu zählen diverse chronische Erkrankungen wie hormonelle Probleme (z.B. Schilddrüsenprobleme, Wachstumshormonmangel), genetische Grundleiden (z.B. Ullrich-Turner oder Prader-Willi-Syndrom), eine Bindegewebs- und Knochenstoffwechselstörung. Nicht zuletzt kann sich auch eine ungenügende Nährstoffzufuhr oder -aufnahme (z.B. Glutenunverträglichkeit) negativ auf die Grösse auswirken. Manche Kinder sind jedoch klein, weil ihre Entwicklung verzögert ist – sogenannte Spätzünder. Diese Kinder kommen später in die Pubertät und haben länger Zeit zum Wachsen. Da die Gene das Wachstum wesentlich beeinflussen, müssen sich kleine Eltern bewusst sein, dass auch ihr Kind im Erwachsenenalter eher klein sein wird.

Ein Rennen gegen die Zeit

Welcher Grund auch immer für eine Wachstumsstörung verantwortlich ist - der Faktor Zeit spielt bei deren Behandlung eine zentrale Rolle, denn das Wachstum kann nur bis zur Pubertät beeinflusst werden. Da Kinder, die zu klein oder zu leicht geboren wurden, früher in die Pubertät kommen als Gleichaltrige, und ihr Wachstum somit früher abgeschlossen ist, sind eine frühe Abklärung und eine entsprechende Behandlung ausschlaggebend für den Erfolg. Für gesunde kleine Kinder von kleinen Eltern gibt es keine Behandlungsmöglichkeit.

Benachteiligte Mädchen

Dr. med. Beatrice Kuhlmann Kinder-Hormonspezialistin in einer Kinderarzt-Praxis in Basel und am Kantonsspital Aarau, bemerkte kürzlich, dass etwa 75% der wegen Kleinwuchs abgeklärten Kinder männlich sind. Die Expertin erklärt: «Leider ist es auch heute noch so, dass viele das Gefühl haben, ein Mann müsse gross sein. Wenn eine Frau klein ist, wird dies oft bagatellisiert. Das ist jedoch gefährlich, denn es führt dazu, dass auch in der Schweiz kleine Mädchen nicht rechtzeitig abgeklärt werden und ihnen eine Therapie vorenthalten bleibt.» Immer wieder erlebt die Spezialistin, dass kleingewachsene Mädchen erst im Teenageralter zu ihr in die Praxis kommen. «Diese Mädchen haben keine Chance mehr, ihren Wachstumsrückstand ganz aufzuholen.»

App zur Überwachung von Grösse und Gewicht

Das Pädiatrisch-Endokrinologische Zentrum Zürich PEZZ hat mit «child-growth» eine Gratis-App für iPhone, iPad und Androids entwickelt, mit der sich das Wachstum eines Kindes überwachen lässt. Anhand der Messdaten ermittelt die App, wie gross und schwer ein Kind im Vergleich mit dem Durchschnitt der gleichaltrigen Kinder ist. Störungen lassen sich so frühzeitig erkennen.

Im Apple Store

Google Play (android)

 

SGA - Mangelgeburt: Ursachen, Risiken, Therapie

Buchtipp

«SGA – Mangelgeburt: Ursachen, Risiken, Therapie», Prof. Dr. med. Urs Eiholzer, Karger-Verlag.

von Susanna Steimer Miller

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