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Wochenbett-Depression: Eine betroffene Mutter erzählt

Nina liebte ihren Sohn von Anfang an. Trotzdem war sie mit der neuen Aufgabe als Mutter und der Verantwortung für ein Baby auf Dauer völlig überfordert. Ihre Ärzte diagnostizierten eine postnatale Depression, besser bekannt als Wochenbett-Depression. Familienleben hat sie erzählt, wie ihr eine Therapie und eine Selbsthilfegruppe neue Kraft gab.

Frauen, die eine postpartale Depression haben, sind oft traurig.
Mütter, die an einer Wochenbett-Depression leiden, fühlen sich oft überfordert. Foto: iStock

Leon* war nicht geplant. Ich wurde schwanger, da kannten mein Partner und ich uns noch nicht lange. Gerade hatte ich meinen Job gekündigt. Es war der völlig falsche Zeitpunkt für ein Kind. Ich hatte überlegt abzutreiben, weil ich mir nicht sicher war, ob mein Partner der richtige für mich ist. Als ich aber in der Vorsorgeuntersuchung das Herzli im Monitor schlagen sah, baute ich ein Gefühl zu meinem Baby auf. Ausserdem wollte ich schon immer Mutter werden. Ich bin Mitte 30 und werde nicht jünger. Da dachte ich, doch, wir schaffen das!

Mutterseelenallein

Ich habe Leon von Anfang an sehr gern gehabt; anders als andere Mütter mit postpartaler Depression, die kein Gefühl zu ihrem Baby aufbauen können. Aber ich war wütend auf das, was das Muttersein mit sich brachte: tagsüber mit dem Baby völlig allein zu sein und die Verantwortung für das Kind zu tragen. An Leons Entwicklung konnte ich mich nicht richtig erfreuen.

Hilfe für Mütter: Verein postnatale Depression Schweiz

Von einer postpartalen (auch postnatalen) Depression sind pro Jahr etwa 15 Prozent der Frauen in der Schweiz betroffen. Typische Symptome sind ambivalente Gefühle dem Kind gegenüber, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und Traurigkeit. Der Verein postnatale Depression will über die Krankheit aufklären: www.postnatale-depression.ch

«Ich würde nie mehr stillen. Das war nur Stress für mich»

Es war sehr schwierig für mich zu stillen. Erstens war es schmerzhaft, weil ich Entzündungen hatte und Medikamente nehmen musste. Zweitens war ich mir nicht sicher, ob ich ihn stillen wollte. Ich wurde überredet: von meinem Partner, der Hebamme und der Mutter meines Partners, die Stillberaterin ist. Es kostete so viel Energie.

In der Öffentlichkeit konnte ich nicht stillen. Weil das Stillen so lange dauerte, hatte ich nur etwa eine halbe Stunde Zeit, um mal aus dem Haus zu gehen. Ich fühlte mich wie im Gefängnis. Als Leon drei Monate alt war, bekam ich eine Magen-Darm-Grippe. Weil ich keine Milch mehr hatte, musste er den Schoppen nehmen. Danach wollte ich nicht mehr stillen. Das gab sehr viel Streit mit meinem Partner. Für ihn war es sehr schlimm, dass ich abstillte. Er dachte, dass sei sehr schlecht für das Baby. Es wird eine grosse Sache um das Stillen gemacht. Ich würde nie mehr stillen. Das war nur Stress für mich.

«Ich dachte, ich tue dem Kind noch was an»

Obwohl ich mich besser fühlte, weil ich jetzt längere Zeit mit Leon raus gehen konnte, blieben die Überforderungsgefühle. Ich musste so viel weinen. Mein Partner und ich stritten uns in dieser Zeit viel. Ich wurde wütend auf ihn und auf Leon. Wegen Kleinigkeiten: weil er weinte, den Brei nicht essen wollte oder Sachen runterschmiss. Ich bin regelrecht explodiert. Manchmal musste ich aus dem Zimmer raus, schrie ins Kissen, weil ich so wütend auf ihn war und Gewaltphantasien hatte. Ich hätte ihn aus dem Fenster schmeissen oder an die Wand schlagen können. Ich war so erschrocken vor mir selbst. Ich dachte, ich tue dem Kind noch was an.

Das mag paradox klingen, aber für mich war es schwer Leon an andere abzugeben. Ausser an meine Mutter. Es tat gut bei ihr zu sein, weil ich dann nicht allein mit ihm war und ich konnte mich auch mal hinlegen und ausruhen. Aber wahrscheinlich reichte das nicht aus, um die postpartale Depression aufzuhalten.

Bevor Leon auf der Welt war, hatte ich viel gearbeitet, Sport gemacht, war oft im Ausgang gewesen. Meine Freundinnen hatten alle keine Kinder. Einige Freundschaften habe ich durch die Geburt verloren. Eine Freundin sagte: Sie verstehe mein Problem nicht, sie kenne andere Mütter, die nehmen das locker. Mit denen könne man sich zum Mittag in der Stadt treffen, die nehmen das Kind einfach mit. Warum das bei mir so ein Aufwand wäre. Ich aber hatte in den Trams Panikattacken. Mich hat es schon gestresst, wenn Leon im Tram anfing zu weinen.

«Es war gut zu hören, dass es anderen auch so geht»

Die Panikattacken waren der Grund, warum ich so dringend in die Klinik musste. Ich hatte Herzrasen und konnte schlecht atmen. Ich dachte, das sei was Organisches. Als Leon ein Jahr alt war, kam ich für drei Monate auf die Mutter-Kind-Station des Spitals Affoltern am Albis, die Frauen mit psychischen Erkrankungen und postpartalen Depressionen aufnimmt. Leon wurde pro Tag für fünf Stunden in der Krippe betreut. Ich hatte in der Zwischenzeit Therapie. Was mir sehr viel half, waren die Gesprächstherapien, die Techniken zu lernen, mich zu beruhigen und die anderen Frauen. Es war gut zu hören, dass es anderen auch so geht.

Das hatte ich schon wenige Wochen zuvor in einer Selbsthilfegruppe für Frauen mit postnataler Depression gemerkt. Ich fühlte mich so verstanden. Das war eine Erleichterung. Die anderen Frauen hatten sehr gute alltagsnahe Tipps. Zum Beispiel wegen meiner Angst plötzlich zu sterben, jemanden regelmässig anzurufen, der sich im Notfall um Leon gekümmert hätte. Als mein Mann im Militär war, hatte ich Angst, dass ich in der Nacht sterbe. Ich machte mit einer Freundin ab, dass ich ihr am Morgen ein SMS schreibe. Und wenn sie keine Nachricht von mir bekommen hätte, wäre sie morgens bei mir vorbeigekommen. Das gab mir viel Sicherheit.

«Wenn es mir wieder schlechter gehen würde, hätte ich Rückhalt in der Gruppe»

Nach dem Klinikaufenthalt war ich entspannter. Wenn Leon etwas runterschmiss, nervte mich das nicht mehr so. Zudem ging er nun drei Tage in der Woche in die Krippe. Das erleichterte die Sache für mich, weil ich wieder Zeit für mich hatte. Letztes Semester konnte ich zum Beispiel einen Philosophie-Kurs an der Uni besuchen. Das Zusammenspiel aller Therapien auch nach dem Klinikaufenthalt und die Selbsthilfegruppe haben mir wirklich sehr geholfen. Ich besuche die Selbsthilfegruppe immer noch regelmässig, um mit den anderen zu reden. Ich weiss, wenn es mir wieder schlechter gehen würde, hätte ich Rückhalt in der Gruppe.

Leon habe ich heute wahnsinnig gern. Er macht super schnell vorwärts mit allen Sachen. Er lernt viel von den anderen Kindern in der Krippe. Ich freue mich so an ihm und seinen Entwicklungsschritten. Am Anfang hat mir das gar nichts gegeben. Ich habe aber auch heute noch Mühe mit Babys und kann wenig mit ihnen anfangen.

Seit es mir besser geht, geht es auch mit meinem Partner besser. Wir streiten uns immer noch über Kleinigkeiten, aber jetzt ist alles im normalen Bereich.

*Name geändert

Selbsthilfegruppe postnatale Depression in Zürich

Die Selbsthilfegruppe postnatale Depression trifft sich immer einmal im Monat in Zürich. Wenn Sie die Gruppe kennen lernen möchten, wenden Sie sich an das Selbsthilfecenter in Zürich www.selbsthilfecenter.ch

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