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Sportsucht: Fitnesswahn bei jungen Männern

Immer härter trainieren: 77 Prozent der männlichen Jugendlichen in der Schweiz wollen mehr Muskeln. Das kann zu Sportsucht mit negativen Folgen für die Gesundheit führen. Worauf Betroffene und Angehörige achten sollten.  

Fitnesswahn und Sportsucht sind bei jungen Männern keine Seltenheit.
Foto: PeopleImages, E+, Getty Images Plus

Sie finden ihre Arme zu dünn, ihr Kreuz zu schmächtig und den Bauch viel zu untrainiert: Junge Männer in der Schweiz blicken mit einem weitaus kritischeren Blick in den Spiegel als angenommen. In der Pubertät verändert sich die Körperwahrnehmung und viele Jugendliche fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Unsicherheit und der Wunsch, akzeptiert zu werden, begleiten dabei fast alle jungen Menschen.

77 Prozent der Buben wollen mehr Muskeln

Bisher richtete sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dabei vor allem auf junge Mädchen, die sich zu dick finden, Essstörungen und ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln. Doch tatsächlich sind mehr Buben als Mädchen unzufrieden mit ihrem Körper. Das hat die Befragung «Das Körperbild von Jugendlichen in der Deutschschweiz» der Gesundheitsförderung Schweiz aus dem Jahr 2015 ergeben.

Das Resultat: 60 Prozent der befragten Mädchen wollen schlanker sein, aber 77 Prozent der Buben wünschen sich mehr Muskeln und 54 Prozent trainieren auch dafür. 

Sport bietet in der Pubertät tatsächlich einen guten Ausgleich: Die körperliche Aktivität hilft, überschüssige Energie loszuwerden, hält den Körper fit und macht durch die Ausschüttung des Hormons Serotonin auch noch glücklich.

Wenn die Sportsucht droht

Doch es gibt ein Zuviel. Das beginnt damit, dass die Jugendlichen einer Sportsucht verfallen, weil sie unrealistische Vorstellungen davon haben, wie ihr Körper aussehen sollte – und es endet damit, dass Jugendliche sogar Steroide zu sich nehmen, um ihren Wunschkörper zu erreichen.

Die Stichworte Muskelsucht, Sportsucht und Fitnesswahn bei männlichen Jugendlichen fasst Roland Müller von der Fachstelle Prävention Essstörungen Praxisnah PEP am Berner Inselspital unter den Begriffen Adoniskomplex und Muskeldysmorphia zusammen. Muskeldysmorphia bezeichnet eine Störung des Selbstbildes, bei der sich sogar durchtrainierte Bodybuilder als zu schmächtig empfinden.

Der Fitnesswahn kann gefährlich werden

In einem Vortrag, der auf pepinfo.ch zu sehen ist, betont er, dass nur ein bis fünf Prozent der Männer die genetischen Voraussetzungen haben, den Körper eines Bodybuilders auf natürlichem Weg zu bekommen. Alle anderen «müssen nachhelfen oder sehr rigide leben», sagt er.

Zwar weist er darauf hin, dass intensives Bodybuilding an sich noch nicht krankhaft sei, doch es komme immer wieder auch zur Einnahme leistungssteigernder Substanzen, die gerade in der Pubertät medizinisch bedenklich seien.

In Fitnessstudios trainieren vor allem Ältere

Aber wo trainieren all die männlichen Jugendlichen für ihren Wunschkörper? In den Fitnessstudios zumindest sind nicht viele pubertierende Jugendliche anzutreffen. Laut dem Branchenreport 2018 des Schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenter Verbands liegt das Durchschnittsalter der Mitglieder bei 45,1 Jahren. Damit ist es gegenüber dem Durchschnittsalter von 42,7 Jahren im Jahr 2015 noch einmal angestiegen.

Insgesamt waren im Jahr 2018 900'000 Personen in Schweizer Fitnessstudios angemeldet. Die unter 20-Jährigen machen schweizweit 7,8 Prozent der Fitnessstudio-Mitglieder aus.

Passend zum recht hohen Durchschnittsalter sind 71,4 Prozent der Fitnessstudios ausgerichtet auf Gesundheit/Medizin. Als die drei interessantesten Zielgruppen sehen Fitnessstudio-Betreiber «Best Agers», «Gesundheitsbewusste» und «Mittleres Alter».

Muskeldysmorphia erkennen

Sportsucht und Fitnesswahn bei männlichen Jugendlichen in der Schweiz finden also nicht in der Öffentlichkeit statt. Und doch gibt es sie: Die Mehrheit der männlichen Jugendlichen, die mehr Muskeln will und zu einem grossen Teil auch dafür trainiert, ob im Fitnessstudio oder zu Hause – mit Tipps aus Fitnessforen von Gleichgesinnten und teilweise mit Hilfe gesundheitsschädlicher Substanzen. 

Ob das eigene Kind betroffen ist, ist nicht immer einfach zu entscheiden. Bis wann ist der Sport noch ein gewöhnliches Hobby und ab wann wird er zur einschränkenden Sportsucht? Dieser Fragebogen hilft Eltern, die Situation besser einzuschätzen:

Hat mein Kind Sportsucht?

  • Fühlt sich Ihr Kind zu dünn, obwohl andere finden, dass es sogar muskulös ist?
  • Haben Sie das Gefühl, Ihr Sohn hat die Kontrolle über seine Trainingseinheiten verloren?
  • Dominieren körperliche Aktivitäten sein Leben, um die Wunschfigur zu erreichen?
  • Verbringt Ihr Sohn mehr als eine Stunde am Tag mit dem Training, um seine Körperform zu verbessern?
  • Nimmt er Medikamente wie Steroide, Diätpillen oder muskelaufbauende Mittel ein, um seine Körperform zu optimieren?
  • Ist ihm das körperliche Training wichtiger als die Schule, das Studium oder der Job?
  • Leiden Freundschaften, die Beziehung zur Familie oder seine Partnerschaft?
  • Hat Ihr Sohn schon einmal oder mehrfach trotz Verletzung oder Krankheit das Training fortgesetzt?
  • Verbringt er täglich mehr als 30 Minuten damit, seine Körperform zu überprüfen?
  • Vermeidet er Situationen, in denen sein Körper von anderen gesehen und beurteilt werden könnte?

Wenn Sie mehr als 5 Fragen mit Ja beantworten, könnte es sein, dass Ihr Sohn Symptome einer Sportsucht entwickelt hat.

Quelle: pepinfo.ch

Fitnesswahn – Was Betroffene und Angehörige tun können

Hegen Eltern den Verdacht, ihr Kind könnte den Sport nicht mehr unter Kontrolle haben, sollten sie ihre Sorgen offen aussprechen und ihre Hilfe anbieten. Denn ein Fitnesswahn kann sich auch daraus entwickeln, dass andere Probleme verdrängt werden und der Sport zum Schutzschild wird.

Wenn Angehörige unsicher sind, keinen Zugang zu dem Jugendlichen finden oder nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollten, können sie Hilfe und Beratung bei einer Fachstelle finden, zum Beispiel bei der Fachstelle Prävention Essstörungen Praxisnah PEP des Inselspitals Bern. 

Betroffene, die merken, dass der Sport zur Sucht wird, können sich zur Selbsthilfe an den folgenden Hilfestellungen orientieren. Bringt die Selbstreflexion keine Besserung sollten auch sie professionelle Beratungsangebote annehmen.

Sieben Empfehlungen für Jugendliche mit Muskeldysmorphia

1 Reflexion: Was bringt mir mein momentaner Lebensstil und worauf verzichte ich dadurch?

2 Mich öffnen: Freunden und/oder der Familie von den problemen mit dem Körper, dem Essverhalten und dem Training erzählen.

3 Das Ess- und Trainingsverhalten genau beobachten und nach und nach auch verbotene Lebensmittel wieder in den Speiseplan einbauen.

4 Negative Gedanken in Bezug auf das eigene Körperbild oder die eigene Person identifizieren und verändern.

5 Einen neuen Umgang mit negativen Emotionen wie Wut, Trauer oder Angst finden und mehr positive Emotionen zulassen.

6 Professionelle Unterstützung zulassen, geeignete Adressen von Psychotherapeuten oder Beratungsstellen heraussuchen.

7 Mögliche Rückschläge frühzeitig erkennen und Strategien planen, zum Beispiel mit Freunden essen.

Quelle: pepinfo.ch 

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