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«Kinder an die Macht»: Kindesanhörung

Kommentar - Eine Scheidung kann für ein Kind weitreichende Folgen haben. Da sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, es nach seiner Meinung zu fragen. Leider werden nur die wenigsten Kinder bei Scheidungsverfahren angehört. Und das, obwohl sie ein Recht auf Kindesanhörung haben. Das sollte sich ändern.

Kinder sind zwar keine Könige, trotzdem haben sie ein Recht auf Kindesanhörung.
Herbert Grönemeyer sang «Kinder an die Macht». Auch wenn das utopisch ist, Kinder anzuhören ist ein Muss. Foto: iStockphoto, Thinkstock

Vielleicht ist Herbert Grönemeyers Forderung «Kinder an die Macht» übertrieben. Doch in Liedzeilen wie «Kriege werden aufgegessen» steckt ein wichtiger Hinweis: Kinder können eine ganz andere Sichtweise als Erwachsene haben. Deshalb ist es so wichtig, ihnen zuzuhören.

Bereits 1997 unterschrieben Parlament und Bundesrat die Kinderrechtskonvention der UNO. Damit räumten sie Kindern besondere Rechte ein. Artikel 12 der Konvention sichert dem Kind zu, dass es seine Meinung frei äussern kann, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die es betreffen und dass die Staaten die Meinung des Kindes angemessen berücksichtigen.

Nur 10 Prozent der Kinder werden angehört

Ein Blick in die Statistiken zeigt allerdings, dass dieser Artikel mit der Realität wenig gemeinsam hat. In nur zehn Prozent der untersuchten Scheidungsfälle in einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds wurden Kinder angehört. Und auch Jean Zermatten, Direktor des Internationalen Instituts der Rechte des Kindes kommt in einem Aufsatz zum Schluss: «Es ist noch ein weiter Weg, bis die Worte in Taten umgesetzt werden.»

Dabei könnten Richter wesentlich von der Anhörung der Kinder profitieren. Sie erfahren, wie Kinder die Situation einschätzen, wie es ihnen dabei geht und was ihre Wünsche sind. «Man kommt zu Entscheidungen, die besser mitgetragen werden», sagt Katrin Piazza vom Kinderhilfswerk UNICEF in einem Interview mit familienleben.ch. Die Kindesanhörung stelle eine Chance dar, den Horizont zu erweitern.

Kinder sollen sich nicht ohnmächtig fühlen

Auch liefert die psychologische Forschung entscheidende Argumente für eine Anhörung. Trotz schwieriger Lebensumstände, wie es bei einer Scheidung der Fall ist, können sich Kinder gesund entwickeln. Dafür ist es wichtig, dass Kinder sich äussern und die Situation beeinflussen können sowie jemand sich für ihre Anliegen interessiert. «Es geht darum, dass sich Kinder und Jugendliche in solchen Situationen nicht ohnmächtig und ausgeliefert fühlen, sondern eine Form finden können, wie sie das eigene Schicksal mit beeinflussen und schwierige Situationen mitgestalten oder verändern können», erklärt Heidi Simoni, Leiterin des Marie Meierhofer Instituts für das Kind, in einem Interview der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen.

Die Angst einiger Richter, das Kind mit einer Anhörung zu überfordern, ist unberechtigt. Wer einfühlsam mit den Kindern spricht und sie wirklich ernst nimmt, wird merken, wie dankbar sie sind. Natürlich sind dabei einige Fachkompetenzen gefragt. Kleine Kinder können nicht eine Stunde am Stück ruhig sitzen und Rede und Antwort stehen. Bei manchen Kindern muss man vielleicht mit Bildern oder Puppen arbeiten. Dafür sollten sich Richter weiterbilden oder eine Fachperson einbeziehen.

Die Interessen der Kinder wirklich ernst nehmen

Ist dieser Schritt getan, geht es auch darum, die Interessen der Kinder im Prozess zu berücksichtigen. Eine Anhörung um der Anhörung willen nützt keinem etwas. Natürlich können nicht immer alle Wünsche in Erfüllung gehen. Dann ist es wichtig, dem Kind zu erklären, warum das nicht möglich ist.

Kinder haben ein Recht darauf angehört zu werden. Würde sich dieses Verständnis als Selbstverständlichkeit an den Schweizer Gerichten durchsetzen, besteht die Hoffnung, dass auch Eltern ihre Kinder stärker in den Scheidungsprozess einbinden. Dass sie ihre Bedürfnisse ernst nehmen, ihnen zuhören und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen suchen.

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