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Kinderbetreuung in der Schweiz: Familien am Limit

Viele Eltern haben nicht die Möglichkeit, die Kita nach ihrem pädagogischen Konzept zu wählen. Sie sind froh, überhaupt einen bezahlbaren Kita-Platz zu finden. Denn die Kinderbetreuung in der Schweiz ist im Vergleich zu anderen Staaten teuer.

Kinderbetreuung Schweiz: Familien leiden unter Kita-Kosten
Der Kindebetreuung in der Schweiz ist teurer als im Ausland. Foto: Jupiterimages, Stockbyte, Thinkstock

Viele Eltern stöhnen in der Schweiz über hohe Kosten für Kitaplätze. Zwar sind fast in allen öffentlichen Einrichtungen die Kita-Gebühren für Kinder, die noch nicht den obligatorischen Kindergarten besuchen, einkommensabhängig. Doch Eltern mit mittleren und höheren Einkommen werden mit Tagessätzen bis zu 150 Franken konfrontiert. Konkret hängen die Kosten davon ab, an wie vielen Tagen und wie viele Stunden lang das Kind die Krippe oder die Kita besucht und wie viele Geschwister es hat. Darüber hinaus unterscheiden sich die Kosten von Kanton zu Kanton.

Kosten für Kinderbetreuung in der Schweiz: Beispiel Zürich

Die Stadt Zürich entwickelt auf ihrer Internetseite folgendes Beispiel für die familienergänzende Kinderbetreuung: «Eltern sind verheiratet und haben zwei Kinder. Ein Kind besucht die Kinderkrippe an zwei ganzen Tagen pro Woche (subventionierter Platz vorhanden).» In diesem Fall, so zeigt die Rechnung, liegt bei einem steuerbaren Einkommen von 80’000 Franken der Elternbeitrag pro Tag und Kind bei etwa 70 Franken.

Ein Drittel des Haushaltseinkommens für die Kita

Durchschnittlich müssen Eltern in der Schweiz etwa ein Drittel ihres Einkommens für einen Platz in der Kita ausgeben. Zu diesem Schluss kam bereits 2013 eine Studie der Universität St. Gallen. Damit zahlen Eltern für die Kinderbetreuung in der Schweiz doppelt so viel des Haushaltseinkommens wie Eltern in den 24 europäischen Vergleichsländern der Studie. Der Grund liegt nicht in höheren Betriebskosten. Ein Kostenvergleich, den der Bundesrat erstellen liess, ergab, dass die Betriebskosten in etwa gleich hoch wie in Deutschland, Frankreich und Österreich sind. Doch der Staat bittet Schweizer Eltern schlichtweg mehr zur Kasse. Der Maximaltarif in der Schweiz entspreche meist etwa den Vollkosten, während in den Nachbarländern die Maximaltarife massiv unter den Vollkosten lägen, heisst es im Bericht des Bundesrats.

Remo Largo: Schweiz investiert wenig in Familie

«Die skandinavischen Länder wenden im Schnitt vier Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Familie auf. Die Schweiz lediglich 1,6 Prozent. Was ist uns wichtiger, Familie und Kinder oder Bauern und die Sanierung der Banken?», fragte provokativ der Schweizer Kinderarzt und Sachbuchautor Remo Largo in einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Er prangert an: «Bezüglich Kinderbetreuung ist die Schweiz ein Entwicklungsland, wenn man sie mit den fortschrittlichen nordeuropäischen Ländern vergleicht.»

Forderungen nach mehr Geld für Familien

Für Familien muss mehr getan werden, finden mehr als 50 Prozent der Schweizer, ergab das Familienbarometer des Elternmagazins «Fritz+Fränzi». Mehr als ein Drittel der Familien beurteilen die Kinderbetreuung in der Schweiz als ungenügend. Jede fünfte Familie empfindet die Kinderzulagen als zu gering. Darüber hinaus gibt es einen ausgeprägten Wunsch nach lukrativeren Steuervorteilen für Familien. Die SP-Politikerin und Nationalrätin Jacqueline Fehr fordert bereits seit Jahren ein kostenloses Vor-Kindergarten-Jahr, damit ein Kind früh eine Kita oder Spielgruppe besuchen kann. Remo Largo: «Die Krippen sind für mich ein Teil des Bildungswesens, die Kosten müssten weitgehend vom Staat übernommen werden.»

Kinderbetreuung Schweiz: Schweden als Vorbild

Schweden hat bereits seit Jahrzehnten Eltern von hohen Kita-Kosten befreit. Dort wurde schon in den 60er Jahren ein attraktives Betreuungsangebot geschaffen, um Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. «Heute noch ist der schwedische Arbeitsmarkt auf Frauen angewiesen», berichtete das Migros-Magazin. «Über 80 Prozent der schwedischen Kinder zwischen einem und fünf Jahren besuchen eine Vorschule.» Kommunen, die Eltern zur Kasse bitten wollen, dürfen nicht mehr als 152 Franken pro Monat verlangen, wenn das Kind von montags bis freitags die Kita besucht.

Stadt Luzern beschreitet neuen Weg

Auch in der Schweiz ist es möglich, neue Wege zu beschreiten. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Luzern. «Betreuungsgutschein» heisst das Konzept, das sie 2013 definitiv eingeführt hat. Damit unterstützt sie Eltern von Kindern im Vorschulalter direkt, anstatt wie zuvor die Einrichtungen zu subventionieren, damit sie verbilligte Tarife anbieten können. Der Beitrag, den Eltern erhalten, liegt bei höchstens 80 Franken pro Kind und Tag. Voraussetzungen sind, dass Vater und Mutter gemeinsam mindestens 120 Prozent und Alleinerziehende 20 Prozent arbeiten. Ausserdem darf das gemeinsame Jahreseinkommen nicht 120’000 Franken nicht übersteigen. «Dieser Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung bei der ausserfamiliären Kinderbetreuung hat die Zahl der Betreuungsplätze in den letzten Jahren deutlich erhöht», berichtete die NZZ. Gegenwärtig besuche in der Stadt Luzern fast jedes dritte Kind im Vorschulalter eine Krippe oder eine Kindertagesstätte. «Auch das Angebot an familien- und schulergänzender Betreuung für Schulkinder stösst auf ein zunehmendes Interesse. Momentan nutzen 26 Prozent der Kinder im Kindergarten- und Primarschulalter das schulergänzende Angebot.» Mehrere Schweizer Gemeinden haben bereits nachgezogen.

Autor: Sigrid Schulze im April 2016

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