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GPS für Kinder: Kinderortung gegen Elternsorgen

Es wird dunkel und die Kinder sind noch unterwegs. Dabei hätten sie schon vor einer halben Stunde zuhause sein sollen. Ist ihnen etwas zugestossen? Die Sorge motiviert heute viele Eltern dazu, ihre Kinder per GPS zu überwachen. Die neuen Ortungssysteme decken ihr elterliches Urbedürfnis nach Sicherheit. Bloss, wo bleibt da die Freiheit?

GPS Tracker für Kinder
Kinder allein unterwegs: Kann ein Ortungsgerät alle Gefahren nichtig machen? Foto: iStock, Thinkstock

Wer kennt es nicht: Man geht mit dem Kind einkaufen und kaum dreht man sich um, ist das Kleine weg. Es wird zuerst ruhig umhergeblickt, dann hastig die Gänge durchsucht, zuletzt, die Panik unterdrückend, der Kundendienst benachrichtigt. Der Sprössling taucht zwar  immer wieder auf - meist verträumt vor irgendeinem farbenfrohen Regal, für Eltern ist das aber immer wieder ein Schockerlebnis. Wenn das Kind nirgends aufzufinden ist, ergreift Eltern das Gefühl der Ohnmacht. Ihnen wird bewusst, dass es hunderprozentigen Schutz im wahren Leben nicht gibt. Oder doch?

Ähnlich ängstlich schicken viele Eltern Ihre Kinder auch allein zum Kindergarten oder zur Schule. Die 5-jährige Anna* (Name geändert, Anm. d. R.) muss auf ihrem Schulweg ein spärlich befahrenes S-Bahn-Gleis passieren und einige Minuten am Waldrand entlang laufen. Ihre Eltern sorgten sich Tag um Tag so sehr um ihre kleine Tochter, dass sie schliesslich ein Mini GPS-Tracker erstanden und es in die Znüni-Tasche packten. Seitdem ist das Paar mit via Smartphone ständig über den genauen Standort der Kleinen informiert. Die Tochter weiss von der Überwachung allerdings nichts.

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Big parents are watching you

Seit vergangenem Juni sind sogenannte Tracking-Geräte in Schweizer Geschäften wie m-electronics oder mobilezone erhältlich. Die Firma Tracker.com ist innerhalb der Landesgrenzen Vorreiter in Sachen Ortungsgeräte. Mit dem Slogan «Jederzeit wissen, wo was ist» macht das Unternehmen intensiv Werbung. Besonders beliebt ist der «Picotracker»: Ein grünes Kästchen, kaum grösser als eine Zündholzschachtel, das dank eines Ortungssystems jederzeit den Standort des Trägers bestimmen kann und mit einem Alarmknopf im Notfall Benachrichtigungen aussendet. Der Käufer des Geräts erhält Online-Karten mit Positions- und Routenanzeige, eine Gratis Smartphone-App, mit welcher der Standort des Trackers mobil abgerufen werden kann und eine Alarmierungsgarantie per SMS oder E-Mail, falls der Träger auf den roten Alarmknopf des «Picotrackers» drückt. Die GPS-Ortung sei überdies «Nicht nur für Kinder geeignet, sondern auch für Senioren und Lebenspartner», propagiert tracker.com.

Das im wahrsten Sinne des Wortes jüngste Gerät des Tracking-Unternehmens heisst «Fröschli» und «richtet sich spezifisch an Kinder von etwa 4 bis 12 Jahren», wie der Sprecher der Firma Vladi Barrosa erklärt. Der giftgrüne Locator sieht aus wie ein harmloses Spielzeug, ist aber Kinderhandy und Ortungsgerät in einem. Die vier Tasten auf dem displaylosen Gerät werden für den Anruf bestimmter Nummern vorprogrammiert. Während also die Kids ihren Freunden stolz ihr erstes, wenn auch für heutige Verhältnisse spartanische Handy präsentieren, können die Eltern den Aufenthaltsort ihres Kindes zu jedem beliebigen Zeitpunkt prüfen.

 

Kinderhandy «Fröschli»: Kein Grund zur Sorge?

tracker.com feiert mit «Fröschli» beträchtliche Erfolge. Foto: tracker.com

Mit der Lancierung und offensiver Bewerbung von Tracker.com machten sich aber auch schnell kritische Stimmen in den Medien laut. Ortungsgeräte seien ein grosser Einschnitt in den Freiraum der Kinder, protestierten Medienpädagogen und Kinderrechtler im Unisono. «Wichtiger wäre es, Vereinbarungen zu treffen und den Kindern so viel Freiraum zu lassen, wie sie imstande sind, zu nutzen», betonte Daniel Süss, Medienpsychologe der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gegenüber der Aargauer Zeitung. Es bestehe laut Süss zudem die Gefahr, dass Eltern in der Obhut nachsichtiger würden, wenn ein Ortungsgerät im Einsatz sei. Zugespitzt heisst das: Wieso auch aktiv nachschauen, ob das Kind noch in unmittelbarer Nähe ist, wenn es auch per Knopfdruck geht? Solche Fälle seien dem Mediensprecher von Tracker.com bisher jedoch nicht zu Ohren gekommen. «Das Fröschli bietet lediglich gewisse Möglichkeiten an, um die Sicherheit der Kinder zusätzlich zu erhöhen», so Barrosa.

Martin Hermida ist Medienexperte bei der Kinder- und Jugendhilfe Pro Juventute und drückte seinen Unmut über Tracking-Geräte ebenfalls im Gespräch mit der Aargauer Zeitung aus.: «Kinder sollen Kinder sein dürfen. Nicht kleine rote Punkte auf einem Computerbildschirm.» Darüber hinaus seien Tracking-Geräte wie «Fröschli» kein Sicherheitsgarant. Verliert das Kind nämlich das Gerät, oder wird es ihm gar abgenommen, nützt es nicht mehr viel. Er fordert ausserdem die Eltern auf, sich zu fragen, ob sie in ihrer Kindheit auch gerne geortet worden wären.

Pro Juventute kämpft in der Öffentlichkeit massiv gegen Geräte für Kinderortung. Im vergangenen November warnte die Stiftung anlässlich des Tages der Kinderrechte vor der Totalüberwachung : «Väter und Mütter, die ihre Kinder zu stark behüten, beeinträchtigen die Entwicklung ihres Kindes», so die Kinder- und Jugendstiftung.. Im Rahmen des Tages der Kinderrechte fand auch die Schweizer Kinderkonferenz statt. Einer der zentralsten Anliegen der teilnehmenden Kinder war der Wunsch nach mehr Freiraum. Freundschaften und Romanzen seien Privatsache. Das gehe auch Eltern nichts an. Kinderhandys mit Ortungsfunktion seien deshalb keine sinnvolle Lösung für die Sorgen der Eltern, liessen die Kinder in der abschliessenden Medienkonferenz wissen. 

«Kein elektronisches Gerät kann das Grundvertrauen ersetzen»

Mit der scharfen Kritik seitens Jugendlicher und Erwachsener geht der Sprecher von Tracker.com, Vladi Barrosa, gelassen um. «Kinder ab 12 Jahren haben sowieso oft schon ein eigenes Handy. Dann wollen sie bereits SMS schreiben und surfen. Ein Produkt wie Fröschli erfüllt seinen Zweck nicht mehr, deshalb ist für uns das Problem des Privatsphärenschutzes von Jugendlichen gar kein Thema.» Die Überwachung von jüngeren Kindern hingegen findet das Unternehmen scheinbar weniger problematisch. Auch wenn es Vladi Barrosa nicht Überwachung genannt wissen will: «Wir sprechen nicht gerne von Überwachung. Kein elektronisches Gerät kann das Grundvertrauen ersetzen, das zwischen Eltern und Kind besteht», beteuert Barrosa. In einem Punkt sei er ähnlicher Meinung wie die Teilnehmer der Kinderkonferenz: Ortungsgeräte seien keine abschliessende, umfassende Lösung für Elternsorgen. «Wenn Eltern überbehütend sind, dann hat das ganz andere Gründe, die auch ein Fröschli nicht beheben kann.»

 

 

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