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Liebe macht aus Jungen keine Muttersöhnchen

Sie gelten als faul und unselbstständig. Ihr Mami ist die wichtigste Frau im Leben. Als «Muttersöhnchen» wird ein durch zu viel Fürsorge der Mutter verweichlichter Junge gesehen. Doch Wissenschaftler geben Entwarnung. Eine intensive und liebevolle Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist nicht schädlich.

Keine Angst vor Zuneigung: Liebe macht aus Jungen keine Muttersöhnchen
Nicht eine intensive Mutter-Sohn-Beziehung, sondern Konflikte machen aus Jungen Muttersöhnchen. Foto: romrodinka, iStock, Thinkstock

Jan ist am liebsten bei der Mutter. Er liebt es, mit ihr zu spielen, mit ihr zu backen und vor allem, ausgiebig mit ihr zu kuscheln. Die Mutter kann die intensive Beziehung nicht immer geniessen. Sie macht sich Sorgen, dass Jan ein echtes Muttersöhnchen werden könnte.

Muttersöhnchen – das ist gemeint

Als Muttersöhnchen gilt ein Junge oder Mann, dem es aufgrund seiner intensiven Beziehung zu seiner Mutter nicht gelingt, sich zu lösen und ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen. Einem Muttersöhnchen werden Eigenschaften wie «unselbstständig» und «faul» nachgesagt. Die Mutter bleibt das Mass aller Dinge. Statt selbst zu überlegen, verlässt sich das Muttersöhnchen am liebsten auf das Urteil seiner Mutter.

 

Echte Liebe schadet nie

Mütter müssen keine Sorge haben, ihren Sohn zu sehr zu lieben. Echte Fürsorge und liebevolle Zuwendung schadet einem Kind grundsätzlich nicht. Es gebe keinen Grund, weshalb eine ausgeprägte Mutter-Sohn-Beziehung negativer ins Gewicht fallen solle als jede andere Eltern-Kind-Kombination, argumentierte Kate Stone Lombardi, Autorin von «The Mama’s Boy Myth: Why Keeping Our Sons Close Makes Them Stronger», in einem Bericht von «20 Minuten». Man sei schliesslich auch nie darum besorgt, dass ein Vater, der intensiv Zeit mit seiner Tochter verbringt, das Mädchen vermännliche. «Aus Jungen mit einer präsenten Mutter werden keine verweichlichten Memmen, stattdessen Männer, die ihre Gefühle artikulieren können, auf andere eingehen und erfolgreicher durch Schule und Berufsleben schreiten.»

Eine enge Mutter-Sohn-Beziehung hilft Jungen, ihre emotionalen und sensiblen Seiten auszuleben und Empathie zu entwickeln. Verschiedene Studien belegen diese Zusammenhänge. Eine Umfrage unter 426 New Yorker Schülern ergab zum Beispiel, dass diejenigen Jungen, die ihren Müttern näher standen, sich zwar nicht als «harte Jungs» bezeichneten. Trotzdem aber zeigten sie weniger Ängste und waren in der Schule erfolgreicher.

Wer sensibel sein kann, geht als ganzer Mensch durchs Leben. Wie der Rapper Stress. Gleichgültig, auf welcher Bühne er steht, seine Mutter Siiri ist fast immer dabei. «Jeder harte Kerl ist ein Muttersöhnchen», behauptete der gebürtige Este im «10vor10»-Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen.

Konflikte machen Muttersöhnchen

Keine Mutter der Welt muss also Sorge habe, aus ihrem Jungen ein Muttersöhnchen zu machen, wenn sie auf seine Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und emotionaler Wärme eingeht. Dass manche Männer dennoch zu Muttersöhnchen werden, hat andere Gründe. Wenn es beim Mami einfach immer am besten schmeckt, Mama auch die Wäsche für den längst ausgezogenen Sohn wäscht und sie wie eine unsichtbare Mauer zwischen Sohn und Partnerin steht, liegt die Ursache nicht in zu viel Liebe, sondern in zu vielen Konflikten, die ein Loslassen scheinbar unmöglich machen. Aus Sorge ums Kind oder aus Angst, das Kind zu verlieren, klammert sich die Mutter schon früh ans Kind. Sie vereitelt Schritte in die Selbstständigkeit, in dem sie dem Sohn Vorwürfe macht, sie allein zu lassen, und ihn gleichzeitig stark verwöhnt. Darüber hinaus bewundert und verehrt sie ihren Sohn, der auf diese Weise kein realistisches Bild von sich entwerfen kann.

Oft schreibt die Mutter, wenn sie alleinerziehend ist, dem Sohn die Rolle des Partners zu, einer Rolle, mit der das Kind völlig überfordert ist. «Der Sohn ist physisch die einzig anwesende männliche Partnerperson und gerät so zwangsläufig in die Situation des einzigen vertrauten männlichen Menschen für seine Mutter. Das verräterische Wort „Sohnemann“ kennzeichnet diese Fehlform der Mutter-Sohn-Beziehung», erklärt Dr. phil. Astrid Kaiser, Professorin für Didaktik des Sachunterrichts an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.

Kinder bestimmen ihre eigenen ersten Schritte

Kinder dürfen hemmungslos geliebt werden. Jedes bisschen Liebe ist ein weiteres hilfreiches Gepäckstück für ein eigenes Leben. Gleichzeitig gilt es, dem Kind – ob Sohn oder Tochter - jederzeit den Freiraum zu geben, den es braucht. Das Kind dann loszulassen, wenn es eigene Schritte tun will, ist der richtige Weg. Kinder müssen sich ausprobieren dürfen, sie lernen durch gute und schlechte Erfahrungen. Freiraum für die Kinder bedeutet auch Freiraum für die Mutter. «Insgesamt ist es wichtig, dass Frauen den öffentlichen Raum für sich in Anspruch nehmen und sich nicht bescheiden zurücknehmen», sagt Astrid Kaiser. Denn letztendlich gilt: Wer sich selbst ernst und wichtig nimmt, muss nicht am anderen klammern.

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