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Pubertät: «Am Ende werden sie wieder vernünftig»

Wenn Kinder in die Pubertät kommen, fahren sie ihre Stacheln aus. So wollen sie sich vor Einflussnahme schützen, um ihren eigenen Weg zu finden. Die Schweizer Familienbildnerin Caroline Gappmaier erklärt, warum Loslassen jetzt so wichtig ist.

In der Pubertät gibt es Höhen und Tiefen
In der Pubertät fühlen sich Kinder nicht immer wohl. Foto: Jupiterimages, Goodshoot, Thinkstock

«Und plötzlich sind sie 13» – so lautet ein überaus erfolgreicher Ratgeber, der bereits in der 41. Auflage erhältlich ist. Die neueste Fassung haben Sie als zertifizierte Ehe- und Familienbildnerin mitbearbeitet. Was genau haben Sie gemacht?

Caroline Gappmaier: Aus meinem Wissens- und Erfahrungsfundus als Familienbildnerin habe ich aktuelles Fachwissen beigesteuert und konkrete Anwendungsbeispiele aus der Schweiz geliefert.

«Und plötzlich sind sie 13»

«Und plötzlich sind sie 13». Mit diesem Buch begleiten Sie Ihr Kind durch die Teenagerzeit. Keine latente Dauerkrise, sondern eine einmalige Gelegenheit für Eltern, den Weg ihrer Kinder zu Verantwortung und Selbstständigkeit bewusst zu lenken. Claudia und David Arp zeigen in praktischen Beispielen, wie Eltern ihre Kinder als «Ermutigungsteam» unterstützen und begleiten können. Lernen Sie, die Teenagerzeit für sich und Ihre Kinder bewusst zu gestalten: durch Hinsehen, Unterscheiden, Loslassen, Entspannen...

Erhältlich beim Brunner Verlag.

Ist Pubertät denn in der Schweiz anders ausgeprägt als in Deutschland?

Nein, der Ablauf der Pubertät ist grundsätzlich überall gleich! Der Zeitpunkt, wann die Pubertät eintritt, kann aber von Land zu Land durch unterschiedliche Lebensbedingungen wie Essgewohnheiten, Freizeitgestaltung, chemische Weichmacher etc. variieren. Vor hundertfünfzig Jahren noch bekamen Mädchen ihre erste Periode durchschnittlich zwischen 16 und 17 Jahren, heute sind sie oft noch nicht einmal elf Jahre alt, wenn ihre Blutung erstmals auftritt.

Sind es die Eltern oder die Kinder, die mit der Pubertät ein Problem haben?

Die Pubertät ist eine wichtige Phase, in der sich Kinder nicht nur körperlich verändern. Die emotionale Achterbahn, die Teenager durchmachen, hat durchaus Rückwirkungen auf die Eltern. Die müssen sich nach einem relativ ruhigen Entwicklungsfenster gründlich umstellen. Oft wird innerhalb von nur ein bis zwei Wochen aus einem bisher braven Kind ein aufmüpfiges, widerspenstiges Wesen, das gelegentlich ohne Vorwarnung in die Luft geht. Das ist für alle Betroffenen nicht angenehm.

Wenn Kinder in die Pubertät kommen, ist die Kindheit vorbei. Von nun an erfolgt auf jeden Versuch, auf den Teenager Einfluss zu nehmen, ein genervtes Augenrollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Teenager wollen sich in der Pubertät finden, sie wollen «Ich» sein, nicht «Du». Deshalb ist es wichtig, dass Eltern lernen loszulassen. Oft fällt ihnen das aber sehr schwer, weil sie die Kinder als Erweiterung von sich selbst sehen, und nicht als eigenständige Persönlichkeit. Das Recht, sein Leben selbst zu kreieren, sehe ich jedoch als grundlegendes Recht jedes Menschen. Es gibt natürlich Grenzen dessen, was erlaubt ist. Doch innerhalb dessen, was sozial verträglich ist, besteht eine grosse Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten.

Noch können die Kinder aber nicht auf eigenen Füssen stehen.

Es gilt, nicht auf einmal loszulassen, sondern Schritt für Schritt. Wie Eltern das gut gelingt, beschreibt das Buch sehr schön. Wichtig ist, Teenagern nicht nur immer mehr Rechte zuzustehen, sondern auch ausdrücklich immer mehr Verantwortung zu übergeben. Kinder brauchen das für eine ausgewogene Entwicklung, sie wollen eingebunden sein. Nur wenn sie das sind und auch schwierige Aufgaben zu lösen haben, machen sie die Erfahrung, dass sie Wichtiges beitragen können.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie sich Jugendlichen nicht nur Rechte, sondern auch Verantwortung übertragen lassen?

Rechte und Pflichten lassen sich, wie in dem Buch vorgeschlagen, zum Geburtstag verschenken. Eltern einer Schweizer Familie, in der es bisher nicht viel Fernseh- und Computerzeit gab, verschenkten zum zwölften Geburtstag ihrer Kinder 30 Minuten Email- und Internetzeit (erst nach Hausaufgaben, Instrument üben und den täglichen Pflichten) und ein eigenes Taschengeldkonto. Mit 14 bekamen die Kinder ihr erstes Handy (mit Prepaid-Card und fünf Franken Taschengeld extra pro Monat), einen eigenen Hausschlüssel und die Erlaubnis, auf Partys zu gehen. Sie bekamen auch die Anregung, über ihre Berufswahl nachzudenken und sich über Berufe in entsprechenden Einrichtungen zu informieren, um eine gute Entscheidung in dieser Sache treffen zu können.

Was ist für Sie der wichtigste Tipp des Buches?

Der Schwerpunkt des Buches liegt nicht auf der Erziehung des Kindes, sondern auf einer hilfreichen Gestaltung der Beziehung zwischen Eltern und Kind. Sie ist das, was nach der Pubertät, wenn das Kind erwachsen ist, übrig bleibt. Wenn Eltern ihr pubertierendes Kind betrachten, stellen sie sich vor, dass es so bleibt, wie es sich jetzt präsentiert. «So wird das Kind im Leben nicht zurechtkommen», denken sie und bekommen es mit der Angst zu tun. Doch das Buch beruhigt: Am Ende werden sie wieder vernünftig! Wer seinem Kind mit diesem Vertrauen begegnet, übersteht die Pubertät relativ entspannt und zuversichtlich.

Woher können Eltern dieses Vertrauen nehmen?

Vertrauen entsteht aus Wissen. Wichtig zu wissen ist zum Beispiel, dass die Hirnentwicklung in der Pubertät ähnlich rasant wie in den ersten Lebensjahren verläuft. Weil sich das Gehirn neu strukturiert, arbeitet es bei Kindern für einige Zeit in der ersten Pubertätshälfte signifikant schlechter. Die Teenager haben dann zum Beispiel regelrecht Mühe, sich Dinge zu merken oder logisch zu denken. Dieses Wissen hilft, nicht am Verstand oder am Willen seines Teenagers zu zweifeln, wenn er sich nicht einmal vier Teile merken kann, die er einkaufen soll. Stattdessen lässt sich ganz lässig ein Einkaufszettel schreiben.

Puh, wann ist das alles überstanden?

Der Umbau des Hirns ist gewöhnlich erst sehr spät ganz abgeschlossen, etwa im Alter von 25 Jahren. Doch keine Sorge: Die heftigste Phase erleben Teenager – und Eltern – meist, wenn Teenager um 14 Jahre alt sind - am besten Parole «Augen zu und durch»! Danach wird es schon allmählich ruhiger. Mit 18 Jahren sind sie in der Regel schon wieder ziemlich «normal» und vernünftig!

Schweizer Familienbildnerin Caroline Gappmaier
 

Zur Person:

Caroline Gappmaier aus Wiler bei Utzenstorf im Kanton Bern studierte Elementare Musikerziehung sowie Ehe/Partnerschaft, Familie und menschliche Entwicklung und ist zertifizierte Familienbildnerin (CFLE, USA). Sie arbeitet seit vielen Jahren in Kursen und Coachings mit Familien und Paaren. Als Mutter von vier Kindern und Grossmutter von sechs Enkelkindern ist neben aktuellem Fachwissen auch umfangreiche Eigenerfahrung Teil der Arbeitsgrundlage von Frau Gappmaier. Ihr bei diesem Thema relevantes Credo ist von ihrer zweitältesten Tochter inspiriert, die während eines «Indianerspiels» einmal meinte: «Nur die Nerven nicht verlieren!»

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