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Brigitte Trümpy vernetzt Grosseltern von Sternenkindern

Brigitte Trümpy begleitete ihren krebskranken Enkel während vier Jahren bis zum Tod. Heute wendet sie sich mit ihrer bewegenden Familiengeschichte an die Öffentlichkeit und will Grosseltern von Sternenkindern miteinander vernetzten.

Grossmutter Brigitte Trümpy mit ihrem Sternenkind Till.
Till litt an Krebs. Seine Grossmutter Brigitte Trümpy war immer für ihn da. Fotos (4): Brigitte Trümpy

An Weihnachten 2006 kam die schreckliche Nachricht, welche das Leben von Brigitte Trümpy für immer verändert hat: Bei ihrem siebenjährigen Enkel Till wurde Krebs diagnostiziert. Während der folgenden vier Jahre litt sie mit ihm mit: «Das ist wahnsinnig krass, was mit solch einem Kind alles gemacht wird; die Chemos, die Bestrahlungen. Das hat massive Folgen auf die Gesundheit, den Körper, die Psyche von solch einem Kind. Das schlimmste war, dass ich ihm all dies nicht ersparen konnte.»

8 Chemotherapien und 65 Bestrahlungen

Durch Metastasen im Hirnstamm und in der Wirbelsäule waren die Prognosen für einen positiven Ausgang von Tills Krankheit von Anfang an schlecht. Der grosse Tumor in Tills Hirn wurde wegoperiert. Ohne ihm eine wirkliche Erholungsphase gönnen zu können, wurde mit der Chemotherapie begonnen. Nach acht Chemotherapien innerhalb von vier Monaten und 65 Bestrahlungen über den Sommer verteilt, waren die Tumore weg. Tills Familie begann Hoffnung zu schöpfen, da er die Folgen der Behandlungen gut zu überstehen schien. Doch elf Monate später kam der Rückschlag, das MRI zeigte vier neue Tumore in Tills Hirn. Darauf wurde eine hochdosierte Chemobehandlung durchgeführt.

Danach wurden die schwerwiegenden Folgen der Behandlungen immer offensichtlicher. Till hatte Probleme mit der Fein- und Grobmotorik. Sobald er merkte, dass er etwas nicht mehr konnte, liess er die Sache sein und probierte sich darin nicht mehr aus. War er früher noch ein leidenschaftlicher Fussballer, so schaute er seinen Freunden nun vom Fenster aus beim Spielen zu. Zunehmend hatte er auch Mühe etwas zu verstehen.

Brigitte Trümpy-Birkeland hat jetzt ein Buch über Tills Geschichte geschrieben. «Sternenkind - Wie Till seinen Himmel fand» ist im August 2014 im Wörterseh-Verlag erschienen.

Die Grosseltern mit Sternenkind Till.
Till mit seinen Grosseltern Heiri und Brigitte Trümpy.

«Es war ein schrittweises Sterben», erzählt Brigitte Trümpy. «Schlussendlich war das reale Sterben einfach noch ein letztes Teil in einem Puzzle, welches sich Teilchen für Teilchen zusammensetzte.» Till starb im letzten September. Die Angst um Till, welche Brigitte Trümpy während knapp vier Jahren begleitete, wich und machte der Erleichterung Platz, dass Till nun gehen durfte. Er musste nicht mehr in seinem zerstörten Körper weiterleben und konnte friedlich einschlafen.

Brigitte Trümpy

Brigitte Trümpy ist 61 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem zweiten Mann Heiri Trümpy in Netstal im Kanton Glarus. Sie hat zwei Kinder aus erster Ehe, drei Enkelkinder, ihre so genannten Erdenenkel, und der Sternenenkel Till.

In Netstal aufgewachsen, zog Brigitte Trümpy als junge Erwachsene nach Zürich. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, kehrte sie mit den gemeinsamen Kindern nach Netstal zurück. Dort gründete sie den Verein für alleinerziehende Eltern. Darüber hinaus war sie in ihrem Berufsleben als Kindergärtnerin tätig und leitete die Spitex Glarus. Seit zehn Jahren arbeitet sie in der Verwaltung bei den sozialen Einrichtungen und Betrieben der Stadt Zürich. Ihr Mann ist als Primarlehrer tätig und wird bald pensioniert. Auch er verfolgt fleissig seine eigenen Projekte und will nach Pensionierung aus den alten Kinderzimmern ihres Hauses ein Bed & Breakfast machen.

 

Wenn der Enkel zuerst stirbt

Till bleibt in Brigitte Trümpys Leben omnipräsent. Die einschneidenden Erfahrungen von seiner Krankheit und seinem Tod sind zu einem festen Teil von ihr geworden, der sich für keine Minute abschütteln lässt. Als Grossmutter war es für sie besonders schmerzlich die Krankheit ihres Enkels mitzuerleben: «Für mich war es schlimm, das meine Tochter so vom Leben geschüttelt wird. Ihr Leid, ihre Trauer, das trage ich fest mit mir mit. Und das der kleinen Schwester von Till ist wie auch noch in meinem Rucksack drin.» Zusätzlich beschäftigte sie in dieser Situation der Gedanke, dass, wenn jemand sterben muss, eigentlich ihre eigene Generation an der Reihe wäre: «Du bist 61, du hattest ein gutes Leben, deine zwei Kinder sind selbständig. Warum muss jetzt so ein Kleiner vor dir gehen? Das ist einfach unfair.»

Brigitte Trümpy und Sternenkind Till.
Brigitte Trümpy verbrachte viele Stunden an Tills Spitalbett.

Natürlich haderte sie anfangs schwer mit dem Schicksal. Zeitweise ertrug sie in ihrer Nähe kaum die Präsenz von kleinen Kindern. Dann fragte sie sich immer, warum der Krebs ausgerechnet Till treffen musste. Doch «Leben» bedeutet für Brigitte Trümpy sich zu bewegen und nicht um sich selbst zu kreisen. Sie wusste, dass sie auf die energieraubende Frage des Warums keine Antwort bekommen würde. Mit der Zeit lernte sie mit den Tatsachen umzugehen, wobei ihr in schwierigeren Momenten die Gespräche mit dem Psychologen der Kinder-Onkologie, der Spitalstation für junge Krebspatienten, halfen.

Oft vermisste sie aber auch den Austausch mit Menschen in der gleichen Situation. Till war nie allein im Spital. Tag und Nacht waren seine engsten Bezugspersonen bei ihm. Die langen Stunden an Tills Bett brachten Brigitte Trümpy an ihre Grenzen: «Wenn ich jeweils aus dem Kinderspital heraus kam, dachte ich mir, wie toll es wäre, wenn da jetzt eine Grossmutter mit einer Thermoskanne Kaffee oder einem kleinen Prosecco sitzen würde und zu mir sagt: ,Hey, komm, wir machen einen kleinen Spaziergang.’ Das wäre für mich dann das Paradies gewesen.»

Vernetzung von Grosseltern verstorbener Enkelkinder

Genau dies ist die Rolle, welche Brigitte Trümpy heute für andere betroffene Grosseltern einnehmen will. Zu diesem Zweck hat sie im vergangenen Mai das Projekt Sternenkinder-Grosseltern lanciert. Der Begriff Sternenkinder ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für verstorbene Kinder. Also Kinder, die frühzeitig zu den Sternen gehen mussten.

Ziel von Sternenkinder-Grosseltern ist die Vernetzung von Grosseltern, die ein Enkelkind verloren haben. Mit dem Gedanken für dieses Projekt spielte Brigitte Trümpy schon länger, für den definitiven Startschuss sorgte dann aber ihre Tochter. Diese schenkte ihr zum Muttertag die Internetseite fürs Projekt. So gestaltet die Tochter heute den Internetauftritt von Sternenkinder-Grosseltern und die Mutter liefert die Texte dazu.

Damit die Vernetzung der Grosseltern gelingt, informiert Brigitte Trümpy möglichst viele Fachleute über ihr Projekt. Inzwischen kann sie auf die Unterstützung von Institutionen wie beispielsweise der Schweizerischen Ärztegesellschaft zählen: «Ich habe ihnen geschrieben, dass diese Grosseltern früher oder später alle beim Hausarzt landen werden, und wie froh ich gewesen wäre, wenn ich neben einer Packung Beruhigungsmittel einfach noch eine Adresse bekommen hätte.» In der Schweizerischen Ärztezeitung wird jetzt ein Artikel über das Projekt Sternenkinder-Grosseltern erscheinen. Brigitte Trümpy erhofft sich, dass dadurch mehr Betroffene auf ihr Projekt aufmerksam werden und sich bei ihr melden.

Till mit seiner Schwester Malin und Grossmutter.
Till konnte auf die Unterstützung seiner Familie zählen.

Brigitte Trümpy möchte mit ihren Aktivitäten aber nicht nur Grosseltern ansprechen. Eine zentrale Botschaft richtet sich an alle Familienmitglieder und Freunde von schwerkranken Menschen: «Lasst euch nicht allein, wenn die Stürme des Lebens kommen.» Durch die Krankheit werde man von einem Moment auf den nächsten sehr abhängig und ist auf die Unterstützung seiner Mitmenschen angewiesen. Auf der Onkologie konnte Brigitte Trümpy beobachten, wie krebskranke Menschen vereinsamen.

Nicht selten ziehen sich Personen aus dem Umfeld des Kranken zurück und auf die eigene Familie ist möglicherweise auch weniger Verlass, als man es sich vorgestellt hätte. «Fun, Spass, jeder kann machen was er will. Das ist ja alles okay, wenn es gut geht», meint Brigitte Trümpy. «Doch dann gibt es solch eine Katastrophe und plötzlich brauchst du jemanden, der dir hilft, der mit dem Auto dorthin fährt und jemanden, der die Wäsche holt jeden Tag und so weiter. Du brauchst Menschen, die dir etwas zu Liebe tun.» Glücklicherweise konnte Tills Familie während der vier Jahre auf die Hilfe von einem grossen Netz an Freunden zählen. Im so genannten Till-Mail hat die Familie jeweils um Unterstützung gebeten, wenn Not am Mann war und kurz darauf meldete sich dann immer jemand.

Pläne für die Zukunft

Trotz des ausschliesslich positiven Feedbacks auf ihre Aktivitäten, haben sich bisher erst vier Grosseltern bei Brigitte Trümpy gemeldet. Mit ihnen steht sie im Mail-Kontakt und ab und zu treffen sie sich. Dass sich jedoch noch nicht mehr Betroffene mit ihr in Verbindung gesetzt haben, sieht Brigitte Trümpy darin, dass ihre eigene Generation im Internet nicht sehr aktiv ist. Zusätzlich sei sie es nicht gewohnt, mit den eigenen Problemen und Sorgen nach aussen zu gehen und darüber zu sprechen. Brigitte Trümpy bleibt daher gespannt, wie sich ihr Projekt weiterentwickelt: «Ich habe einfach die Hoffnung, dass ich noch ein paar Power-Omas auftreiben kann und wir zusammen irgendetwas auf die Beine stellen.»

Egal, was aus Sternenkinder-Grosseltern noch entstehen mag, bei Brigitte Trümpy braucht man keine Angst zu haben, dass sie im Leben stehen bleibt. Pläne für weitere Projekte stehen bereits: Sie will ein Buch über Tills Geschichte schreiben und nach der Pensionierung für ein paar Monate in einem Kinderhospiz in Deutschland arbeiten. Ausserdem möchte sie noch Holländisch lernen. Um einen ersten Eindruck von der Sprache zu kriegen, geht sie jetzt für zwei Wochen in die Ferien nach Holland.

Die Geschichte von Brigitte Trümpys Enkel Till und seiner ganzen Familie finden Sie unter sternenkinder-grosseltern.ch

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