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Mehr Familienfrieden: Wie ein Familienrat hilft, Konflikte zu klären

Streit gibt es in jeder Familie. Entscheidend ist, wie Familien mit den Konflikten zwischen Eltern und Kindern umgehen. Warum regelmässige Familienkonferenzen bessere Lösungen für alle bringen.

Familienrat hilft gemeinsam Konflikte lösen ohne Schreien, Drohen und Strafen.
Im Familienrat herrscht gewaltfreie Kommunikation. Alle sitzen am Tisch und dürfen erzählen und müssen anderen zuhören. Illustration: iStock

In den nächsten Ferien soll es endlich Mal ans Meer gehen! Das haben die Eltern allein entschieden und der Sohne schimpft, weil er lieber wie immer nach Graubünden will. Schliesslich hatte er gehofft, dort wieder mit seinem Ferienfreund Fussball spielen zu können. Die Mutter hatte sich schon auf Sonne, Strand und Bücher verschlingen gefreut, jetzt ist sie enttäuscht. Auch der Vater ärgert sich, schliesslich hat man für die Ferien sehr viel Geld ausgegeben. «Wir fahren ans Meer, Basta!», sagt er.

Der Sohn rennt in sein Zimmer. Er ist sauer und traurig. Aber nicht nur, weil die Ferien anders verlaufen werden als erhofft: er fühlt sich von den Eltern schlichtweg übergangen - und auch benachteiligt. Während Sven noch aufgebracht fragte: «Interessiert es euch gar nicht, was ich will?», freute sich seine Schwester Manu lautstark auf die Wellen. Ihr Wunsch, in den Ferien surfen zu lernen, wird in Erfüllung gehen.

Solche Konflikte zwischen Eltern und Kindern, aber auch unter den Geschwistern, sind normal. Werden sie jedoch häufig mit einem Machtwort der Eltern beendet, so wie in diesem ausgedachten Beispiel, können sie langfristig die Familienatmosphäre vergiften.

Zu Tisch, bitte! Die Familie tagt

Doch es ist nicht leicht, innerhalb der Familie alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Kinder reagieren besonders sensibel auf Ungleichbehandlung und fühlen sich oft schnell benachteiligt. Aber auch die Eltern haben ein Recht auf Zeit und Räume für sich und müssen nicht alle Kinder genau gleich behandeln. Ein Familienrat oder eine Familienkonferenz an der alle Familienmitglieder gleichberechtigt reden dürfen, aber auch zuhören müssen, diskutiert Konflikte offen und hilft oft gemeinsam Kompromisse zu finden, an die sich alle halten können. Im Familienrat lassen sich aber nicht nur aktuelle Konflikte lösen, sondern auch gemeinsam Regeln erarbeiten für Themen wie Sackgeld, Ausgangszeiten, Verteilung der Hausarbeit, Wochenendpläne oder Hausaufgaben.

Aber wie könnte so ein Familienrat aussehen? Gibt es nicht Chaos, wenn Kinder gleichberechtigt am Tisch sitzen? Und ist er für jede Familie und für jeden Konflikt geeignet? Eines der ersten Modelle für einen solchen Familienrat hat der Psychologe und Pädagoge Rudolf Dreikurs erdacht:«Die Versammlung sollte ein offenes Forum sein, auf dem alle Familienmitglieder offen sprechen können, ohne unterbrochen zu werden, und in dem sie die Freiheit haben, sich auszudrücken, wie sie es wollen, ohne Furcht vor Konsequenzen und ohne Rücksicht auf Alter und Stellung.» Er war davon überzeugt, dass Kinder mitarbeiten, wenn man ihnen eine Chance dazu gibt, weil sie sich zugehörig fühlen wollen. Eine ähnliche These teilt der Erziehungsexperte Jesper Juul. Er geht ebenso davon aus, dass eine Erziehung ohne Drohen, Strafen oder Belohnungen auskommt, weil Kinder grundsätzlich kooperieren wollen.

Der Ablauf

Der praktizierende Individualpsychologe Werner Strubel empfiehlt, Familienkonferenzenzen regelmässig zu einem fest vereinbarten Termin stattfinden zu lassen. Der Termin sollte so gelegt werden, dass jeder Zeit habe, ohne auf etwas zu verzichten zu müssen, zum Beispiel sonntags nach dem Frühstück. Grundsätzlich brauchen dabei jüngere Kinder kürzere und dafür häufigere Konferenzen.

«Grundsätzlich können schon kleine Kinder an der Konferenz teilnehmen», erklärt die Schweizer STEP-Trainerin Liselotte Braun. «Sogar das Baby ist schon in der Lage, mit am Tisch zu sitzen und die wertschätzende Atmosphäre spüren.» Natürlich könne es noch nicht mitdiskutieren, und die Zeit sei sehr beschränkt, in der es ruhig bleiben kann. Aber es gewöhne sich schon an das Ritual des Familienrates. «Kinder ab etwa eineinhalb Jahren können bereits mitsprechen und altersentsprechend ihre Anliegen und Rückmeldungen formulieren lernen.»

Bei Kindern bis etwa sechs Jahren sind zum Beispiel Familienräte bis zehn Minuten und nur einem Thema sinnvoll. «Ab Schulalter kann der Familienrat etwas länger dauern, 20 bis 30 Minuten», erklärt Liselotte Braun. «Aber auch da sollte man die Zusammenkünfte lieber kurz halten, damit sich die Kinder nicht langweilen und nicht die Freude am Familienrat verloren geht.»

Hilfe und Unterstützung für den Familienrat

Lassen sich ein einem Familienrat nur schwer Lösungen finden, kann eine Drittperson den Familienrat unterstützen. Verschiedene Organisationen bieten Expertinnen und Experten an, welche Familien beistehen. Jährlich finden in der Schweiz zudem Fachtagungen zum Thema Familienrat / Family Group Conference statt. An diesen lernen Fachpersonen, wie Hilfepläne für Familien entwickelt werden und somit Familien geholfen wird. 

Was kann und soll besprochen werden?

Wer bestimmt die Themen im Familienrat? In der Praxis hat sich eine Pinnwand bewährt, an die jeder jederzeit eine Notiz heften kann. Sie kann geschrieben oder gemalt sein, Hauptsache, sie erinnert an das, was besprochen werden soll. Sinnvoll ist es, wenn die ersten Treffen ein Erwachsener leitet. Hat sich der Familienrat eingespielt, gilt es sich abzuwechseln. Frühestens ab Schulalter können Kinder mit etwas Hilfe die Leitung übernehmen.

Wer durch das Gespräch führt, achtet darauf, dass die Regeln des Familienrats eingehalten werden. Darüber hinaus führt ein Familienmitglied Protokoll – zum Beispiel in einem dicken Familienkonferenz-Buch. Kinder, die noch nicht schreiben können, können die getroffenen Beschlüsse hinein malen. In einigen Jahren macht es viel Freude, das Buch noch einmal durchzublättern!

Grundsätzlich gilt, eine gute Stimmung ist für den Fortbestand des Familienrats wichtig. Zuerst sollten Eltern und Kindern im Familienrat deshalb erfreuliche Erlebnisse austauschen. Punkte, die bei der vorangegangenen Konferenz offen geblieben sind, werden anschliessend zuerst besprochen. Danach geht es mit neuen Themen weiter. Zum Abschluss gilt es eine gemeisame Aktivität zu planen, die allen Spass macht. Die Familienrat-Leitung sollte zusammenfassen und wiederholen, worauf man sich geeinigt hat.

Gute Regeln für die Familienkonferenz

1 Eine der wichtigsten Regeln lautet: «Alle Familienmitglieder sind gleichwertig.» Papas Stimme zählt im Familienrat nicht mehr als die der Tochter, die des Sohnes nicht weniger als Mamas. Deshalb ist es auch jeder Beitrag wert, gehört zu werden. Und jedes Mitglied darf ausreden. «Diese Regel ist sehr wichtig, deshalb achtet der Leiter bzw. die Leiterin besonders darauf, dass sie eingehalten wird», erklärt Werner Strubel.

2 Doch was lässt sich sagen, wenn ein Mitglied besonders viel und lange redet? Dan kann man dem Betreffenden signalisieren, dass man ihn ernst nimmt und das Problem gemeinsam diskutieren will.  Zum Beispiel könnte man moderierend eingreifen und sagen: «Das scheint für Dich wichtig zu sein. Wir müssen jetzt auch hören, was die anderen dazu denken» schlägt das STEP-Handbuch für Eltern vor. Wer andere beleidigt, könnte mit dem Satz konfrontiert werden: «Wenn ich Beschimpfungen höre, fürchte ich, dass wir keinen Weg finden werden, zusammen zu arbeiten.»

3 Wichtig ist, dass im Familienrat Lösungen gesucht werden, die für alle zufriedenstellend sind. «Jeder soll an dem Zustandekommen einer Entscheidung mitwirken. Die Entscheidung sollte nach Möglichkeit einstimmig sein», rät daher Werner Strubel. Ideen, wie sich Lösungen finden lassen, finden sich hier: Gute Kompromisse sorgen für eine entspannte Stimmung in der Familie

4 Hat sich jemand nicht an die Regeln gehalten, kann das ein neuer Gesprächspunkt für den nächsten Familienrat werden. Vielleicht kann derjenige erklären, warum er von der Regel abgewichen ist? Möglicherweise gab es gute Gründe? Eventuell entschuldigt sich der Betroffene.
Oder hat sich gezeigt, dass die Regel nicht alltagstauglich ist? Dann sollte die Regel neu ausgehandelt werden. Sollte es jedoch sehr häufig geschehen, dass Regeln missachtet werden, hilft eine neue Vereinbarung: «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen». Sprich: Erst wenn erledigt ist, was erledigt werden soll und vereinbart ist, kommen die angenehmen Seiten des Tages zum Zuge. Das gilt dann für alle Familienmitglieder!

Wie der Familienrat das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt

Jedes Familienmitglied ist ein wichtiges! Dieses Gefühl vermittelt der Familienrat. Und er macht stolz auf die Familie: «Wir sind eine Familie, die miteinander redet, die an einem Strang zieht!» Das entspannt und macht den Umgangston fröhlich und freundlich.

Die Zeit, die in den Familienrat fliesst, lohnt sich. «Wenn offen darüber geredet wird, welche Arbeiten in einer Familie anfallen, und die Verantwortung dafür geteilt wird, werden diese Arbeiten schneller und effektiver erledigt. Gleichwertigkeit in der Familie führt dazu, dass sich alle für das Funktionieren der Familie zuständig fühlen», so Werner Strubel.

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