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IV-Rente für immer mehr junge Erwachsene mit psychischen Problemen

Viele junge Menschen sind der Arbeitswelt nicht gewachsen. Immer mehr beziehen aufgrund psychischer Einschränkungen Invaliditätsrente. Doch für die meisten entpuppt sich die IV-Rente als Sackgasse, aus der es kaum einen Ausweg gibt.

Immer mehr Junge beziehen IV-Rente
Viele junge Menschen sind der Berufswelt nicht gewachsen und beziehen IV-Rente. Foto: AntonioGuillem, iStock, Thinkstock

Die Zahl der Menschen, die aus psychischen Gründen Invaliditäts-Rente erhalten, hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht. Vor allem jungen Menschen wird aufgrund psychischer Einschränkungen immer öfter IV-Rente bewilligt. Diese dramatische Entwicklung belastet nicht nur die Rentenkasse. IV-Rente ist auch eine Sackgasse, beklagen Fachleute.

IV-Rente: Zahlen

Bereits die Hälfte aller neuen Invaliditätsrentner kann aufgrund psychischer Probleme nicht oder nur teilweise erwerbstätig sein. Die IV-Statistik des Bundesamtes für Statistikdokumentiert, dass junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren in dieser Gruppe besonders stark vertreten sind. So stiegen die Neurenten bei den jungen Erwachsenen von 2008 auf 2012 um 11 Prozent. 70 bis 80 Prozent leiden unter psychischen Beeinträchtigungen wie ADHS (Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung), Persönlichkeitsstörungen wie Borderline und Lernbehinderungen.

Wer nun glaubt, die gestiegene Zahl junger Rentner mit psychischen Beeinträchtigungen würde belegen, dass insgesamt mehr junge Menschen psychisch instabil sind, irrt. «Es gibt heute nicht mehr Menschen mit psychischen Störungen als früher. Doch psychische Krankheiten sind heute eher im Bewusstsein, und sie werden viel häufiger und professioneller behandelt als früher», sagt der Psychologe Niklas Baer, Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland, im Interview mit uns.

Hohe Anforderungen der Berufswelt treiben in IV-Rente

«Die Anforderungen der Wirtschaft an die berufliche Qualifikation der Berufseinsteiger sind gewachsen», nennt Baer noch eine weitere Ursache für die hohe Zahl junger Rentner mit psychischen Störungen. Junge Menschen mit starken psychischen Problemen scheitern an der Berufswelt. Viele finden erst gar nicht den Einstieg ins Berufsleben. Denn psychische Störungen beginnen früh. 75 Prozent aller psychischen Beeinträchtigungen manifestieren sich bereits vor dem 25. Lebensjahr. Die Chance, die Schule erfolgreich zu absolvieren, ist damit geringer – schlechte Noten oder ein fehlender Schulabschluss sind die Folgen. «Wer zum Beispiel unter Schizophrenie leidet, kann sich aufgrund von Denkstörungen nur schlecht konzentrieren», so Baer.

IV-Rente als Sackgasse

Sicher, die IV-Rente schafft eine Sicherheit, wo Invalide sonst in ein finanzielles Loch fallen. Doch die staatliche Unterstützung schränkt junge Rentner in ihrer Lebensplanung auch stark ein. «Nur einem von hundert IV-Rentnern mit psychischen Beeinträchtigungen gelingt es pro Jahr, wieder von der Rente weg zu kommen», so Baer. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind es Versagensängste, die dazu führen, dass sich die jungen Menschen kaum aus der Rente heraus an eine Arbeit wagen. Zum anderen haben sie Angst, nicht wieder den Sprung in die Rente zurück zu schaffen, sollten sie in der Arbeitswelt scheitern. «Ausserdem kann es sein, dass man mit Rente und Ergänzungsleistungen auf ein höheres Einkommen kommt als mit einer unqualifizierten Arbeit», sagt Baer. Wer tatsächlich eine Aufgabe finden sollte, die seinen Fähigkeiten entspricht, müsste sich je nachdem mit weniger Lohn zufrieden geben. «Doch Arbeit muss sich lohnen, finde ich», so Baer.

Mehr Unterstützung bei der Ausbildung nötig

Wichtig ist es, möglichst früh psychisch gestörten Jugendlichen Hilfe anzubieten. Das ist grundsätzlich möglich, denn viele Jugendliche, die später IV-Rente bekommen, fallen schon in der Schule auf. Baer setzt darüber hinaus auf Aktivierung statt Berentung: langfristig angelegte berufliche Integration mit gleichzeitiger psychiatrischer Behandlung. «Wir brauchen mehr Arbeitsplätze in der echten Arbeitswelt, als Ergänzung zu den geschützten Räumen von Behindertenwerkstätten.» Mit solchen Schritten wäre vielen geholfen, glaubt er. «Sicher, eine kleine Gruppe der jungen Rentner mit psychischen Störungen ist so schwer behindert, dass man keine Pseudo-Rehabilitation versuchen sollte. Doch vielen anderen würde mehr Unterstützung auf dem Weg in die Erwerbstätigkeit zu mehr Selbstständigkeit und Selbstwertgefühl verhelfen.»

Weiterführende Links zum Thema IV-Rente

Merkblatt Invalidenrenten der IV: www.svazurich.ch

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