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«Irgendwann stinkt es allen»: Stiefmutter sein ist eine Herausforderung

Die Stiefmutter sitzt oft zwischen allen Stühlen. Der neue Mann ist noch emotionaler Besitz der Ex, während seine Kinder die Richtung vorgeben. Autorin Susanne Petermann erklärt, wie sich ein Platz in der Patchwork-Familie finden lässt.

Stiefmutter sein ist eine Herausforderung
Eine Stiefmutter hat es in der neuen Familie nicht immer leicht. Foto: NADOFOTOS, iStock, Thinkstock

Frau Petermann, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema «Stiefmutter». Sie haben ein Buch über ihre spezielle Situation geschrieben und im Internet einen Stiefmutter-Blog eingerichtet. In welcher Situation leben die meisten Stiefmütter?

Susanne Petermann: Die meisten Frauen sind Teilzeit oder Wochenend-Stiefmütter, in vielen Fällen einmal pro Woche und alle 14 Tage ein ganzes Wochenende lang. Wenn man selbst noch keine Kinder hat, ist das eine echte Herausforderung. Quasi Pflege- oder Tagesmutter ohne Ausbildung.

Was ist es, was das Leben einer Stiefmutter besonders macht?

Wer sich in einen Mann mit Kindern verliebt, hat ihn nicht für sich allein. Schon zu Beginn der Beziehung fehlt die ruhige Verliebtheitsphase, in der sich andere Paare an den Wochenenden so herrlich einigeln. Die Kinder des Partners trudeln ein. Eine Stiefmutter muss ihren Platz in dieser Konstellation erst finden. Seine Kinder, seine Ex, der neue Mann der Ex, womöglich noch Anwälte oder das Jugendamt sind ebenfalls präsent.

Fällt es der Stiefmutter schwer, einen Platz in der Familie zu finden?

Allerdings, das ist oft nicht einfach! Stellen Sie sich folgendes Bild vor: Der Vater ist schon eine Weile von der Mutter seiner mittlerweile pubertierenden Tochter getrennt. An den Wochenenden, die Vater und Tochter seitdem gemeinsam verbrachten, sass das Mädchen auf dem Beifahrersitz seines Autos. Jetzt hat sich der Vater verliebt, die neue Partnerin will ebenfalls einsteigen. Und weil sich das Mädchen – wie gewohnt - ganz selbstverständlich neben den Vater setzt, bleibt der Frau nur die Rückbank. Die Stiefmutter möchte den Platz an der Seite ihres Partners einnehmen, aber der ist besetzt.

Lassen sich solche Konflikt-Situationen nicht im Vorfeld klären?

Ich glaube nicht. Denn über eigene Bedürfnisse und Vorlieben ist man sich lange nicht im Klaren, bis jemand über sie hinweg geht. Ich hatte letztens eine Stiefmutter am Telefon, die darüber klagte, dass die Töchter ihres Partners andere Benimmformen haben. Die Mädchen trinken zum Beispiel Milch aus der Tüte und nutzen im Bad irgendein Handtuch, so dass niemand ein eigenes hat. Für die Stiefmutter war es dagegen immer völlig selbstverständlich und wichtig, Milch aus dem Glas zu trinken und sich im Bad am eigenen Handtuch abzutrocknen. Auf ihre Einwände und Veränderungswünsche ging leider niemand ein. Bis ihre Grenzen überrannt wurden, wusste sie gar nicht, wie wichtig sie ihr waren.

Das klingt nach Fremdbestimmung …

Jede Stiefmutter hat ihre individuellen Probleme, aber eines haben alle Stiefmütter gemeinsam: Sie fühlen sich oft fremdbestimmt. Ihre Wochenenden werden vom Besuchsrhythmus der Kinder geprägt. Eine Stiefmutter kann oft nicht einmal das «kinderfreie Wochenende» frei gestalten, weil die Mutter und Ex-Partnerin Termine plötzlich verschieben will oder muss. Oft bestimmt diese, wann das Kind mit Papi Urlaub machen kann: womöglich entscheidet das Kind dann, wohin es geht.

Wie wirken sich diese Probleme auf die Paar-Beziehung aus?

Derartige Probleme müssen geklärt werden, doch viele Männer neigen dazu, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie haben wegen der Trennung ihren Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen und wollen am Kinderwochenende wett machen, was sie sonst versäumen. Dabei soll es harmonisch zugehen. Die Stiefmutter soll dann gute Miene zum bösen Spiel machen. Das klappt genauso gut, wie schmutziges Geschirr einfach unter die Spüle zu stellen, statt es abzuwaschen. Irgendwann stinkt es allen.

Und die Gefühlswelt gerät ins Wanken …

Viele Frauen fühlen sich nicht verstanden, leiden still und zweifeln an sich selbst. Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht eine Stiefmutter bei mir meldet – voller Freude, dass sie durch meinen Blog jemanden gefunden hat, der weiss, was in ihr vorgeht. Immer wieder sagen Frauen überrascht und erleichtert: «Ich wusste gar nicht, dass das, was ich fühle, völlig normal ist!» Stiefmütter haben ambivalente Gefühle. Einerseits haben sie viel Verständnis für die Gefühle des Kindes bzw. der Kinder, sie wollen Rücksicht nehmen. Doch bei dem Versuch, die eigenen Gefühle zurückzufahren, wachsen Wut, Ärger und Unzufriedenheit. Verständnis wird als Zeichen für die «gute Stiefmutter» gesehen, bei Wut und Ärger gilt sie schnell als «böse Stiefmutter». Das will keine Frau sein. Dabei sind ihre eigenen Bedürfnisse auch wichtig.

Was raten Sie einer frisch gebackenen Stiefmutter?

Erwarten Sie keine Hollywood-Szenerie! Auch wenn Sie als Stiefmutter gut klar kommen, kompliziert ist es immer. Viele Stiefmütter erzählen, dass sie eine wunderschöne und liebevolle Beziehung mit dem Partner leben. «Aber wenn wir uns streiten, dann geht es um die Kinder», höre ich immer wieder. «Da fliegen die Fetzen, dann geht es ans Eingemachte». Gehen Sie auf die Kinder ein. Aber lassen Sie sich nicht zur Alleinverantwortlichen machen! Wenn sich eine Stiefmutter am Wochenende immer allein um die Kinder kümmern muss, weil der Partner zum Fussballspiel verschwindet, empfehle ich, einen echten Warnschuss loszulassen. Dann hilft Reden allein nicht mehr weiter. So einen Drückeberger müssen Sie wachrütteln.

Wie kann die Stiefmutter einen Platz in der Patchwork-Familie finden?

«Das wird schon», sagen viele. In gewissem Sinn ist das auch richtig, weil es Zeit braucht, bis eine Patchwork-Familie zusammen wächst. Von alleine ändern sich Probleme allerdings selten. Sinnvoll ist es, sich vor dem Zusammenziehen mal in einem ruhigen Augenblick in die Wohnung zu stellen, sie auf sich wirken zu lassen und eine Antwort auf die Frage zu suchen: Was würde ich am liebsten ändern? Lautet die Antwort «Alles!», ist es besser, das Zusammenziehen aufzuschieben oder eine neue gemeinsame Wohnung zu suchen - dann werden die Karten neu gemischt. Aber auch, wenn nur wenig auszusetzen ist, sollten Veränderungen vorsichtig angegangen werden. Mit einer Hauruck-Situation macht sich eine Stiefmutter schnell unbeliebt.

Wie lassen sich eigene Kinder und Stiefkinder unter einen Hut bekommen?

Generell empfehle ich: «Mein Haus, meine Regeln!» Kinder begreifen das. Aber Stiefkinder sind sich möglicherweise andere Regeln gewohnt als die eigenen Kinder. Es ist schwierig für sie, plötzlich völlig neue Regeln bei Papi befolgen zu müssen, weil die Stiefmutter das so will. Doch wenn sie mehr dürfen als die eigenen Kinder, wird es auch Ärger geben. Hier macht ein gemeinsam festgelegter Kompromiss Sinn. «Am Wochenende kommen eure Stiefbrüder, da machen wir neue Regeln. Ihr wisst, die beiden dürfen zu Hause länger aufbleiben als ihr. Wir treffen uns mal in der Mitte. Ihr dürft länger aufbleiben, die beiden gehen etwas eher als sonst ins Bett.» So hat niemand das Gefühl, übergangen zu werden.

Wo findet eine Stiefmutter Hilfe?

Es gibt keine expliziten Beratungsstellen für Stiefmütter. Es gibt zwar Psychologen, die sich auf das Thema «Patchwork» spezialisiert haben. Doch ist es richtig, dass eine Frau zum Psychologen gehen muss, weil sie eine Beratung braucht in Sachen Patchwork? Am besten wird eine Stiefmutter von anderen Stiefmüttern verstanden. In meinem Blog gibt es eine Kontaktliste, darunter sind auch Schweizer Frauen. Hier hört niemand: «Du wusstest doch, dass er Kinder hat.» Geteiltes Leid ist halbes Leid. Auch bei Facebook gibt es Stiefmutter-Gruppen, in denen man sich austauschen kann.

Gibt es auch schöne Seiten im Stiefmutter-Dasein?

Natürlich! Die Kinder des Mannes können eine echte Bereicherung sein. Ich kenne viele Frauen, die sagen, sie hätten ein Kind «geschenkt» bekommen. Mit ihm erlebt die bisher kinderlose Stiefmutter die Welt noch einmal durch Kinderaugen. Und die Stiefmutter, die selbst Mutter ist, sieht, wie Kinder zueinander finden und Stiefgeschwister werden. Darüber hinaus taugt ein verantwortungsvoller Vater als Partner oft viel besser als der «Einsame Wolf».

Autorin Susanne Petermann

Zur Person:

In ihrem Blog gibt Susanne Petermann Einblicke in das Leben und die spezielle Problematik der zweiten Frau eines Vaters. Darüber hinaus hat sie eine Stiefmutter-Kontaktliste entwickelt, mit deren Hilfe sie Kontakte zwischen Stiefmüttern vermittelt.

 
«Du hast mir gar nichts zu sagen! Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge» von Susanne Petermann

Buchtipp:

«Du hast mir gar nichts zu sagen! Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge» von Susanne Petermann. Das Buch ist 2015 im Diana Verlag erschienen.

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