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Mutterschaftsurlaub und Elternzeit: Die Schweiz hängt hinterher

Die Schweiz hängt mit ihrem Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen anderen europäischen Staaten hinterher. In vielen Ländern gibt es eine längere Baby-Pause und zudem eine Elternzeit für Väter. Die Familienkommission EKFF will die Situation in der Schweiz ändern.

In der Schweiz haben nur Mütter Anspruch auf Mutterschaftsurlaub, für Väter gibt es keinen Elternurlaub.
In der Schweiz gibt es noch keinen gesetzlich geregelten Elternurlaub, sondern nur einen Mutterschaftsurlaub.

Wer heute ein Baby erwartet, muss sich Gedanken über die Betreuung des Kindes machen. Früher war das einfach: Die Frauen verzichteten auf ihre Karriere und blieben bei den Kindern zuhause. Die Rollenverteilung war klassisch. Der Mann, der Ernährer verdiente das Geld und die Frau kümmerte sich um Haushalt und Kinder.

Heute sind immer weniger Frauen dazu bereit, in dieses alte Rollenmuster gedrängt zu werden. Waren im Jahr 1997 noch 47 Prozent der Mütter in Partnerschaft mit einem Kind unter sieben Jahren nicht erwerbstätig, waren es zehn Jahre später nur noch 35 Prozent, so die Zahlen in einem Bericht der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen EKFF.

Mütter wollen arbeiten, sei es aus finanziellen Gründen, um wirtschaftlich selbstständig zu sein oder weil sie in der Arbeit an sich einen Wert sehen. Doch hier entsteht das Problem. Wie können Frauen Familie und Beruf miteinander vereinbaren? In der Schweiz lösen die meisten Mütter das Vereinbarkeitsproblem mit einem Teilzeitjob. Im Jahr 2007 arbeiteten etwa 46 Prozent der Frauen mit dem jüngsten Kind unter 4 Jahren in Teilzeit, häufig mit einem Pensum unter 50 Prozent.

Viele Familien sind aus wirtschaftlichen Gründen auf zwei Einkommen angewiesen. Wenn beide Eltern berufstätig sind, müssen die Kinder von anderen betreut werden. Vor allem die Grosseltern nehmen einen grossen Teil der Betreuungsarbeit ab. Doch nicht alle Familien haben das Glück, dass Grossmutter und Grossvater diese Aufgabe erfüllen können. Deshalb sind sie auf Fremdbetreuung durch Kinderkrippen, Kindergärten oder Tagesfamilien angewiesen. Die Kosten dafür sind in der Schweiz, insbesondere für Familien aus der Mittelschicht, sehr hoch. Zudem mangelt es an vielen Orten an Betreuungsplätzen.

Das macht deutlich, wie schwierig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute in der Schweiz ist. Umfragen zeigen, dass sich viele Frauen mehr Kinder wünschen, als sie tatsächlich auf die Welt bringen. Frauen mit einem Hochschulabschluss wünschen sich gemäss einer Studie des Eidgenössischen Departement des Innern aus dem Jahr 2004 durchschnittlich 2,2 Kinder. Je älter sie werden, desto stärker korrigieren sie den Wunsch nach unten. In der Realität bringen sie nur 1,2 Kinder zur Welt. Die Vermutung liegt nahe, dass die ungünstigen familienpolitischen Voraussetzungen eine Herabsetzung des Kinderwunsches begünstigen.

Die Unterstützungsleistungen für Familien in der Schweiz sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr niedrig. Mit 1,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes im Jahr 2005 liegen die Ausgaben unter dem europäischen Durchschnitt. Länder wie Dänemark oder Deutschland geben mehr als 3 Prozent aus. Das liegt unter anderem am anders geregelten Elternurlaub.

In der Schweiz gibt es erst seit 2005 eine Mutterschaftsentschädigung, die bei erwerbstätigen Frauen während 14 Wochen 80 Prozent des Erwerbseinkommens deckt. Es brauchte mehrere Anläufe bis die Mutterschaftsversicherung schliesslich im Jahr 2004 vom Schweizer Volk angenommen wurde. «Es musste erst ein Kompromiss gefunden werden und ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung stattfinden, damit dieser Vorschlag endlich durchkam», erklärt Jürg Krummenacher, Präsident der EKFF.

Auch in anderen europäischen Ländern gibt es einen Mutterschaftsurlaub. Im Gegensatz zur Schweiz kennen Länder wie Deutschland, Schweden oder Island zusätzlich einen gesetzlich geregelten Elternurlaub. Dieser sieht eine Elternzeit für Mütter und für Väter vor. In der EU soll diese ab 2012 von derzeit 3 auf 4 Monate erhöht werden. Mindestens einer der vier Monate ist nicht übertragbar. In der Schweiz gibt es bisher keinen gesetzlich geregelten Eltern- oder Vaterschaftsurlaub. Nur in einzelnen Unternehmen gewähren Arbeitgeber Vätern einige Tage Urlaub.

Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt sich, dass die Schweiz beim Thema Elternzeit weit zurück liegt.

Elternzeit und Elterngeld in anderen europäischen Ländern

 

Deutschland

Seit 2007 gibt es in Deutschland das Elterngeld, das maximal für 14 Monate ausgezahlt wird. Anspruch haben beide Elternteile. Ein Elternteil muss mindestens zwei und kann höchstens 12 Monate Elterngeld beziehen. Das Elterngeld ist niedriger als in der Schweiz, denn es entspricht 67 Prozent des Erwerbseinkommens, höchstens 1800 Euro und mindestens 300 Euro. Zuerst erhalten Mütter noch Mutterschaftsgeld, das in etwa dem Nettoverdienst entspricht. Dieses wird von der Krankenkasse und dem Arbeitgeber in den sechs Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt ausbezahlt. Das Mutterschaftsgeld wird vollständig auf das Elterngeld angerechnet.

Island

Im isländischen Modell bekommen Eltern während 9 Monaten Elterngeld. Dabei haben Mutter und Vater jeweils einen Anspruch von drei Monaten. Danach können entweder die Frau oder der Mann weitere drei Monate Elternzeit beziehen. Für die Elternzeit bekommt der Elternteil 80 Prozent seines Einkommens. In Island haben übrigens die meisten Väter die Elternzeit genutzt. Im Jahr 2004 bezogen 90 Prozent der Väter Elternzeit, im Durchschnitt etwa 97 Tage.

Frankreich

Im Anschluss an den Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen (4 Monate) können Eltern einen einjährigen Erziehungsurlaub nehmen. Dieser ist unbezahlt, garantiert dafür den Arbeitsplatz. Der Urlaub kann bis zum dritten Geburtstag zweimal erneuert werden, wodurch sich eine maximale Bezugsdauer von 36 Monaten ergibt.

Schweden

In Schweden beträgt die Elternzeit 480 Tage (etwa 1 Jahr und 4 Monate). Jeweils 60 Tage sind davon für die Mutter bzw. den Vater vorgesehen. In den ersten 390 Tagen erhält der Elternteil, der in Elternzeit geht, 80 Prozent des Bruttolohns, die restlichen 90 Tage etwa 60 Euro pro Tag.

Quelle: Eidg. Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) in «Elternzeit — Elterngeld Ein Modellvorschlag der EKFF für die Schweiz», Bern 2010

Für Väter gibt es in der Schweiz keinen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub zur Betreuung des Babys.
Nach dem Modell der EKFF sollen auch die Väter einen Teil der Kinderbetreuung wahrnehmen und bezahlten Elternurlaub bekommen.

Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) hat auf diesen grossen Unterschied zwischen der Mutterschaftsversicherung in der Schweiz und der Elternzeit in anderen Ländern aufmerksam gemacht. Im Oktober 2010 stellte sie einen umfassenden Bericht zur Elternzeit vor. Die Mutterschaftsversicherung und der in einzelnen Firmen gewährte Vaterschaftsurlaub ist aus familienpolitischer Sicht nach Ansicht der EKFF völlig ungenügend, um das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu lösen.

Denn viele Mütter bleiben in der Schweiz nach der Geburt ihres Kindes länger als 3,5 Monate zu Hause oder sie reduzieren ihre Arbeit. Um bei ihren Kindern zu bleiben, nehmen sie Einkommensverluste in Kauf, verzichten auf Karriere oder die Arbeitsplatzgarantie. Väter, die gern mehr sein wollen als Freizeitväter, verzichten mangels gesetzlicher Regelung eines Vaterschaftsurlaubs auf die Betreuung ihrer Kinder. Viele arbeiten sogar nach der Geburt ihres Sohnes oder der Tochter mehr, um Einkommensverluste, die durch das Zuhausebleiben der Mutter entstehen, auszugleichen. Für beide Partner kann das eine sehr unbefriedigende Situation sein.

Modell: Elternzeit von 24 Wochen

Das sind unter anderem Gründe, weshalb die EKFF eine gesetzliche Regelung für die Einführung einer Elternzeit und eines Elterngeldes auch in der Schweiz fordert. In ihrem im Oktober 2010 vorgestellten Bericht «Elternzeit — Elterngeld. Ein Modellvorschlag der EKFF für die Schweiz» schlägt sie vor, eine Elternzeit von 24 Wochen einzuführen, die zusätzlich zur Mutterschaftsentschädigung gewährt wird. Je vier Wochen sind davon für Mutter und Vater vorgesehen. Sie können also nur von dieser Person bezogen werden. Eine Mutter könnte so bis zu achteinhalb Monate zu Hause bleiben. Ein Vater maximal fünf Monate.

Die EKFF geht nicht davon aus, dass Väter plötzlich die Hälfte der Babybetreuung übernehmen. Im Modellvorschlag heisst es: «Dennoch kann die Elternzeit auch bei geringem Männeranteil ein allmähliches Umdenken begünstigen und längerfristig zu einer egalitären Rollenverteilung beitragen. Sie stärkt die Verhandlungsposition der Väter als Arbeitnehmende mit familiären Verpflichtungen.»

Das Elterngeld soll 80 Prozent des Einkommens entsprechen. Eltern haben die Möglichkeit dieses Elterngeld nach der Geburt oder später bis spätestens zur Einschulung des Kindes zu nehmen.

Laut EKFF wird dieses Modell bei Umsetzung rund 1,1 bis 1,2 Milliarden Franken kosten. Die Elternzeit könnte über die Erwerbsersatzordnung oder über die Mehrwertsteuer finanziert werden. Das würde im ersten Fall bedeuten, dass die Lohnprozente um 0,2 Prozent für Arbeitnehmende und Arbeitgebende erhöht werden müssten, im anderen Fall müsste der Normalsatz der Mehrwertsteuer um 0,4 bis 0,5 Prozent steigen.

Die Kosten hängen jedoch davon ab, wie hoch die Bezugsquote ist und wie die Aufteilung zwischen den Geschlechtern aussieht. Sollten die Väter mehr als die vier Wochen, auf die sie einen individuellen Anspruch haben, beziehen, wären die Kosten höher, weil die Ersatzeinkommen der Väter über denjenigen der Mütter liegen.

Die Höhe der Kosten und die Unsicherheit darüber, wer und wie viele tatsächlich das Elterngeld in Anspruch nehmen, ist ein Argument der Gegner, den Modellvorschlag abzulehnen. «Nachdem der schweizerische Sozialstaat in den letzten zwei Jahrzehnten massiv ausgebaut wurde, stehen wir vor der Herausforderung, die langfristige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten. Neue Belastungen in Milliardenhöhe würden die Lösung dieser ohnehin schon schwierigen Konsolidierungs- und Sanierungsaufgabe zusätzlich erschweren und passen überhaupt nicht in die sozialpolitische Landschaft», heisst es zum Beispiel in einer Medienmitteilung des Arbeitgeberverbandes.

Vorschlag ist bescheiden

Jürg Krummenacher von der EKFF hält dagegen, dass die Transparenz der Kosten gegeben ist. «Man könnte leicht ausrechnen, was es kosten würde, wenn beide Elternteile sich die Elternzeit teilen. Wir gehen aber davon aus, dass in der Regel die Väter vier Wochen in Anspruch nehmen und die Frauen die restliche Zeit.» Zudem sei der Vorschlag im Vergleich mit anderen Ländern bescheiden. Länder wie Schweden hätten eine viel längere Bezugsdauer. «Wir wollten einen Vorschlag machen, der auch Chancen für eine Realisierung hat. Ausserdem gab es im Kanton Genf bereits einen Vorschlag, der 24 Wochen vorsah.»

Wie lange es dauern wird, bis die Politik den Modellvorschlag der EKFF gutheissen oder zumindest diskutieren wird, ist ungewiss. «Klar ist, dass dieser Modellvorschlag nicht von heute auf morgen realisiert wird und auch nicht so übernommen wird. Es wird einiges an Überzeugungsarbeit nötig sein. Wir wollen damit eine Diskussion über Elternzeit und Elterngeld lancieren», sagt Jürg Krummenacher. Er schätzt, dass der Vorschlag in der nächsten Legislaturperiode ein Thema werden und dass es vielleicht in der übernächsten zu einer Abstimmung kommen könnte. Das ist ein ziemlich positiver Ausblick, wenn man bedenkt, dass seit 2001 drei bisherige Vorstösse zur Elternzeit auf Bundesebene abgelehnt wurden.

Weitere Informationen zum Mutterschutz und zum Modell Elternzeit und Elterngeld

  • Ihre Rechte als Mutter zum Thema Mutterschutz finden Sie in der Broschüre des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO unter www.seco.admin.ch
  • oder bei der Informationsstelle AHV/IV unter www.svazurich.ch
  • Den Bericht der EKFF können Sie unter www.ekff.admin.ch herunterladen

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