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Babys verstehen: Auf Feinfühligkeit kommt es an

Ein Baby kann noch nicht sprechen. Trotzdem können Eltern es verstehen, wenn sie seine Signale richtig interpretieren und Feinfühligkeit zeigen. Gelingt das nicht, kann das die Entwicklung eines Kindes bis ins Erwachsenenalter negativ beeinflussen. An einer Fachtagung diskutierten Experten darüber, wie besonders belasteten Familien geholfen werden kann.

Baby verstehen: Feinfühligkeit ist wichtig
Wenn sich ein Baby wohl fühlt, zeigt es das seinen Eltern. Foto: iStock, Thinkstock

Wenn ein Baby sich wohl fühlt, zeigt es das: Es schmiegt sich an Mutter oder Vater an, lächelt oder findet selbst in den Schlaf. Empfindet ein Baby Stress oder gar Angst, zeigt es das ebenso: Es spannt sich an, ballt seine Fäuste oder schreit. Eltern reagieren in der Regel intuitiv richtig auf diese Signale des Babys.

Lächelt das Baby, lächeln sie zurück, sprechen mit dem Kind und halten dabei einen kurzen Abstand ein, damit das Baby die Worte hören kann. Wenn ein Säugling beispielsweise schreit, reagieren Eltern prompt und nehmen ihn in den Arm, beruhigen ihn. Experten nennen das elterliche Feinfühligkeit oder Sensitivität.

Feinfühligkeit hat Einfluss auf Entwicklung

Wie wichtig es ist, dass Eltern feinfühlig auf die Signale ihres Baby reagieren, machten Experten an der Fachtagung «Babys besser verstehen lernen» am 7. Oktober 2011 in Freiburg deutlich. Professor Manfred Laucht vom deutschen Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim sagte während seines Referates: «Es kommt auf die Eltern-Kind-Interaktion an, wie sich die psychische Gesundheit des Kindes bis zum Beginn des Erwachsenenalters entwickelt.»

Der Forscher hat in einer Langzeitstudie, der «Mannheimer Risikokinderstudie», rund 400 Kinder der Jahrgänge 1986-87 von der Geburt bis ins Erwachsenenalter beobachtet. Dafür untersuchten er und sein Team die Entwicklungen der Kinder und das familiäre Umfeld in regelmässigen Abständen. Die Teilnehmenden waren Risikokinder. Es waren beispielsweise Frühgeburten, Kinder, deren Mutter an einer Depression litt oder Kinder, die in schwierigen sozialen Verhältnissen aufwuchsen. Das erstaunliche Ergebnis der Forscher: Eine positive frühe Eltern-Kind-Beziehung kann Risikokinder vor gesundheitsschädlichen Folgen bis ins Erwachsenenalter schützen.

Leidet zum Beispiel eine Mutter an einer sogenannten postpartalen Depression, was bei zehn bis 15 Prozent der Mütter der Fall ist, reagiert sie meist nicht feinfühlig auf ihr Baby. Sie blickt ihr Kind wenig an und spricht kaum mit ihm. Das beeinflusst die Reaktion des Säuglings. Er zieht sich zurück, vermeidet ebenso den Blickkontakt, lächelt weniger oder quengelt und schreit häufiger. Das wiederum ärgert die Mutter, die sich oft hilflos fühlt.

Wenn Babys nicht verstanden werden

Diese negative Interaktion zwischen Mutter und Baby beeinflusst das Kind in seiner Entwicklung. Häufig haben diese Kinder später Probleme Kontakte zu anderen Menschen zu knüpfen, sie sind sehr ängstlich oder leiden an ADHS. Gelingt es der Mutter aber ihre Depression nicht zu zeigen und feinfühlig auf das Baby zu reagieren, zeigt ihr Kind später weniger psychische Auffälligkeiten, fast so wenig wie Kinder von psychisch gesunden Müttern. Denn die emotionale Sicherheit und Verlässlichkeit, die ein Baby in den ersten Monaten von den Eltern erhält, ist Grundlage dafür, im späteren Leben belastende Situationen zu meistern.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Jörg Bock, Privatdozent an der deutschen Universität Magdeburg. Der Biologe untersuchte bei jungen Tieren den Einfluss ungünstiger Bedingungen wie Stress auf die Entwicklung des Gehirns. Er fand heraus, dass negative emotionale Erfahrungen im Babyalter wie beispielsweise ein Missbrauch eine Fehlentwicklung im Gehirn zur Folge haben, was später Verhaltensstörungen oder andere Erkrankungen auslösen kann. «Für eine optimale Entwicklung der Hirnfunktion, ist eine optimale Interaktion notwendig», sagte Bock.

Da feinfühlig auf das eigene Baby zu reagieren nicht allen Eltern leicht fällt, schlug Manfred Laucht vor, die Erziehungskompetenz der Eltern frühzeitig zu fördern. Besonders Risikogruppen sollten schon früh begleitet werden. Dieser Meinung waren auch andere Experten an der Tagung, die ihre Angebote für Eltern vorstellten.

Das Freiburger Feinfühligkeitstraining

Yves Hänggi vom Institut für Familienforschung und –beratung an der Universität Freiburg stellte das Freiburger Feinfühligkeitstraining vor. Dieses kurze Training ist für Eltern mit Babys im Alter von 6 Monaten gedacht. Es gibt vier Sitzungen zu je anderthalb Stunden, in denen die Eltern lernen, die Signale des Kindes richtig zu interpretieren. Wichtiger Bestandteil des Kurses ist ein Videofeedback. Dafür werden die Eltern in einer Interaktion mit ihrem Baby gefilmt, was anschliessend besprochen wird.

In einer ersten Studie konnte der Forscher zeigen, dass das Training kurze und langfristig kleine, positive Effekte hatte. Profitiert haben vor allem Mütter, die eine konservative Einstellung zur Kindererziehung hatten, weniger gut mit Stress umgehen konnten und sich als Mutter weniger zutrauten. Hänggi sagte: «Meine Vision ist, dass solche Feinfühligkeitstrainings so selbstverständlich werden, wie ein Geburtsvorbereitungskurs.» Dazu fehle derzeit aber noch das Grundverständnis sowie das nötige Geld. Hier sei die Politik gefragt.

Mehr zum Freiburger Feinfühligkeitstraining erfahren Sie unter www.unifr.ch

Schreit ein Baby, müssen Eltern das Signal richtig deuten können.
Eltern mit Schreibabys erhalten in Basel in der Schreisprechstunde Hilfe.

Die Schreisprechstunde in Basel

Seit 1998 werden Eltern, deren Babys exzessiv schreien und Schlaf- oder Essprobleme haben in einer interdisziplinären Sprechstunde in Basel beraten. Sie wird vom Universitäts-Kinderspital beider Basel sowie von der Kinder- und Jugendpsychatrischen Klinik für Eltern mit Kindern bis 5 Jahre angeboten. An der Tagung wurde die Schreisprechstunde von Kinderarzt René Glanzmann und Psychologin Margarete Bolten vorgestellt.

In der Sprechstunde werden medizinische Untersuchungen gemacht. Zudem erhalten Eltern einen Fragebogen. Sie werden dazu ermuntert ein Schlaftagebuch beziehungsweise ein Schreitagebuch zu schreiben. Auch ein Videofeedback kann einbezogen werden.

Mehr zur Schreisprechstunde erfahren Sie unter www.ukbb.ch und www.upkbs.ch

Keiner fällt durchs Netz

In Deutschland wird in einigen Regionen das Projekt «Keiner fällt durchs Netz» angeboten, das Psychologin Marisa Benz an der Tagung vorstellte. In einem Elternkurs lernen Eltern die Signale des Babys zu verstehen. Anschliessend werden die Eltern weiterhin von einer Familienhebamme während des ersten Lebensjahres des Babys betreut. Das hat den Vorteil, dass auch diejenigen Eltern, die kein Interesse an Elternkursen haben, durch die Hebamme erreicht werden. So ist es möglich, dass Risikofamilien nicht durchs Netz fallen.

Mehr zum Projekt «Keiner fällt durchs Netz» erfahren Sie unter www.keinerfaelltdurchsnetz.de

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