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«Für Kinder, die Sport treiben, ist es wichtiger, viel zu essen, als perfekt zu essen»

Geht dein Kind drei oder vier Mal in der Woche zum Sport ? Dann braucht es eine Menge Energie und sollte vermutlich mehr Kalorien zu sich nehmen, als sich die meisten Eltern vorstellen. Viele Kinder, die intensiv Sport treiben, sind darum unterernährt, weiss der Ernährungsdiagnostiker Jürg Hösli. Warum es vor dem Sport Kuchen und während des Trainings kein Wasser geben darf, erklärt er im Interview.

Gruppe Kinder übt im Fussballtraining Slalom laufen.
Ob Fussballtraining, Gymnastik oder Turnverein – Kinder, die viel Sport machen, sollten viel essen, um ihren Energiebedarf zu decken.  © GettyImages Plus, JulieanneBirch

Herr Hösli, viele Schweizer Kinder sind in Sportvereinen, trainieren mehrmals in der Woche und machen bei Wettkämpfen oder Turnieren mit. Das braucht Energie... Wie viel Kalorien mehr müssen intensiv sporttreibende Kinder im Vergleich zu weniger aktiven Kindern zu sich nehmen?

Jürg Hösli: Kinder, die mehrmals in der Woche trainieren, brauchen überdimensional mehr Kalorien – weit mehr, als sich die meisten Erwachsenen vorstellen können. Im Schnitt verbrauchen sie 3.000 Kilokalorien täglich. Sie bräuchten eigentlich fünf bis sechs Mahlzeiten.

So viel Essen bereitzustellen, kann für Eltern zum Stress werden …

Ja. Denn nicht alle Eltern haben Zeit, jeden Tag grosse Mengen zuzubereiten. Andere stehen sich bei der Nahrungsbereitstellung selbst im Weg, weil sie ihr Kind am liebsten ausschliesslich gesund ernähren wollen. Auch für die Kinder kann das viele Essen zum Problem werden. Manche leiden zum Beispiel unter Verdauungsstress, andere haben einfach nicht so viel Appetit.

Juerg Hoesli
© zvg

Der Ernährungsdiagnostiker Jürg Hösli ist spezialisiert auf das Thema Sport: Er ist leitender Ernährungsberater in verschiedenen Nationalverbänden – darunter der Deutsche Radsportbund und Swiss Volley. Darüber hinaus hat er das erpse Institut mitgegründet, das Ernährungsberatung mit Bewegung, Sport und psychologischen Elementen verbindet.

Heisst das, das viele sporttreibende Kinder unternährt sind?

Ja, und das ist ein Problem. Kinder, die zu wenig essen, werden nicht nur körperlich dünnhäutig, sie können auch psychisch dünnhäutig werden. Sie werden fahrig, die Konzentration nimmt ab, manche werden aggressiv. Das ist genau das, was Eltern nicht wollen.

Welche Lösung gibt es da?

In der Regel ist für intensiv sporttreibende Kinder wichtiger, viel zu essen, als perfekt zu essen, insbesondere dann, wenn sie wenig körperliche Substanz haben.

Trotzdem sollte sicher nicht auf Vitamine und Mineralstoffe verzichtet werden, oder?

Wenn Kinder drei Mal am Tag – also zu den Hauptmahlzeiten – gehaltvoll und ausgewogen essen, brauchen Eltern sich nicht zu sorgen, dass Vitamine oder Mineralstoffe fehlen könnten. Auch dann nicht, wenn ein Kind keine Früchte mag – denn dann mag es sicher einen kleinen Obstsmoothie. Und wenn ein Kind gar kein Gemüse isst, ist ein Multivitamin-Getränk ein sinnvoller Ersatz.

Nährstoffmangel ist selten ein Problem?

Sicher, es gibt immer ein Optimum. Doch bei den meisten Kindern sind wir in der Sportberatung vor allem froh, wenn sie genügend essen, dazu gehört auch ein bisschen Soulfood.

Drei Hauptmahlzeiten reichen also?

Neben drei Hauptmahlzeiten braucht das Kind Snacks für zwischendurch – zum Beispiel Nüsse, Vollkornkräcker, belegte Brötchen und Früchte. Und es muss nicht immer alles super gesund sein – es darf auch mal etwas Süsses sein. Ein Kuchen zum Beispiel!

Was brauchen Kinder vor dem Sport und vor den Wettkämpfen?

Etwa vier bis fünf Stunden vor dem Sport ist ein guter Zeitpunkt, eine Hauptmahlzeit zu sich zu nehmen. Denn das Essen benötigt etwa vier Stunden, um den Magen zu passieren. Etwa eineinhalb Stunden vor dem Wettkampf kann das Kind noch mal eine Kleinigkeit essen, zum Beispiel einen nicht zu fettigen Kuchen. Eine Banane eine halbe Stunde vor Beginn des Sportereignisses gibt noch mal einen Schub Energie. So bekommt das Kind genügend Vitamine und Mineralstoffe.

Haben sporttreibende Kinder auch einen höheren Eiweissbedarf?

Aktive Kinder brauchen zwischen 1,2 g Eiweiss bis 2 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht täglich. Im Vergleich dazu liegen andere Jugendliche mit 0,8 bis 1 g deutlich tiefer, wobei diese Standardwerte als sehr tief angesehen werden sollten. Der Mehrbedarf lässt sich leicht ausgleichen – zum Beispiel nach dem Training mit einem Quark oder Skyr mit 7 bis 14 Gramm Eiweiss pro 100 Gramm. Ein Proteindrink ist nicht nötig, aber schadet auch nicht.

Sind Energie- und Proteinriegel schädlich?

Theoretisch braucht man sie nicht, aber praktisch leider oft! Das heisst: Energie- und Proteinriegel sind unnötig, wenn das Kind sich wohlfühlt und gut ernährt ist. Ein Eiweissriegel zur Ergänzung kann aber sinnvoll sein, wenn die Mahlzeiten an einem Tag schmal ausgefallen sind. Oder wenn Jugendliche einfach zu wenig Appetit haben und nur wenig essen wollen. Sollte es in diesen Fällen einen Proteinriegel geben, den sie besonders mögen, können sie ihn gefahrlos zwei oder drei Mal am Tag essen. Viele Haferflockenriegel sind heute gut zusammengesetzt. Von einem reinen Zuckerriegel rate ich aber ab.

Wieviel sollten Kinder, die intensiv Sport treiben, trinken?

Alle Kinder sollten etwa 30 ml Flüssigkeit pro Kilogramm Körpergewicht täglich trinken! Das sind eineinhalb bis zweieinhalb Liter. Hinzu kommt an Sporttagen ein halber Liter bis dreiviertel Liter, an heissen Sporttagen sogar ein Liter.

Was sollten die Kinder trinken?

Kinder sollten während dem Sport nicht nur Wasser trinken! Denn die Menge an Energie, die sie brauchen, können sie oft nicht allein über feste Nahrung aufnehmen. Deshalb darf es während des Sports ein Sportgetränk geben. Es enthält unter anderem Kohlenhydrate, ein bisschen Salz und Kalium und ersetzt schon eine dreiviertel Mahlzeit. So reduziert es den Verdauungsstress für das Kind. Apfelschorle sollte das Kind nicht regelmässig trinken. Ihre Säure greift den Zahnschmelz an.

Gelten für alle Sportarten die gleichen Tipps?

Ja, im Kindesalter im Prinzip schon, denn hier geht es vor allem darum, dass die Kinder genügend Energie für Sport, Schule und Wachstum haben. Aber in einigen Sportarten beraten die Trainer*innen die Eltern nicht richtig, wie eine sinnvolle Ernährung beschaffen sein sollte. Denn in Sportarten wie rhythmischer Sportgymnastik, Turnen oder Klettern müssen Kinder möglichst schlank und leicht sein, um bei Wettkämpfen erfolgreich zu sein. Eltern sollten zum Wohl des Kindes eine sachverständige Fachperson beiziehen, damit das Kind nicht unterernährt wird. Jedes Kind braucht genügend zu essen!

Sollte man bei sporttreibenden Kindern Kalorien zählen?

Nein! Sport ist für Kinder eine Gelegenheit, spielerisch mit ihrem Körper umzugehen und ihren Körper kennenzulernen. Sie entwickeln Intuition und ein Körpergefühl. Wenn Überkontrolle schon in der Kindheit stattfindet, kann keine Intuition entstehen.

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