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Plötzlich alleinerziehend: Wenn der Partner stirbt

Der Ehemann von Sandra Ackermann starb im Januar 2010 sehr kurzfristig an Krebs. Sie blieb mit drei Knaben im Alter von drei, fünf und sieben Jahren verwitwet zurück. Im Gespräch schildert Sandra Ackermann die schwierigen zwei Jahre danach, ihre Erfahrungen mit den Behörden, dem persönlichem Umfeld, mit ihren Kindern und mit sich selbst. 

Wer plötzlich verwitwet ist, muss sein Leben neu sortieren.
Wenn der Partner stirbt, müssen Verwitwete ihr Leben neu organisieren. Foto: iStockphoto, Thinkstock

Wie läuft es aus Behördensicht ab, wenn ein Partner beziehungsweise eine Partnerin stirbt?

Mein Mann und ich waren seit 2004 verheiratet, hatten aber keinen Ehevertrag. Hätten wir diesen gehabt, wäre ich Alleinerbin gewesen. Aber so waren meine drei Kinder auch erbberechtigt. Die Hälfte der Eigentumswohnung gehörte bereits mir, die andere Hälfte meinem Mann. Von seinen 50 Prozent erbte ich 50 Prozent und die restlichen 50 Prozent wurden unter meinen Kindern aufgeteilt. Die Ferienwohnung im Engadin hingegen gehörte nur meinem Mann; ich war nicht im Grundbuch eingetragen. Da gehört je die Hälfte mir und den drei Kindern.

Ab einem Vermögen über 100'000 Franken muss ein/e Notar/in beigezogen werden. Und in unserem Fall (da die Kinder noch minderjährig sind) noch zusätzlich die Beauftragte vom Amt für Kinderschutz. Sie musste dem Erbschaftsvertrag zustimmen, unterzeichnen und war auch bereits bei der Aufnahme des Erbschaftsinventars hier bei uns dabei. Jedes Kind hat einen bestimmten Betrag auf seinem Konto. Falls eine grössere Anschaffung notwendig wird, die ich von meinen Einnahmen nicht decken kann, könnte ich von den Konten der Kinder Geld beziehen, jedoch immer in Rücksprache mit dem Amt für Kinderschutz.

Ist das üblich? Das entspricht ja einer Art Bevormundung?

Ja, das ist so, wenn minderjährige Kinder erben, um dadurch Missbrauch vorzugreifen. Der Elternteil könnte das Geld, das den Kindern gehört, ja auch «verpulvern».

Wie ist das Vorgehen betreffend der Witwen- und Halbwaisenrenten? Begann das Verfahren auch – wie beim Erbschaftsprozess – unmittelbar nach dem Tod Ihres Ehemanns?

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Mehr zum Thema Alleinerziehende gibt es unter www.einelternfamilie.ch

Mein Mann starb im Januar 2010. Definitiv gewusst, wie hoch die Witwen- und die drei Halbwaisenrenten, die wir je von AHV und Pensionskasse erhalten, ausfallen, habe ich erst ungefähr im Mai 2010. Ich empfand das als lange Zeit. Zum Glück erhielt ich während drei Monaten nach dem Tod meines Mannes noch eine Lohnfortzahlung. Darüber war ich sehr froh. Denn es war – nebst der ganzen Situation – eine grosse Sorge, nicht zu wissen, wie viel Geld ich genau erhalte. Das hätte ich am liebsten sofort gewusst. Mit dem Lohn einer Buchhändlerin – auch wenn ich 100 Prozent arbeiten würde – könnte ich nicht eine vierköpfige Familie ernähren. Das ist unmöglich. Zum Glück geht es uns gut und ich habe finanziell keine Sorgen. Dies unter anderem auch, weil mein Mann 13 Jahre älter war als ich und dadurch auch länger in AHV und Pensionskasse einbezahlt hat.

Wie war der Prozess bezüglich Renten. Mussten Sie die entsprechenden Ämter kontaktieren oder lief der Prozess automatisch ab?

Ja, ich musste nichts unternehmen. Allerdings kontaktiere ich den ehemaligen Arbeitgeber meines Mannes. Der Personalverantwortliche hat mich auch bereits vor dem Tod meines Mannes über alles informiert, soweit er überhaupt konnte.

Wie lange erhalten Ihre Kinder die Halbwaisenrente?

Sie erhalten diese Renten (AHV und Pensionskasse) bis sie ihre erste Ausbildung abgeschlossen haben. Sollten sie beispielsweise studieren, würden sie die Renten bis ca. 25-jährig erhalten.

Können Sie sich vorstellen, dass es auch Fälle gibt, bei denen diese Behördengeschichten schwieriger sind?

Ja, wenn beispielsweise ein Elternpaar nicht verheiratet ist. Da bekomme ich nur schon beim Gedanken daran den blanken Horror. Nebst allen emotionellen Tiefgängen noch zusätzlich finanzielle Sorgen zu haben! Das heisst, mindestens einen 80-Prozent-Job annehmen, die Kinder mindestens vier Tage in die Tagesschule schicken. Ich wäre völlig an meine Grenzen gestossen.

Als unser erstes Kind Louis auf die Welt gekommen ist, waren wir noch nicht verheiratet. Als ich mit dem zweiten Kind, Gilles, schwanger war, wollte ich heiraten, um mich abzusichern.

Gäbe es Ihrer Meinung nach etwas, das die Behörden  für Menschen in Ihrer Situation optimieren könnten?

Ja, dass das Angebot gemacht wird, einem jemanden zur Seite zu stellen. Ich habe völlig die Übersicht über alle Papiere verloren. Ich wusste nicht mehr, was ich zuerst erledigen musste, z.B. Handyabonnement meines Mannes kündigen, seinen Telefoneintrag löschen usw. Ich musste die Rechnungen bezahlen, was zuvor immer mein Mann erledigt hatte. Zum Glück hat mich dann meine Notarin kompetent unterstützt und geholfen, Ordnung in den ganzen Papierkram zu bringen.

Es gibt Situationen, wie beispielsweise zum Bestattungsunternehmen gehen, die ich noch nie erlebt habe zuvor. Das erwartet man ja auch nicht als 38-Jährige. Zum Glück haben mich dabei Freunde begleitet.

In Deutschland gibt es Trauerbegleiter und -begleiterinnen. Da kommt, wenn dies gewünscht wird, regelmässig jemand zur Trauerfamilie ins Haus und unterstützt, wo immer notwendig.

Würden Sie das wollen, dass eine wildfremde Person zu Ihnen kommt, wenn es Ihnen eh nicht gut geht und Sie trauern?

Nein, das nicht. Aber es müsste ja auch nicht gleich unmittelbar nach dem Todesfall sein. Ich könnte mir vorstellen, dass irgendwann – vielleicht nach einem halben Jahr – das Bedürfnis nach Unterstützung kommt. Es könnte helfen, jemanden zu treffen, der weiss, wie mit der Situation umzugehen und in diesem Umfeld vernetzt ist.

Das heisst, jemand der weiss, wie mit Trauer umzugehen?

Ja, denn ich habe meine eigene Trauer. Aber ich habe auch noch drei Kinder, die trauern. Wie kann man ihnen helfen, wie sie unterstützen? Was benötigen sie? Einfach Unterstützung in dieser für alle sehr schwierigen Situation.

Verwitwet: Wie gehen Kinder mit dem Tod des Vaters um?
Kinder reagieren ganz unterschiedlich, wenn ein Elternteil stirbt. Foto: © Getty Images,  Jupiterimages,  Photos.com, Thinkstock

Wie gehen Ihre Kinder mit dem Tod des Vaters um, und auch mit ihrer trauernden Mutter?

Die Kinder haben sehr unterschiedlich auf den Tod ihres Vaters und meine Trauer reagiert, wenn ich beispielsweise mal wieder geweint habe. Zu Beginn haben sie mich sehr intensiv umarmt. Dann wollten der Ältere und der Jüngste nur noch wissen, was ich habe (ah es ist wegen Papa) und gingen dann wieder spielen. Gilles hingegen weicht nicht von meiner Seite, bis es mir wieder besser geht.

Meine Kinder sind auch heute noch manchmal traurig. Noé, der Kleinste, hat kürzlich geweint und gefragt, weshalb er nicht mehr wisse, wie sein Papa ausgesehen hat. Das erfordert sehr viel Einfühlungsvermögen von mir.

Wie reagierte Ihr persönliches Umfeld auf den Todesfall?

Meine Freunde haben mich intensiv unterstützt und begleitet. Meine Trauer ist kein Tabu und sie fragen auch immer wieder, wie es mir geht. Eine Freundin beispielsweise übernachtete während der ersten Zeit einmal pro Woche bei mir. Auch heute noch treffen wir uns einmal pro Woche.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Ihre Freunde und Bekannten irgendwann wieder in die «Normalität» zurück und nicht mehr über Ihre Trauer sprechen wollten, oder sich sogar zurückzogen?

Nein, diese Erfahrung habe ich zum Glück nicht gemacht. Klar, die Leute sind auch an ihre Grenzen gestossen, vor allem meine Mutter und meine Schwester. Dies insbesondere, als ich wirklich nicht mehr konnte und für fünf Wochen in eine Klinik musste.

Wer sorgte während der Zeit Ihres Klinikaufenthalts für Ihre drei Kinder?

Meine Mutter wohnte bei uns. Unterstützt wurde sie durch zwei Tanten und eine Nachbarin. Zudem besuchten meine Kinder damals die Tagesschule etwas häufiger. Diese Zeit war für meine Kinder wahnsinnig schwierig zu bewältigen.

Sie betreuen inzwischen Ihre Kinder wieder vollumfänglich?

Es ist manchmal sehr schwierig, weil ich gelegentlich in depressive Momente versinke. Und dann ist die Betreuungsarbeit besonders schwierig. Kein Mensch kann 7 Tage pro Woche permanent betreuen. Ich realisiere, dass ich beispielsweise alle sechs Wochen ein Wochenende vollumfänglich für mich benötige. 

Ist es nicht selbstverständlich, dass man auch Zeit für sich benötigt?

Das unterscheidet mich von anderen Alleinerziehenden. Dort darf das Kind zum Beispiel jedes zweite Wochenende und während einiger Ferienwochen zum Vater. Dadurch ist eine gewisse Entlastung der Mutter vorhanden.

In meiner Situation ist es sehr kompliziert, meine Kinder unterzubringen. Wenn ich mich entlasten will, muss ich das langfristig organisieren. Zum Glück haben wir den Wohnort nicht gewechselt, so dass meine Kinder weiterhin im gewohnten Umfeld leben können.

Wann ist eine Verwitwete bereit für den neuen Mann?
Verwitwet? Wann ist man bereit für die neue Liebe? Foto: altrendo images, Stockbyte, Thinkstock

Ist ein neuer Partner ein Thema für Sie?

Ja, ich habe relativ rasch wieder einen neuen Partner gefunden. Wir haben uns beruflich kennengelernt. Er ist seit sieben Jahren verwitwet, hat ebenfalls drei, allerdings erwachsene, Kinder. Und weil wir Ähnliches erlebt haben, gab es von Beginn weg eine emotionale Verbindung. Wir haben viel miteinander gesprochen. Er sagt, dass die Trauer – sogenannte «emotionale Löcher» –  vorbeigehen werde, dass die Abstände immer grösser werden. Er ist mir voraus. Er hat ein grosses Verständnis.

Der Unterschied ist, dass ich immer wieder an meine Grenzen stosse. Das Pensum, das ich zu absolvieren habe, ist manchmal schon für zwei Elternteile zu viel. Und nun muss ich das alleine stemmen. Und ich kann es nicht verneinen, dass mir mein Ehemann immer wieder fehlt. 

Wohin geht jetzt meine Liebe? Das war ein starkes Gefühl nach dem Tod meines Mannes. Es ist wichtig, ein Gegenüber zu finden. Das ist ein riesiges Glück.

Wie reagieren Ihre Kinder auf Ihren neuen Partner?

Ich hatte eigentlich Angst vor der ersten Begegnung. Aber die Begegnung verlief recht unkompliziert, es scheint, dass sie ihn akzeptieren. Inzwischen haben wir eine gute Form gefunden, d.h. er nimmt auch etwas Platz in unserer Familie ein.

Sie besuchen die Selbsthilfegruppe «Aurora» (siehe Kästchen)?

Ich gehe nicht regelmässig an die Treffen dieser Gruppe. Aber der Verein organisiert jährlich eine Ferienwoche für Betroffene – dieses Jahr in Adelboden. Vor allem mein Sohn Louis will unbedingt teilnehmen; ich werde mit meinen drei Söhnen gehen.

Was macht dieses Angebot für Ihren Sohn Louis so interessant? Ist es der Ferienort Adelboden oder der Kontakt mit Kindern von Alleinerziehenden?

Louis ist sehr interessiert an Kindern, die nur noch ein Elternteil haben. Er hat mich auch schon gefragt, ob es in der Schule noch andere Kinder habe, die keinen Vater mehr haben.

Was ist Ihre grösste Herausforderung seit dem Tod Ihres Mannes?

Die alleinige Verantwortung zu tragen für die Familie, für alles. Ich habe Angst, unter dieser Last zu versinken. Diese Verantwortung kann ich nicht delegierten, die bleibt immer.

Was raten Sie einer Frau, einem Mann in einer ähnlichen Situation wie Ihrer?

Lernen, sich einzugestehen, dass man nicht alles alleine machen kann. Und das heisst konkret: Hilfe annehmen, nicht alles selber machen wollen. Nicht erwarten, dass die Hilfe von einer einzigen Person kommt, sondern von verschiedenen Menschen. Das eröffnet neue Chancen. Ein zweiter Rat ist, die Hilfe präventiv aufzugleisen und nicht erst dann, wenn die Krise da ist.

Verein AURORA: Kontakt- und Informationsstelle für Verwitwete mit Kindern

Ziel des Vereins ist es, Menschen zu unterstützen, beraten und auf ihrem schweren Weg zu begleiten. Wer von seinem Lebenspartner oder seiner Lebenspartnerin unerwartet verlassen wird, sei es durch Unfall, Krankheit oder Suizid, steht vor einer Flut von Problemen. Diese Anliegen greift AURORA auf. Besonders schmerzhaft sind die Erfahrungen, wenn Verwandte, Freunde und Nachbarn sich zudem schwer tun, auf sie zuzugehen. Der Verein AURORA bietet den Betroffenen Hilfe an. Hier haben sich Verwitwete mit minderjährigen Kindern zusammengeschlossen. Für die Kinder ist es sehr wichtig die Erfahrung zu machen, dass es noch andere gibt, bei denen der Papi oder das Mami gestorben ist. Die gemeinsamen Ferien sind ein wichtiges Ereignis. Kinder helfen und stützen sich gegenseitig, tauschen sich aus...    Der Verein versteht sich als Lobby für verwitwete Mütter und Väter und ihre minderjährigen Kinder. Er will das Verständnis in der Gesellschaft für die Probleme und Anliegen dieser Menschen fördern.

Kontakt: Fliederweg 21, 4303 Kaiseraugst, Tel. 055 440 85 70, www.verein-aurora.ch

Es gibt verschiedene Regionalgruppen in der ganzen Schweiz.

 

Autor: Esther Kälin Plézer, Quelle: Erschienen in EinElternForum 2/2012, herausgegeben von: Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter SVAMV, Caritas Bern, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Verein frabina Beratungsstelle für Frauen und binationale Paare. www.einelternforum.ch

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