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«Was brauchen Alleinerziehende heute?»

Im Leben von Alleinerziehenden hat es eigene Herausforderungen. Was brauchen Einelternfamilien, um diese zu bewältigen, und was ist an Unterstützung nötig? Der Vortrag von Anna Hausherr hat sich am Kongress «Alleinerziehen im 21. Jahrhundert» mit der Frage beschäftigt, wie Stolpersteine für Einelternfamlien vermieden und beseitigt werden können.

Alleinerziehende stehen vor vielen Herausforderungen.

Gerade bei Alleinerziehenden sollte die gemeinsame Familienzeit nicht zu kurz kommen. Foto: iStock, Thinkstock

Stolpersteine für Einelternfamilien finden sich auf drei Ebenen. Die erste ist die Ebene der rechtlichen Rahmenbedingungen und des Systems der sozialen Transferleistungen und Steuern, die den Einelternfamilien Armutsfallen stellen – finanzielle und auch zeitliche.

«Ich arbeite mehr, bin aber mit meinen Kindern finanziell immer noch am Existenzminimum. Mein Lohn ist zwar höher, dafür erhalte ich keine Alimentenvorschüsse mehr, und ich habe mehr Kosten für die Kinderbetreuung. Und wir haben weniger Familienzeit.». Das ist eine typische Geschichte.

Keine Alimente zahlen ist immer noch Kavaliersdelikt

Weitere Benachteiligungen kommen hinzu. Warum zum Beispiel ist es die Einelternfamilie, die zum Sozialamt muss, wenn das Einkommen nicht reicht und der getrennt lebende Vater (oder weit seltener die getrennte Mutter) seine Kinderkosten nicht bezahlen kann? Oder warum müssen Alleinerziehende die Kinderalimente – also die Kinderkosten des andern Elters – als ihr eigenes Einkommen versteuern, wenn Kinderalimente bezahlt werden? Solche Diskriminierungen sind Ausdruck der Stolpersteine für Einelternfamilien, die in den Köpfen der Entscheidungsträger und -trägerinnen liegen. Zum Beispiel zeigt der staatliche Umgang mit den Unterhaltsbeiträgen für Kinder, dass es als Kavaliersdelikt angesehen wird, seine Kinder finanziell im Stich zu lassen, vor allem wenn man nicht mit ihnen wohnt.

Das Familienmodell, bei dem die Eltern der Kinder je für sich allein stehen und kein Paar sind, hat seine eigenen Vorteile und Chancen, die es zu nutzen gilt.

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Problemfall Behörden

Weitere Stolpersteine liegen auf der Ebene der Behörden und Dienste, mit denen Alleinerziehende besonders häufig zu tun haben, einerseits weil sie überproportional von Armut betroffen sind, aber auch weil der Status „alleinerziehend“ an sich Verfahren mit Behörden nach sich zieht. Zum Beispiel die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung von Unterhaltsbeiträgen oder die Ausgestaltung von Besuchsrechtsregelungen. Solche Verfahren können gerade erst die Ursache sozialer und auch finanzieller Probleme für Einelternfamilien bilden, weil das juristische Basiswissen fehlt – nicht nur bei den Alleinerziehenden, sondern auch bei den Behörden. Das ist das Fazit des Gutachtens „Möglichkeiten des Rechtsschutzes für Alleinerziehende bei sie existenziell betreffenden Verfahren bei und mit Behörden“, das der Schweizerische Verband für alleinerziehende Mütter und Väter (SVAMV) erstellen liess.

Stolpersteine im eigenen Bewusstsein

Stolpersteine liegen schliesslich auch auf der Ebene des individuellen Bewusstseins bei den Alleinerziehenden selbst. „All die Jahre war ich froh um den SVAMV. Nun habe wieder einen lieben Partner gefunden und bin ich nicht mehr alleinerziehend.“ So oder ähnlich schreiben immer wieder Alleinerziehende an den SVAMV. Immer ist in den Briefen die Erleichterung zu spüren, sich vom Status „alleinerziehend“ verabschieden zu können. Das ist kein Wunder, denn Einelternfamilien werden in der Öffentlichkeit meist als Problemgruppe dargestellt. Und auch heute noch werden – im Gegensatz zur Zweielternfamilie – ihre Probleme gerne auf die Familienform und nicht auf die Lebensumstände zurückgeführt. Die enorme Leistung und die besonderen Qualifikationen der alleinerziehenden Eltern sind kaum ein Thema. Vorurteile nicht zu verinnerlichen und nicht zu versuchen, die akzeptierte Paarfamilie wieder herzustellen, das sind grosse Herausforderungen für Alleinerziehende.

Was brauchen Einelternfamilien nun speziell im Umgang mit diesen Stolpersteinen, und um sie zu überwinden? Um beim zuletzt Gesagten anzuknüpfen:

  • Einelternfamilien brauchen eine sichere Identität. Die Einelternfamilie wird gerne als vorübergehende Phase wahrgenommen. Dass Einelternschaft sehr unterschiedlich definiert wird, trägt zusätzlich zur Verunsicherung bei. Am meisten Klarheit schafft eine Definition, die sich an der Aufgabe Alleinerziehen orientiert: Alleinerziehende sind zum einen Eltern, die die elterliche Sorge und damit die rechtliche Obhut über ihre Kinder alleine innehaben. Zudem werden diejenigen Eltern zu den Eineltern gezählt, bei denen der getrennt lebende andere Elter zwar die elterliche Sorge auch innehat, die aber die faktische Obhut über ihre Kinder alleine ausüben. Aus dieser Perspektive ist Alleinerziehen eine Aufgabe, die bleibt. Sie kann mehr oder weniger schwer sein oder schwer gemacht werden. Unterstützung, zum Beispiel durch einen Partner, eine Wohngemeinschaft usw., hebt die Aufgabe aber nicht auf, sondern macht sie allenfalls leichter.
  • Dazu brauchen Alleinerziehende besonderes Wissen und Können. Die Einelternfamilie erfordert umfassendere elterliche Kompetenzen als die ursprüngliche Zweielternfamilie. Insbesondere braucht es rechtliche Kenntnisse. Viele Alleinerziehende werden mit der Zeit zu wahren Spezialistinnen. Aber der Weg dahin ist oft sehr mühsam, und mit schlechten Erfahrungen gepflastert.
  • Einelternfamilien brauchen Unterstützung, um zu ihrem Recht als Alleinerziehende zu kommen. Das Gutachten, das ich bereits erwähnt habe, empfiehlt dem SVAMV, Einelternfamilien mit der Vermittlung von juristischem Basiswissen zu unterstützen – Vermittlung an die alleinerziehenden Eltern und auch an Mitarbeitende von Behörden. Ausserdem brauchen Einelternfamilien, so das Gutachten, engagierte und spezialisierte Rechtsvertretung durch Anwältinnen und Anwälte, die für die exponierte gesellschaftliche Lage der Mütter und Kinder sensibilisiert sind. Die Beratungspraxis des SVAMV bestätigt diese Erkenntnisse.

Wir haben nun neu die Publikation Einelternfamilien im Recht – Inkassohilfe und Alimentenbevorschussung (Alimentenhilfe) herausgegeben. Im Herbst erscheint zudem eine kürzere Fassung in Form einer Broschüre. Die Publikation informiert ausführlich über Grundlagen und Regelungen und insbesondere über den Rechtsschutz für Alleinerziehende in Verfahren der Alimentenhilfe. Denn rund die Hälfte aller Anfragen an die Telefon- und Mailberatung des SVAMV drehen sich um das Thema Alimente oder wie kommen meine Kinder und ich zu unserem Geld. Allzu häufig treffen Unterhaltsbeiträge nur schleppend, unregelmässig, verspätet oder gar nicht ein. Ganz offensichtlich lässt die Zahlungsmoral der Schuldner von Kinderalimenten und nachehelichem Unterhalt zu wünschen übrig.

Engagement für eine Lobby

Die klare Identität und das spezifische Wissen und Können sind eine Voraussetzung für eine starke Lobby für Einelternfamilien. Die brauchen Alleinerziehende und ihre Kinder, um rechtliche und gesellschaftliche Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Für Einelternorganisationen wie den SVAMV ist eine gefestigte Identität der Einelternfamilien entscheidend, um nachhaltig für Rahmenbedingungen zu kämpfen, die allen Familien unabhängig von ihrer Form gerecht werden. Zahlreiche Alleinerziehende bleiben denn auch den Einelternorganisationen langfristig verbunden. SVAMV-Vorstandsmitglied Monique Gerber hat es einmal so auf den Punkt gebracht: „Die meisten Eineltern sind vollauf damit ausgelastet, im Alltag über die Runden zu kommen. Sie können sich erst engagieren, wenn sie aus dem Gröbsten heraus sind. Ich wünsche mir ein grosses Netz von Alleinerziehenden, die den Einelternfamilien den Rücken stärken, auch wenn sie wieder in einer Partnerschaft leben oder wenn die Kinder aus dem Haus sind!“

Einelternfamilien und ihre Kinder sind besonders von Armut betroffen. Um sie zu schützen, braucht es zum einen Massnahmen, welche die Integration der Alleinerziehenden ins Erwerbsleben fördern. Diese allein reichen jedoch nicht aus. Denn alleinerziehende Eltern, die ihre Familie ausschliesslich aus eigener Kraft durchbringen müssen, sind in der Regel gezwungen, Vollzeit berufstätig zu sein. Die Kinder brauchen aber nicht nur eine Ernährerin oder einen Ernährer, sondern ebenso Familienzeit. Der finanzielle Beitrag des andern Elters oder ein Ersatz ist deshalb unabdingbar. Der SVAMV engagiert sich nicht nur für berufliche Sicherheit für Alleinerziehende - zum Beispiel mit der Bildungssite www.vision4you – sondern fordert zudem spezifische Massnahmen, um die Unterhaltsbeiträge für die Kinder zu sichern.

Konkret schlägt der Verband vor

  • im Bundesrecht Mindestunterhaltsbeiträge in der Höhe der einfachen Waisenrente festzulegen für alle Kinder, die - aus welchem Grund auch immer – bei einem Elter aufwachsen
  • Familien-Ergänzungsleistungen für Alimentenpflichtige mit schwacher Finanzkraft einzuführen, damit sie sich nicht aus ihrer elterlichen Unterhaltspflicht verabschieden müssen
  • gesamtschweizerische Regeln und Standards für die Alimentenhilfe festzulegen, damit sie das Recht des Kindes auf Unterhaltsbeiträge wirksam schützt und die Erwerbsarbeit der Alleinerziehenden fördert statt wie heute behindert
  • Kinderalimente nicht zu besteuern, damit diese ungeschmälert für den Lebensunterhalt des Kindes - dem sie von Gesetzes wegen auch gehören - zur Verfügung stehen, und um negative Anreize für die Erwerbstätigkeit zu beseitigen.

 

Text: Anna Hausherr, Zentralsekretärin SVAMV

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