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Warum Mädchen weniger Sport treiben als Jungs – und wie wir das ändern

Der aktuelle Kinder- und Jugendsportbericht zeigt: Mädchen treiben weniger Sport als Buben – und vor allem weniger organisierten Sport in Vereinen. Während im Alter von 12 Jahren der Unterschied zwischen den Geschlechtern am kleinsten ist, ist davor und danach eine Schere zu sehen. Das wirkt sich auf die Gesundheit und das Körperbild aus. Diese Entwicklung lässt sich aber beeinflussen, sagt Elke Gramespacher, Expertin für Mädchenförderung im Sport.

Schuss aufs Tor: Zwei Mädchen in hellblauen Trikots beim Fussballspielen.
Auch Mädchen spielen gerne Fussball:  Es ist wichtig, Mädchen zu ermutigen, Sportarten auszuprobieren. © Lorado, GettyImages Plus

* Das Interview von Martina Polek stammt aus dem Elternblog von KALEIO.

Mädchen sind weniger sportlich aktiv. Ist das ein Problem?

Elke Gramespacher: Nicht per se, aber wenn sich ein Zu-wenig-Sport-Treiben auf die Gesundheit auswirkt, dann schon. Gesundheit ist ja nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern bedeutet auch, sich wohlzufühlen und mental fit zu sein. Hier kommt neben dem Sport in der Schule vor allem der Sportverein ins Spiel: Er ist ein Ort der sozialen Integration, wo man neue Freundschaften knüpft, Menschen kennenlernt, die man sonst vielleicht nicht treffen würde, weil sie zum Beispiel auf eine andere Schule gehen. Mit anderen Worten: Im Sportverein bauen Kinder und Jugendliche soziales Kapital auf, und das hat auch eine gesundheitsfördernde Wirkung.

Elke Gramespacher

Elke Gramespacher ist Professorin für Bewegungsförderung und Sportdidaktik im Kindesalter an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Mit dem Thema Mädchen im Sport setzt sie sich in ihrem Arbeitsalltag regelmässig auseinander. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Bewegungs- und sportbezogene Kindheitsforschung, Sportunterricht und Gender sowie Mädchenförderung . 

Mädchen haben also einen Nachteil, der über die körperliche Gesundheit hinausgeht, weil sie weniger am organisierten Sport teilnehmen?

Ja. Aber der Sport ist nicht der einzige Ort, wo man soziales Kapital sammeln kann. Dies kann man ebenso gut im Musikverein oder beispielsweise in der Grossfamilie. Kommt hinzu: Während im Jugendalter Jungs ihr soziales Kapital unter Gleichaltrigen eher in einer Gruppe suchen, suchen es Mädchen häufig bei der besten Freundin. Sprich in einer vertieften, sehr intensiven Beziehung. Das kann man sich zunutze machen, wenn man Mädchenförderung im Sport betreibt.

Wie?

Wir wissen aus Studien, dass, wenn die beste Freundin in einen Sportverein geht, die andere auch eher mitgeht. Die beste Freundin motiviert Mädchen also, sich einem Sportverein anzuschliessen.

Gehen wir einen Schritt zurück: Warum sind Mädchen überhaupt weniger aktiv in Sportvereinen?

Es sind nicht individuelle, sondern strukturelle Gründe. Zum einen spielt der kulturelle Hintergrund teilweise eine Rolle. In gewissen Kulturen ist der Frauensport noch wenig verbreitet. Ein anderer Grund ist, dass Mädchen zu Hause mehr eingespannt werden bei der Hausarbeit und deshalb weniger Freizeit haben. Das nimmt zwar in der Gesellschaft insgesamt ab, aber betrifft die Mädchen immer noch stärker als Jungs. Und dies gilt für Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund.

Weibliche Trainerinnen sind wichtig, um Mädchen auch von männlich konnotierten Sportarten zu überzeugen.

Klingt düster.

Würde ich nicht nur so sehen. Vergleichen wir die Zahlen heute mit jenen von vor 30 Jahren, dann haben die Mädchen stark aufgeholt, was den Vereinssport anbelangt. Ein Erfolgsbeispiel ist der Fussball. Hier hat die Anzahl Mädchen in den letzten Jahren stark zugenommen. Dazu haben Filme wie «Kick it like Beckham» beigetragen. Aber auch die Vereine haben sich geöffnet und beispielsweise Mädchenmannschaften gegründet. Und auch die Eltern sind offener geworden gegenüber dem Fussballsport. Das ist ein ganz wichtiger Faktor. Ausserdem nehme ich an, dass der Trend sich weiter fortsetzt, je mehr weibliche Trainerinnen es gibt.

Was braucht’s noch, damit Mädchen mehr Sport treiben?

Für mich ist das Empowerment besonders wichtig. Dazu gehört, dass wir Mädchen die verschiedenen Sportarten näherbringen, gerade auch solche, die eher männlich konnotiert sind, wie zum Beispiel Zweikampfsportarten. Dies kann beispielsweise gefördert werden, indem Trainer:innen in die Schulen kommen. Oder indem man Mädchen porträtiert, die solchen Sport treiben. Denn gerade bei männlich konnotierten Sportarten ist die Hemmschwelle besonders gross für Mädchen, weil sie zum Beispiel Angst haben, ausgelacht zu werden. Wichtig sind deshalb auch Sporttage «einmal nur für Mädchen».

Sport nur unter Mädchen schafft in der Pubertät einen geschützten Raum für Mädchen, damit sie ihren Körper neu kennenlernen.

Warum «nur für Mädchen»?

Es geht darum, Mädchen zu ermutigen, etwas auszuprobieren, das sie noch nicht kennen. Und zwar in einem Raum, wo andere Mädchen sind und im besten Fall auch eine Trainerin da ist, die Verständnis hat und sie auch ermutigt. Das ist vor allem in der Pubertät wichtig, wenn der Körper der Mädchen anfängt, sich zu verändern, und sie ihn neu kennenlernen und neu mit ihm umgehen lernen müssen. Insgesamt verwende ich gerne den Begriff «geschlechtersensibel», denn die Geschlechterfrage ist nicht immer relevant, wir sollten sie nicht dramatisieren. Je nach Situation ist auch eine gemischte Gruppenkonstellation förderlich. Aber wir dürfen die Geschlechterdimension zugleich nicht aus den Augen verlieren. Denn sonst besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse der Mädchen untergehen. Das darf nicht passieren!

Kaleio

Dieser Artikel ist erschienen bei «KALEIO - das Magazin für Mädchen». Das Team von KALEIO will Mädchen darin bestärken, aktiv durchs Leben zu gehen, Dinge auszuprobieren, ihre Bedürfnisse selbstbewusst auszudrücken und ihr Wissen und ihre Neugier zu entwickeln.

Alle zwei Monate erscheint ein Magazin speziell für Mädchen von 8 bis 13 Jahren. Auf der Onlineplattform finden Eltern laufend spannende Inputs und Tipps, wie sie ihre Töchter fördern, fordern und stärken. KALEIO gibt es aber nicht nur zum Lesen: Das Team bietet regelmässig Workshops an für Mädchen und Jungs – das Motto der Kurse: «Entdecke deine Superkräfte!».

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