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Die Hälfte der Schweizer Eltern schlägt ihre Kinder

Gewalt an Kindern ist kein Randphänomen. Jedes zweite Kind in der Schweiz wurde schon einmal geschlagen. Meistens haben die Eltern danach Schuldgefühle, wie eine neue Studie der Universität Freiburg zeigt.

Eine Studie der Universität Freiburg hat ergeben, dass körperliche Züchtigung in der Schweiz noch weit verbreitet ist.
Eine neue Studie zeigt, dass viele Kinder in der Schweiz körperliche oder psychische Gewalt erleben. Foto: stock_colors, Getty Images

Rund die Hälfte der Schweizer Eltern schlägt die eigenen Kinder, zieht an ihren Haaren und wendet andere Formen körperlicher Gewalt in der Erziehung an. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Freiburg, die von der Stiftung Kinderschutz Schweiz in Auftrag gegeben und kürzlich veröffentlicht wurde.

Im Vergleich zu Studien aus den Jahren 1990 und 2004 bemerken die Wissenschaftler, dass sich die Zahl junger Eltern, die Gewalt regelmässig als Erziehungsmethode anwenden, immer weiter verringert habe. Dennoch: «Gemäss unseren Schätzungen dürften bis zu 130' 000 Kinder in der Schweiz vom regelmässigen Einsatz von körperlichen Gewalthandlungen durch ihre Eltern betroffen sein», heisst es in der Studie.

Viele Eltern haben Schuldgefühle

Die häufigste Form der körperlichen Gewaltanwendung in der Schweiz seien Schläge auf den Hintern mit der Hand, von denen 30,7 Prozent der befragten Eltern berichteten. Schlagen mit Gegenständen hingegen komme nur bei 1,4 Prozent der Eltern vor.

Im Unterschied zu den Vorgängerstudien stellten die Wissenschaftler zudem fest, dass die meisten Eltern körperliche Gewalt nicht gezielt als Erziehungsmethode einsetzten. Meist eskaliere die Situation aufgrund von Stress, Müdigkeit oder Überlastung. «In den meisten Fällen wollen die Eltern ihren Kindern keine Gewalt antun, sie fühlen sich deswegen schlecht und bereuen ihre Handlungen danach», bilanziert die Studie.

Die Forscher haben aber auch festgestellt, dass nicht alle Eltern körperliche Züchtigung auch als solche wahrnehmen. So bewerten gemäss der Studie 25 Prozent der befragten Frauen und 40 Prozent der Männer einen kräftigen Schlag auf den Po bei einem vierjährigen Kind nicht als Gewalthandlung.

Psychische Gewalt: Häufiger als körperliche Gewalt

Verbreiteter als körperliche Gewalt ist der Befragung zufolge psychische Gewalt. Dazu gehört, dass Eltern ihr Kind mit Liebesentzug strafen, ihm vermitteln, es sei wertlos, ungewollt oder fehlerhaft. Rund 7 von 10 befragten Eltern gaben an, schon einmal psychische Gewalt in der Erziehung genutzt zu haben. Am häufigsten beschimpfen die Eltern ihre Kinder.

12 Prozent der Eltern haben ihrem Kind schon gedroht, es wegzugeben. Die Wissenschaftler schätzen, dass schweizweit etwa 30'000 Kinder mit solch drastischen Drohungen konfrontiert werden.

Befragt wurden 1'523 Eltern aus allen Sprachregionen der Schweiz. Ziel der Studie war es, verlässliche Zahlen bezüglich körperlicher, aber auch psychischer Anwendung von Gewalt in der Erziehung zu erhalten.

Studie: Wer geschlagen wird, ist gewaltbereiter

Eine Studie der McGill Universität im kanadischen Montreal hat ergeben, dass die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen sehr viel geringer ist, wenn die Buben und Mädchen in einem Land aufwachsen, in dem die körperliche Züchtigung von Kindern verboten ist.

Bei männlichen Jugendlichen stellten die Wissenschaftler eine um 30 Prozent verringerte Jugendgewalt im Vergleich zu Ländern ohne Züchtigungsverbot fest – bei Mädchen lag die Jugendgewalt sogar um 60 Prozent tiefer. Ob Züchtigungsverbot und Jugendgewalt in einem direkten Zusammenhang stehen, konnten die Forscher allerdings nicht belegen.

In der Schweiz gibt es kein explizites Züchtigungsverbot.

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