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Gewalt in der Erziehung von Kindern

Negative Erziehungsmethoden wie Gewalt und Einschüchterung waren früher in Heimen und in der Schule üblich. Gewalt in der Erziehung von Kindern ist heute auch noch ein Problem. Wie Eltern eine gewaltfreie Erziehung gelingt und wie Sie mit Gewalt in Kinderbüchern umgehen sollten, erfahren Sie hier.

Gewalt in der Erziehung von Kindern ist heute ein Problem.
Wenn Kinder seelische oder körperliche Gewalt in der Familie erleben, schadet das ihrer Entwicklung. Foto: ©iStockphoto.com/pojoslaw

Kinder mit Angst an das richtige Verhalten heranzuführen war früher ein beliebtes Erziehungsmittel. Auf diese Weise sollten Kinder erfahren, was erlaubt ist und was nicht. Beispielsweise der schwarze Mann sollte den Kindern Angst und Unbehagen einjagen. Aber nicht nur die Angst vor dem schwarzen Mann standen auf der Tagesordnung. Um den Gehorsam der Kinder zu schärfen, wurde oft auf körperliche Bestrafung wie Ohrfeigen oder Schläge auf die Hand zurückgegriffen. Diese Art der Erziehung, die auch unter dem Namen «Schwarze Pädagogik» bekannt ist, gilt längst als überholt. Denn Pädagogen wie Eltern haben gelernt, dass Angst und körperliche Züchtigung schlechte Erzieher sind.

Erziehung damals

Die Erziehung hat sich in der Tat sehr verändert. Vieles wäre heute nicht mehr denkbar wie die 73-jährige Bärbel erzählt:

«Der Stock gehörte in meiner Kindheit in jedes Klassenzimmer. Die Mädchen bekamen damit Schläge auf die Hand, die Jungen bekamen eine hinten drauf – vor der versammelten Klasse. Auf diese Art und Weise wollte der Lehrer bestimmtes Verhalten bestrafen: Spicken bei der Klassenarbeit oder Hausaufgaben vergessen. Als wichtigste Eigenschaft von Kindern galt damals Gehorsam, gefolgt von Anstand. Unser Lehrer war eine absolute Respektsperson, sowie auch die Eltern. Widerworte gab es einfach nicht. Im Prinzip sehe ich die Veränderung als positiv an. Kein Kind möchte geschlagen werden oder sollte mit Angst in die Schule gehen müssen. Aber natürlich haben auch der Respekt und die Achtung abgenommen. Ich sehe es bei meinen sieben Enkeln und ihren Freunden, welche Stellung der Lehrer hat. Besonders schlimm ist es, wenn Eltern meinen, ihr Kind ist unfehlbar und sich beim Lehrer über eine verhängte Strafe wie Nachsitzen beschweren. Wie sollen Kinder noch vor ihren Pädagogen Respekt haben, wenn Eltern diesen nicht mal selbst aufweisen?»

Auch wenn das Schlagen eines Kindes heute nicht mehr akzeptiert ist, gibt es in einigen Familien keine gewaltfreie Erziehung. Dies zeigen nach Angaben der Stiftung Kinderschutz Schweiz Untersuchungen, die ergeben haben, dass Kinder noch immer am häufigsten mit einer Ohrfeige bestraft werden.

«Körperstrafen sind keine wirksamen Erziehungsmittel, auch wenn sie einer erwachsenen Person kurzfristig dazu dienen mögen, sich durchzusetzen», heisst es bei der Stiftung Kinderschutz Schweiz. Wenn Kinder und Jugendliche innerhalb der Familie seelische und körperliche Gewalt erleben, ist dies tragisch, denn die Familie sollte ein Schutzraum sein. Es ist ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche Liebe, Fürsorge und Unterstützung erfahren sollten. Negative Erlebnisse schaden der Entwicklung. Betroffene Kinder haben oft mit längerfristigen Auswirkungen zu kämpfen: depressive Verstimmungen, Vertrauensverlust, geringes Selbstbewusstsein, und im schlimmsten Fall kommt ein selbstschädigendes Verhalten wie Essstörungen oder Drogenmissbrauch hinzu.

Eltern sollten bei der Kindererziehung auf ihren gesunden Menschenverstand hören. Eine Erziehung, die dem Kind keine Grenzen aufzeigt, ist ebenso wenig sinnvoll wie eine Pädagogik, die absoluten Gehorsam voraussetzt. Kinder verkraften einen Wutschrei des Vaters, wenn sie seine Nerven überstrapazieren. Ebenso verkraftet ein Jugendlicher ein elterliches Verbot die «Party des Jahres» besuchen zu dürfen, weil er sich vorher unverschämt und ausfallend verhalten hat. Eltern sollen oder müssen sogar auf nicht akzeptables Verhalten ihrer Kinder reagieren. Nur so können Werte und soziales Verhalten vermittelt werden.

Positive Erziehung

Als Richtschnur gilt eine Methode aus der Erziehungswissenschaft, die positive Erziehung genannt wird. Kinder und Jugendliche sollen durch positive Reaktionen der Eltern oder Erzieher zu erwünschtem Verhalten animiert werden. Diese positive Erziehung verfolgt fünf Grundprinzipien:

  1. Für eine sichere und interessante Umgebung sorgen
  2. Kinder zum Lernen anregen
  3. Konsequentes Verhalten
  4. Angemessene Erwartungen
  5. Die eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen

 

Manche Eltern sind in der Kindererziehung aus unterschiedlichsten Gründen überfordert. Ist dies der Fall, gibt es zahlreiche Stellen, die kostenlos helfend und unterstützend zur Seite stehen. Es ist keine Bankrotterklärung als Mutter oder Vater versagt zu haben, sondern ein positives Eingeständnis: Ich habe momentan Schwierigkeiten. Dies möchte ich ändern und suche meiner Familie und mir zuliebe Hilfe.

Erste Ansprechpartner sind Jugendämter und Erziehungsberatungsstellen vor Ort oder auch der Kinderarzt.

Im Kinderbuch Max und Moritz kommt Gewalt als Erziehungsmittel vor.
Bei «Max und Moritz» geht es manchmal grausam zu.

Manche Bücher und Erzählungen zeugen noch von der Zeit, als Gewalt ein akzeptiertes Erziehungsmittel war. Wer kennt sie nicht, die Kinderbuchklassiker «Max und Moritz» von Wilhelm Busch und «Struwwelpeter» von Dr. Heinrich Hoffmann. Dieser ist von Berufswegen schon ein pädagogisch versierter Mann, er gilt als erster Vertreter der Jugendpsychiatrie. Den «Struwwelpeter» schrieb Hoffmann 1844 und schenkte ihn seinem Sohn. Das Werk wurde später veröffentlicht. Schon im Einleitungstext erfährt der Leser oder damals das Kind auf was Erwachsene grossen Wert legen:

Wenn die Kinder artig sind,
Kommt zu ihnen das Christkind,
Wenn sie ihre Suppe essen
Und das Brot auch nicht vergessen;
Wenn sie, ohne Lärm zu machen,
Still sind bei den Siebensachen,
Beim Spazierengehen auf den Gassen
von Mama sich führen lassen;
Bringt es ihnen Gut’s genug
Und ein schönes Bilderbuch.

Wehe aber den Kindern, die sich nicht an die Regeln halten. Der Tierquäler Friedrich wird zur Strafe vom Hund gebissen, der Suppen-Kaspar stirbt und Paulinchen verbrennt bei lebendigem Leib, weil sie mit den Streichhölzern spielt. Unbestritten, die Geschichten sind manchmal grausam. Sollten Eltern dann komplett auf diese Klassiker verzichten? Dann dürfte auch Rotkäppchen oder die Sieben Geisslein nicht mehr erzählt werden. Oder müsste der Samichlaus, der in vielen Ländern Europas mit einem grimmig dreinschauenden Gesellen unterwegs ist, - pädagogisch gesehen - nun seine Rute an den Nagel hängen und erstmals eine Fortbildung «Wie erzieht man richtig?» besuchen?

Zwei Eltern meinen nein:

«Ich habe kürzlich die Samichlausfeier im Kindergarten meines Sohnes besucht. Als der Höhepunkt nahte – der Besuch des Heiligen – staunte ich nicht schlecht. Zwei normal gekleidete Männer kamen zur Tür herein. Die Erzieherin erklärte, dass der Samichlaus tot sei und die Geschichte von ihm jetzt nachgespielt werde. Die beiden Männer zogen sich vor den Kindern die Verkleidung an. Ich war sehr entsetzt über diese Feier. Der Samichlaus und das Christkind haben für Kinder einen besonderen Zauber und ich finde dieses magische Denken darf nicht einfach so zerstört werden. Sie erfahren die Wahrheit noch früh genug. Bis es soweit ist, sollte man Kinder einfach Kinder sein lassen. Und sie nicht schon im Kindergarten wie kleine Erwachsene behandeln.»

«Natürlich kenne ich Max und Moritz und den Struwwelpeter. Aber für mich waren diese Geschichten irgendwo in meinem Gedächtnis verschwunden und ich selbst hätte meinem Kind diese auch nicht vorgelesen. Bis meine damals vierjährige Tochter kichernd «Schneider Scheider, Schneider, meck, meck, meck» anstimmte und mir von Max und Moritz erzählte, die eine Brücke ansägen, damit der Schneider in den kalten Fluss fällt. Sie hat die Geschichte im Kindergarten gehört und war total begeistert. Wir kauften natürlich das Buch und in den folgenden Wochen lasen wir, wie Paulinchen in Flammen aufgeht oder dem Daumenlutscher die Daumen abgeschnitten werden. Das ansonsten sehr sensible Kind sitzt dann auf meinem Schoss und hört mit wohligem Schauer zu. Die offensichtliche Grausamkeit schockiert sie überhaupt nicht. Sie findet es nur gerecht, wenn der Schneider dem ewigen Daumenlutscher die selbigen abschneidet. Schliesslich hat man ihn ja gewarnt, wie sie betont. Ich staune nur über den kindlichen Gerechtigkeitssinn.»

Auch die Erzieherin im Kindergarten des vierjährigen Mädchens sieht die Geschichten nicht als bedenklich an. Alle Kinder waren begeistert und wollten die Geschichten immer wieder hören.

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