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Wenn Eltern ihre Kinder verwöhnen

Alle Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder und machen, was diese verlangen. Sie erfüllen ihnen jeden Wunsch und verwöhnen die Kinder. Warum Sie Ihrem Nachwuchs damit keinen Gefallen tun, erfahren Sie hier.

Mädchen mit Mutter beim Shopping Kleider
Eltern sollten Kindern nicht jeden Wunsch erfüllen. Bild: Getty Images, JackF

Verwöhnung ist kein neuer Begriff, bereits 1922 zeigte der Psychotherapeut und Neurologe Erwin Wexberg in seinem Buch «Verzogene Kinder» Anzeichen einer verwöhnenden Erziehung auf: Überhäufen mit Zärtlichkeit, überschwängliche Bewunderung für jede Leistung, masslos auf seine Schönheit und Intelligenz eingebildet zu sein, das Kind all dies merken zu lassen und es zum Mittelpunkt der Familie machen, jeden Wunsch von den Augen ablesen, dem Kind gehorchen und sich von ihm beherrschen und tyrannisieren zu lassen, dem Kind alles abnehmen und ihm gleichzeitig jede Möglichkeit der eigenen Entwicklung zu nehmen.

Heute - 88 Jahre später - ist das Thema immer noch aktuell. Der Buchautor Michael Winterhoff, Jugendpsychiater und Autor von «Warum unsere Kinder Tyrannen werden» sieht die momentane Lage an der Erziehungsfront in einem sueddeutsche.de-Interview so: «Was sich also dramatisch verändert hat, ist, dass diese Kinder sich nicht mehr nach Erwachsenen ausrichten, sondern die Erwachsenen dazu zwingen, sich nach ihnen auszurichten. So kommt es, dass sie auf dem Reifegrad eines Kleinkindes stehen bleiben.»

Winterhoff sieht die Schuld in einer sich deutlich verändernden Gesellschaft. «Durch den immensen Wohlstand in den Neunzigern haben immer mehr Erwachsene damit begonnen, sich nur noch um sich selbst zu drehen. Ihren Kindern gegenüber wurden sie unvernünftig.»

Aber auch andere Gründe spielen eine Rolle. Das jeweilige Können des Kindes, seine Leistungen haben einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Viele Eltern definieren sich über ihre Kinder. Es reicht nicht, wenn der Vater in der Schule sehr gut war, der Sohn muss mindestens genauso erfolgreich sein. Nur so kann das Image aufrechterhalten werden. Dafür engagieren sich die Eltern tatkräftig: Sie fungieren als Chauffeur, um das Kind zum Vorschulenglisch, Tennis und zur musikalischen Früherziehung zu bringen. Sie investieren nicht nur Zeit für Bildung und Sportlichkeit, sie sind auch bereit tief in die Tasche zu greifen.

Eltern sollten ihre Rolle neu überdenken. Sie sind keine Dienstleister, sondern in erster Linie Erziehungsberechtigte. Deren Aufgabe ist es, ihre Kinder auf den richtigen Weg zu bringen. Sie müssen dem Nachwuchs Werte vermitteln. Diese geben Kindern einen Halt im Leben. Nur so können sie lernen, was richtig oder falsch im sozialen Miteinander ist.

NEIN ist ein starkes Wort. Es markiert den Standpunkt: bis hierhin und nicht weiter. Dem Kind seine Grenzen aufzuzeigen erfordert einen langen Atmen und kostet Kraft. Wie auch Petra, 39 erfahren musste: «Tagtäglich kam meine zwölfjährige Tochter mit dem Wunsch nach einem Handy an. Ich sah keine Veranlassung ihr ein Mobiltelefon zu kaufen, da wir Zuhause ein schnurloses Telefon haben und per Flatrate in das Festnetz und alle Netze telefonieren können. So kann sie geheime Gespräche in ihrem Zimmer führen. Nach einigen Wochen war ich es leid, nach einem harten Arbeitstag rumzustreiten und habe ihr eines gekauft.»

Ein Handy, eine neue Puppe oder ein simpler Schokoriegel an der Kasse – Eltern können sich so Ruhe erkaufen. Der Nachwuchs ist kurzzeitig befriedigt, man selbst hat seine Ruhe. Sie können versuchen den pubertierenden Sohn vom Computerspiel wegzuzitieren, damit er den Tisch deckt oder diesen schnell selbst decken. Wer sich von dieser Bequemlichkeit leiten lässt und die Erziehungsarbeit aussitzt, tut dem Kind keinen grossen Gefallen.

Kinder nicht unnötig klein halten

Kinder brauchen Erfolgserlebnisse. Das dreijährige Mädchen soll sich jeden Morgen vor dem Kindergarten in die Winterstiefel quälen, wenn es partout nicht weiterkommt, darf die Mama nachhelfen. Irgendwann wird sie aber eine eigene Methode gefunden haben, wie sie sich am besten in die Stiefel quetscht. Dann ist sie unabhängig und fühlt sich gross, denn die Schuhe kann sie nun ohne die Mama anziehen.

Eltern, die jede Unannehmlichkeit von ihren Kindern fernhalten, halten diese absichtlich klein. So kann sich kein Selbstbewusstsein entwickeln. Die Kinder erfahren: Ich kann nicht viel, ohne die Hilfe meiner Eltern bin ich verloren.

Tipps

  • Finden Sie einen gesunden Mittelweg. Betrachten Sie Ihre Erziehungsarbeit bildlich: Ihr Kind läuft eine Strasse entlang. Es macht seine eigenen Schritte, gibt das Tempo vor. Sie gehen einen Schritt hinter ihm. Sie stärken es durch Ihre Anwesenheit und können bei Gefahr eingreifen.
  • Es ist nie zu spät, um die Erziehung zu verändern. Sie können in jedem Alter Dinge, die ihnen nicht gefallen, ansprechen und verändern.
  • Fordern Sie von Ihren Kindern auch etwas ein. So erfahren Kinder, dass eine Gemeinschaft nur funktionieren kann, wenn sich jeder daran beteiligt. Wenn Sie den Sohn am Samstagmittag zum Kino fahren und ihn wieder abholen, kann dieser doch am Sonntag das Frühstück machen.

Das sagen Eltern

«Manchmal zweifle ich an meinen Qualitäten als Mutter und habe ein schlechtes Gewissen meiner fünfjährigen Tochter gegenüber. Es sind die Momente, in denen ich als Mutter konsequent reagiere, wenn sie nicht mit ins Schwimmbad darf, weil ich allein meine Bahnen ziehen möchte. Wenn ich ein neues Gericht aus meiner Kochzeitschrift zubereite, es ihr nicht schmeckt und ich ihr keine Alternative anbiete. Dann verlässt sie schon mal hungrig den Mittagstisch.

Insgeheim weiss ich natürlich, dass es so richtig ist. Ich möchte mir von einem kleinen Menschen nicht auf der Nase herumtanzen lassen und deshalb gibt es diese Regeln bei uns. Dennoch zweifle ich an mir. Es sind diese Momente, an denen die Kindergartenfreundin meiner Tochter zu Besuch ist. Diese mag kein Fleisch, kein Gemüse, keine Eier, fast kein Obst. Die Eltern haben ihren Speiseplan an das Kind angepasst, es gibt hauptsächlich Nudeln und Kartoffeln. Ich gehe nicht so auf mein Kind ein.

Auch weigere ich mich den ganzen Aktionismus mitzumachen. Meine Kleine geht zum Turnen. Mehr nicht. Andere in ihrem Alter gehen in den Schwimmverein, lernen schon ein Instrument, machen Karate. Diese Mütter sagen dann: «Wir möchten unser Kind bestmöglich fördern!» Diese Möglichkeiten hat mein Kind nicht. Ich gehe arbeiten und möchte in meiner Freizeit nicht nur mein Kind von einer Aktion zur nächsten fahren. Bin ich deshalb eine schlechte Mutter

Viele Frauen kennen Sabrinas Gefühle aus eigener Erfahrung. Es ist eine Art Wunschvorstellung, dem Kind eine perfekte, schöne, heile Kindheit zu bieten, bevor es alleine in die grosse, «böse» Welt hinaus zieht. Bevor es soweit ist, soll es dem Kind an nichts mangeln, es soll nur das Beste bekommen. Diese Mutterliebe ist enorm wichtig für die Entwicklung des Kindes, nur so kann sich das Urvertrauen entwickeln. Es ist aber ein Irrglaube, dass Eltern ihren Nachwuchs in Watte packen müssen und sich selbst dafür aufgeben müssen.

Buch-Tipps

 

Text: Natascha Mahle

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