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Missbrauch und andere Vorurteile: Womit männliche Erzieher zu kämpfen haben

Die meisten Erzieher in Schweizer Kitas sind weiblich. Gerade einmal acht Prozent aller Kinderbetreuer in Krippen und Kindertagesstätten sind Männer. Und noch immer werden diese mit vielen Vorurteilen konfrontiert. 

Männliche Kinderbetreuer haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen
Männliche Kinderbetreuer sind seit eh und je in der Minderheit. Bild: Rawpixel, iStock, Getty Images Plus

Das Wichtigste in Kürze:

  • Schweizweit machen männliche Kinderbetreuer in Krippen und Kindertagesstätten nur acht Prozent aus, in der Kita «Bambis Chinderland» in Zürich arbeiten fast so viele Männer wie Frauen. 
  • Der Verband Kibesuisse ist der Meinung, dass mehr Männer als Fachperson Betreuung, Fachrichtung Kind, ausgebildet werden sollen. 
  • Für viele Jugendliche ist die Arbeit der Kinderbetreuung auch heute noch ein Frauenberuf.  
  • Um Missbrauch durch Betreuer in Kitas vorzubeugen, können sich die Betriebe einem Verhaltenskodex verpflichten. 

Es ist kurz vor neun Uhr in der Kindertagesstätte «Bambis» in Zürich. Die Herbstjacken der Kinder hängen bereits seit mehr als einer Stunde an den Kleiderhaken im Gang. Die Kinder befinden sich verteilt in der ganzen Kita. Sie spielen mit Fredi, werden von Ludwig gewickelt oder hören eine Geschichte von Krippenleiter Pascal. Richtig gelesen: In der Zürcher Tagesstätte arbeiten neben fünf Frauen auch mehrere Männer, insgesamt vier.

In die Kita gehören Mann und Frau

Das fast ausgeglichene Verhältnis der Geschlechter in der «Bambis» ist alles andere als repräsentativ: In vielen Kitas arbeiten nur Frauen, in einigen gibt es einen «Quotenmann». Für den männlichen Krippenleiter der «Bambis», Pascal Saner, ist diese Situation eine echte Bereicherung: «In die Kita gehören Mann und Frau.»

Der Kindertagsstätten-Leiter Pascal Saner

Zur Person

Pascal Saner arbeitet seit über 20 Jahren in der Kindertagesstätte «Bambis Chinderland» in Zürich. Heute ist er Geschäftsführer der Kita. 
(Foto: Jan Schlatter)

Mehr Männer brauchen die Kitas

Nach einer kaufmännischen Banklehre hat sich Pascal Saner, welcher 1973 geboren ist, für eine Lehre als Fachmann Betreuung entschieden, weil er sich immer schon dazu berufen gefunden hat, einer Arbeit mit Kindern nachzugehen. «Im Jahr 1994 bin ich dann in die Bambis gekommen, und seitdem geblieben.» Zu dieser Zeit gab es so gut wie keine männlichen Betreuer und Erzieher.

Heute sind nur rund 14 Prozent aller Absolventen des Lehrgangs als Fachmann/Fachfrau Betreuung, Fachrichtung Kind (FABE) männlich. Im eigentlichen Berufsleben sieht es noch magerer aus: Schweizweit arbeiten lediglich acht Prozent Männer in der Branche. Dies hat vor allem damit zu tun, dass der Beruf erst seit einigen Jahren einen Männerzuwachs erlebt, und er früher als absoluter Frauenberuf galt. 

Doch auch mit diesem Anstieg arbeiten immer noch zu wenig Männer als FABE, wie der Verband für Kinderbetreuung Schweiz «Kibesuisse» findet: «Kibesuisse vertritt die Haltung, dass Bildung, Betreuung und Erziehung eine Aufgabe ist, in der es Männer und Frauen braucht», sagt die Medienverantwortliche Prisca Mattanza. «Gemischte Betreuungsteams sind wichtig für die gute Entwicklung der Kinder. Kinder brauchen männliche und weibliche Bezugspersonen.»

Männer unter Generalverdacht

Die Gründe für den niedrigen Männeranteil sind verschieden. Auf der einen Seite verdienen Betreuer vergleichsweise wenig. «Es ist wirklich schwer, als Betreuer eine Familie finanziell zu unterhalten», weiss Pascal Saner. Auf der anderen Seite haben Männer in diesem Beruf mit Imageproblemen zu kämpfen. «Viele Krippen sind zwar offen für männliche Mitarbeiter, aber es gibt auch solche, für die es überhaupt keine Option wäre, jemals einen Mann einzustellen.»

Häufig haben solche Krippen Angst davor, dass ein Mann den Kindern gegenüber handgreiflich wird und seine Macht missbräuchlich einsetzt, wie es etwa im Februar 2019 in St. Gallen der Fall war. Von diesem Fall hat auch die «Bambis» Wind bekommen: «Als der Missbrauch passiert ist, waren wir Männer sehr deprimiert, weil solche Fälle den Generalverdacht auf die Männer nur noch verstärken», kommentiert Krippenleiter Saner.

Solche unsittlichen Angelegenheiten wirken sich negativ auf die gesamten männlichen Kinderbetreuer und -erzieher aus, auch auf diejenigen, welche auf der Suche nach einer Anstellung sind. «Es gibt auch Krippen, in denen männliche Bewerber sofort aussortiert werden, weil Männer einfach unter Verdacht stehen, einem Kind etwas antun zu wollen.»

Regeln gegen den Missbrauch

Wer wickelt mein Kind in der Kita? Wie oft ist es alleine mit einer Betreuungsperson? Und kann ich mein Kind unbesorgt in die Obhut eines männlichen Erziehers geben? Schwarze Schafe gibt es immer. Häufig sind diese Schafe Männer, doch auch weibliche Fachpersonen sind zu Missbrauch bereit: Der Kinderschutz Schweiz geht davon aus, dass zehn Prozent der Gewalthandlungen gegen Mädchen von Frauen begangen werden. Bei Jungen liegt der Anteil weiblicher Täterinnen bei 25 Prozent.

Missbrauch ist eine reine Charakter- und keine Geschlechterfrage

Um den schwarzen Schafen die Plattform für solche Aktionen zu nehmen, empfiehlt die Kibesuisse den Kitas und Kindertagesstätten sich an einen Verhaltenskodex halten. Im Verhaltenskodex werden unter anderem folgende Verhaltensregeln definiert, welche unabhängig vom Geschlecht eingehalten werden müssen:

  • Berührung: Der Körperkontakt ist situationsabhängig und altersgerecht. Die Berührung darf nie der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dienen. Das Küssen von Kindern ist den Mitarbeitenden untersagt. 
  • Körperpflege: Vor dem Wickeln informiert die Bezugsperson weitere anwesende Mitarbeitende. Die Tür zum Wickelraum bleibt offen. Ältere Kinder erledigen ihre Körperpflege selbstständig und werden vom Betreuungspersonal adäquat unterstützt.
  • Fotos dürfen nicht mit privaten Geräten und nicht ohne elterliche Bewilligung gemacht werden.

Verhaltensregeln sind auch in der «Bambis» Kinderkrippe unerlässlich. «Aber auch mit den Kodexregeln kann immer etwas passieren, wie vergangene Fälle zeigen», weiss Pascal Saner. Von Verboten für Männer hält er jedoch wenig: «Würden Eltern mich bitten, ihr Kind nicht zu wickeln, weil ich ein Mann bin, würde ich ihnen empfehlen, eine andere Krippe zu suchen.» Denn schlussendlich ist Missbrauch eine reine Charakter- und keine Geschlechterfrage.

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