Leben > Konflikte

Warum es wichtig ist, mit Kindern ehrlich über den Tod zu sprechen

Eltern wollen ihre Kinder beschützen. Doch wer sein Kind vom Thema Tod abschirmt, nimmt ihm die Chance, wichtige Fragen zu stellen. Wie Sie mit Ihrem Kind über den Tod sprechen und was Sie wissen müssen, um es im Trauerfall gut begleiten zu können.

Familienleben Logo
Mit Kindern über den Tod zu sprechen, bereitet vielen Eltern Mühe. Erfahren Sie, wie Sie Ihrem Kind Sterben und Trauer altersgerecht erklären. Bild: Annie Spratt, Unsplash

Dr. Barbara Zollinger ist Entwicklungspsychologin und Logopädin. Eines Tages kam ein Elternpaar mit seinem dreieinhalbjährigen Sohn in ihre Praxis in Winterthur. Es hatte bis dahin nie ein Wort gesagt. Erst nach vielen Besuchen fand die Entwicklungspsychologin heraus: die Eltern hatten ihrem Kind den Namen seines verstorbenen Bruders gegeben, ihm aber nichts von seiner Existenz erzählt. «Sie glaubten, nicht über die Trauer und Tod zu sprechen, sei ein Weg, das Kind unbelastet aufwachsen zu lassen. Aber Tod und Trauer waren ja trotzdem da und für den Sohn spürbar.»

Schweigen sorgt für massive Ängste

Die Erwachsenen möchten Kinder nicht mit schwierigen Themen belasten. Schon gar nicht mit dem Thema, vor dem sie sich am meisten fürchten. Wenn ein Leben eines geliebten Menschen plötzlich endet, ist das schon für einen Erwachsenen oft unfassbar und kaum zu ertragen. Wie soll das ein kleiner Mensch verstehen und mit der Trauer umgehen, wenn die Erwachsenen schon bei der eigenen Trauer an ihre Grenzen kommen? 

«Kinder haben immer ein Recht auf die Wahrheit», sagt Zollinger. Sie glaubt: «Wer sein Kind schonen will, will meist sich selbst schonen». Schon Kleinkinder spüren, wenn etwas in der Luft liegt. Sie fragen vielleicht nicht nach, weil sie es noch nicht können oder die Eltern vor noch mehr Schmerz und Trauer schützen wollen. Doch wenn Kinder nicht wissen, warum die Eltern traurig sind, können sie nicht lernen damit umzugehen und Kontrolle über die Situation erlangen. Massive Ängste und Unsicherheiten, aber auch Schuldgefühle können entstehen, die prägend für die weitere Entwicklung sind. 

Wie Eltern kindgerecht den Tod erklären

Aber wann ist der richtige Moment? Wenn jemand aus dem nahen Umfeld der Familie gestorben ist? Wenn jemand schwer krank ist oder mit drei Jahren sterben musste? Zollinger empfiehlt, jetzt sei immer der beste Zeitpunkt. Doch was können Kinder wann verstehen? Welche Worte und Erklärungen helfen dem Verständnis? Ein dreijähriges Kind kann nicht wissen, was die Krankheit Darmkrebs ist. Es stellt es sich vielleicht vor wie ein Tier, das im Bauch sitzt und mit seinen Scheren zwickt. Ein Bild, das kleine Kinder kennen.

Aber welche einfachen Worte kann man sagen, wenn sie einem selbst fehlen? Die Grossmutter ist für immer eingeschlafen? Dein Bruder sitzt jetzt auf einer Wolke? Der Papi ist auf eine lange Reise gegangen? Der Universitätsprofessor und Notfallpsychologe Dr. Gernot Brauchle, der immer dann angerufen wird, wenn ein tödlicher Unfall passiert ist, hat in über 150 Einsätzen praxisnahe Empfehlungen erarbeitet, die Eltern unterstützen, mit den eigenen Kindern besser über den Tod  zu sprechen.

1Was bedeutet es, tot zu sein?

Wenn Erwachsene selbst Mühe haben, den Tod zu erfassen, können sie ihrem Kind nicht die Sicherheit und Zuversicht vermitteln, die es bei einem Trauerfall braucht. Brauchle rät Eltern deshalb, sich zunächst selbst mit dem Thema Tod und seinen Facetten auseinander zu setzen.

  • Der Endgültigkeit – Verstorbene erwachen nicht wieder zum Leben
  • Der Allgemeingültigkeit – alle Lebewesen müssen sterben
  • Der Unvermeidlichkeit – es gibt kein Mittel gegen den Tod
  • Der Unvorhersehbarkeit – es kann immer etwas passieren

2Kinder begreifen den Tod anders

Im zweiten Schritt sollten sich Erwachsene ein Verständnis davon machen, in welchem Alter Kinder welche Facetten des Sterbens begreifen können. Denn dementsprechend stellen sie auch Fragen – und dementsprechend trauern sie auch. Beispielsweise haben Kinder unter neun Jahren oft noch nicht verstanden, dass alle Lebewesen sterben müssen und dass der Tod unausweichlich ist. Sie glauben häufig, dass der Tod nur alte Menschen oder keine jüngeren Erwachsenen, Jugendliche oder Kinder betrifft. Sie fragen deshalb oft, wann die tote Person wiederkommt. Sie hoffen, dass sie vielleicht nur schläft und tun sich oft schwer, die Endgültigkeit des Todes zu akzeptieren.

Was Tod, Sterben und Trauer für Kinder in welchem Alter bedeutet

Ab ca. 7 Monaten
Bereits Babys vermissen Verstorbene, wenn diese wichtige Bezugspersonen waren. Sie fühlen bereits die Verzweiflung und die Leerstelle, die eine verstorbene Person bei Angehörigen hinterlässt. 

Zwischen 3 Jahren und 6 Jahren
Wer tot ist, ist «weg« oder «kaputt» Das heisst, er kann auch wiederkommen oder repariert werden. Jüngere Kinder in diesem Alter empfinden deshalb oft nicht dieselbe Trauer wie Erwachsene. Sie glauben häufig an magische Umstände («Ich zaubere Papi einfach wieder her») und stellen sich die Toten lebendig und nur an einem anderen Ort vor («Was zieht man eigentlich an, wenn man unter der Erde lebt?»).

Ab 6 bis 9 Jahren
Primarschulkinder verstehen in der Regel, dass Tote nicht wieder lebendig werden, aber sie haben Mühe, diese Tatsache zu akzeptieren. Sterben können für sie häufig nur alte Lebewesen. Dass sie selbst oder Personen ihres Alters davon betroffen sein könnten, können und wollen sie sich nicht vorstellen. Gleichzeitig fasziniert sie das Thema. Der Tod ist gruselig und interessant zugleich.

Ab 9 bis 12 Jahren
Kinder fragen jetzt häufig besonders detailliert nach. Sie haben ein Bedürfnis nach genauen Informationen, wenn eine ihnen nahestehende Person aus der Familie oder dem Freundeskreis gestorben ist. Ältere Kinder wissen und verstehen, dass der Tod endgültig ist und dass er alle Lebewesen betrifft. Dass man bisweilen nichts dagegen tun oder sich davor schützen kann, wollen sie oft nicht wahrhaben.


3Die Kinder leiten das Gespräch

Eltern sollten «nur die Fragen beantworten, die das Kind selbst stellt», empfiehlt Brauchle. Gewisse Aspekte blenden Kinder je nach Alter noch aus, weil sie noch ausserhalb des Vorstellungsvermögen liegen.

4Kindgerechte, aber klare Sprache

«Die Erwachsenen sollten versuchen, einfache und klare Worte zu finden. Aber diese Worte können nicht immer Worte sein, die das Kind schon kennt.» erklärt Zollinger. Dann muss man den Begriff erklären. Aber so gehe es Kindern zunächst mit allen neuen Begriffen. Ein Baby weiss zunächst nicht, was ein Fuss ist. Aber dadurch, dass es das es das Wort in ähnlichen Kontexten wiederholt hört und erlebt, lernt es seine Bedeutung immer besser kennen.

5Brücken schlagen

Wenn Eltern und Kindern die Worte fehlen, können auch Bücher ein gute Verbindung zum Thema herstellen, erklären und Anregungen bieten, über den Tod zu sprechen. Sie eignen sich um das Thema im Alltag unbefangen kennenzulernen sowie auch für den Trauerfall.

Kinderbücher, die den Tod begreifbar machen

3 von 9

«Der Baum der Erinnerung» von Britta Teckentrup

Der Fuchs legt sich müde auf seinen Lieblingsplatz und schliesst die Augen, um sie nie wieder aufzumachen. Der Schnee bedeckt ihn leise und sacht. Die Waldtiere trauern gemeinsam. Und sie erinnern sich an viele gemeinsame Erlebnisse mit dem Fuchs. Dabei erleben sie, wie die Erinnerungen Wurzeln schlagen. In der Farbe des Fuchses wächst ein Baum heran, gross und schön. Als Baum der Erinnerung bietet er den Tieren fortan Lebensraum und Schutz. So zeigt das Buch: Erinnerung hält Tote lebendig. Ein stilles und unaufdringlich tröstliches Buch.

empfohlen für Kinder ab 4 Jahren
erschienen bei Ars Edition (2013)

 

6Ehrlich bleiben

Auch wenn es tröstlich erscheint, Brauchle empfiehlt der Versuchung zu widerstehen, einen Todesfall mit Metaphern zu verschleiern. Beispielsweise erzählt man kleinen Kindern häufig, der Grossvater sei für immer eingeschlafen. Manche Kinder fürchten sich anschliessend einzuschlafen, aus Angst nie wieder zu erwachen. Besser sei zum Beispiel: «Grossvater ist gestorben. Mami und Oma trauern um ihn und weinen deshalb jetzt viel. Wir werden viel an ihn denken. Wir können uns an die guten Dinge erinnern, die wir mit dem Grosspapi erlebt haben.»

7Niemand weiss alles

Manche Fragen werden Eltern an ihre Grenzen bringen. Das ist in Ordnung und das darf man einem Kind auch mitteilen. Wenn ein Kind zum Beispiel wissen möchte, ob die Grossmutter jetzt im Himmel ist, könnten Sie beispielsweise antworten:  «Niemand weiss, ob sie jetzt im Himmel ist, manche Menschen glauben das, andere nicht. Was glaubst du denn?»

Neueste Artikel

Beliebte Artikel