Unicef-Studie: Warum die Schweiz nicht familienfreundlich ist
Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef hat untersucht, wie familienfreundlich die verschiedenen Länder in Europa sind. Die Schweiz landet auf dem letzten Platz. Wie das passieren konnte.

Familienfreundlichkeit – muss das ein Balanceakt sein? Foto: Imgorthand, E+, Getty Images Plus
Das Wichtigste in Kürze:
- Unicef hat analysiert, wie lange Eltern nach der Geburt eines Kindes bezahlt zu Hause bleiben dürfen und wie viele Kinder vor dem Schuleintritt betreut werden.
- Die Schweiz bietet laut Unicef keine familienfreundlichen gesetzlichen Grundlagen und zu wenige bezahlbare Betreuungsplätze.
- Direkt zu den Unternehmen in der Schweiz, die mehr Elternurlaub anbieten als der Gesetzgeber vorschreibt.
Was heisst eigentlich familienfreundlich? Und welche Anforderungen muss ein Land unbedingt erfüllen, um Familien gerecht zu werden? Die Antworten darauf sind vielfältig und oft auch individuell. Das Kinderhilfswerk Unicef hat nun versucht, die grundlegendsten Aspekte zu untersuchen.
Die Autoren der Studie zur Kinderfreundlichkeit in Europa haben die Länder danach bewertet, wie viele Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub es nach der Geburt gibt, ob es einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub gibt, wie viel Prozent der Kinder unter drei Jahren in einer Einrichtung betreut werden und wie viele Kinder über drei Jahren.
Weshalb die Schweiz den letzten Platz belegt
Der kurze Mutterschaftsurlaub und der überhaupt nicht vorhandene Vaterschaftsurlaub haben dafür gesorgt, dass die Schweiz ganz hinten in der Rangliste gelandet ist. Die Rede ist von acht Wochen bezahltem Mutterschaftsurlaub.
Diese Zahl floss laut Jürg Keim von Unicef Schweiz deshalb in die Studie ein, weil es in der Schweiz ein achtwöchiges gesetzlich verankertes Beschäftigungsverbot nach der Geburt gibt. Allerdings dürfen die Frauen bis zu 14 Wochen bezahlt fehlen und sie haben in diesen 14 Wochen auch Anspruch auf die Entschädigung in Höhe von 80 Prozent ihres Gehalts.
Für Jürg Keim ist der Unterschied zwischen acht und vierzehn Wochen Mutterschaftsurlaub allerdings gar nicht so entscheidend. Für ihn wiegt schwerer, dass man in der Schweiz nicht von einem Elternurlaub spricht, sondern immer noch von einem Mutterschaftsurlaub und zusätzlich gegebenenfalls von einem Vaterschaftsurlaub. Das sei nicht mehr zeitgemäss.
Dass gerade einmal 66 Prozent der über Dreijährigen in der Schweiz betreut werden, hat bei der Platzierung der Schweiz ebenfalls nicht geholfen, denn das ist im Vergleich mit den übrigen europäischen Staaten ein absolut unterdurchschnittlicher Wert. Zwar liegt die Schweiz mit 30 Prozent betreuten unter Dreijährigen im Mittelfeld der Statistik, doch das konnte die Lage nicht mehr verbessern.
Jedes Land sollte sechs Monate bezahlte Elternzeit bieten
Die Autoren der Studie fordern, dass jedes Land einen bezahlten Elternurlaub in Höhe von mindestens sechs Monaten anbieten sollte. Zudem sollten genügend bezahlbare Plätze in Betreuungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
Die Schweizer Politik setzt bisher eher auf individuelle Lösungen und nicht auf gesetzliche Bestimmungen. So ist es Firmen natürlich freigestellt, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern andere Konditionen zu bieten. Und das tun manche auch. Hier eine kleine Auswahl:
Besonders familienfreundliche Unternehmen in der Schweiz
1 Volvo
Schweden liegt bei der Unicef-Studie in Sachen Familienfreundlichkeit auf dem ersten Platz. Kein Wunder also, dass ein schwedisches Unternehmen in der Schweiz besonders stark auf Mütter und Väter zugeht: Volvo bietet seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sechs Monate Elternzeit. Während des gesamten Zeitraums bekommen die Eltern eine Lohnfortzahlung in Höhe von 80 Prozent.
2 Novartis
Ein Schweizer Unternehmen wagt Neues: Männer und Frauen haben bei Novartis die Möglichkeit, 18 Wochen voll bezahlte Elternzeit zu nehmen.
3 IKEA
Schon wieder ein Schwede, der sich für mehr Elternzeit in der Schweiz einsetzt: Bei IKEA auf Schweizer Grund und Boden dürfen Männer bis zu zwei Monate nach der Geburt ihres Kindes zu Hause bleiben. Der erste Monat wird voll bezahlt, der zweite teilweise.
4 Google
60 Tage bezahlte Papi-Zeit: So viel gewährt Google Schweiz seinen männlichen Mitarbeitern nach der Geburt eines Kindes. Lange lag das Unternehmen damit ganz vorn in der Statistik, bis es von Novartis (siehe oben) überholt wurde.
5 Migros
Bei der Migros angestellte Mamis bekommen 18 Wochen Mutterschaftsurlaub und erhalten dabei eine hundertprozentige Lohnfortzahlung. Papis haben Anspruch auf fünf Wochen Arbeits-Auszeit. Davon werden drei Wochen zu 100 Prozent bezahlt, weitere zwei Wochen können unbezahlt genommen werden.
Die Schweiz und Familien
Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt, wie familienfreundlich sie die Schweiz finden. Hier lesen Sie die Resultate.
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