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Endlich! Schweiz strebt kindgerechte Behandlung im Gerichtssaal an

Ist ein Kind in ein Gerichtsverfahren involviert, kommt es häufig kaum oder gar nicht zu Wort. Doch damit soll jetzt Schluss sein: In Sachen Kinderrechte macht die Schweiz nun einen Schritt weiter. 2021 startet die nationale privatrechtliche Ombudsstelle für Kinderrechte, die zwischen Kind und Staat vermittelt und altersgerecht informiert. 

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Ohne altersgerechte Unterstützung gehen Kinder in einem Verfahren schnell unter. Hier kommt nun neu die Ombudsstelle für Kinderrechte ins Spiel. Bild: Aldomurillo E+

Am 20. November ist der Internationale Tag der Kinderrechte. In der Schweiz ist die Umsetzung dieser Rechte aber nicht so selbstverständlich, wie man annehmen könnte. Irène Inderbitzin, Geschäftsführerin der Kinderanwaltschaft Schweiz, sieht grosses Verbesserungspotential. Den grössten Nachholbedarf im Bereich der Kinderrechte habe die Schweiz beim Recht auf Gehör. «Viele Anhörungen von Kindern vor Gericht werden nur als solche deklariert und der Entscheid wurde eigentlich schon gefällt.» Gerade bei Verfahren, bei denen es um Heimplatzierungen der betroffenen Kinder geht, sei dies besonders problematisch. 

Kinder sollen altersgerecht über ihre Rechte informiert und kindgerecht angehört werden.

Doch 2021 tut sich hier endlich etwas: Der Bundesrat wurde vom Parlament vor einer Weile beauftragt, eine nationale und unabhängige Ombudsstelle für Kinderrechte zu schaffen. Bis diese gesetzliche Grundlage geschaffen wird und damit keine Lücke entsteht, nimmt nun zum Jahresstart eine privatrechtlich Ombudsstelle ihre Arbeit auf. Eingebracht wurde die Forderung damals von dem Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser. Die Begründung: Eine solche Stelle sei dringend notwendig, denn jährlich sind rund 100’000 Kinder direkt oder indirekt von einem Rechtsverfahren betroffen. Sei dies im Bereich Sorgerecht, Fremdplatzierung oder bei einer Straftat. Nicht immer wissen die Betroffenen, in dem Falle Kinder, über ihre Rechte Bescheid oder seien in der Lage, von diesen Gebrauch zu machen. Das soll sich ändern.

Kinderrechte und Kinderrechtskonvention 

Am 20. November 1989 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet. Die Kinderrechtskonvention sieht Kinder als eigenständige Wesen mit eigenem Willen und garantiert ihnen, dass sie sich zu allem äussern können, von dem sie betroffen sind. Doch laut einer Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte sind diese Rechte in der Schweiz noch nicht vollständig umgesetzt.

Kindern Zugang zur Justiz ermöglichen

Was soll eine Ombudsstelle für Kinderrechte genau bewirken? «Sie soll Kinder altersgerecht über ihre Rechte informieren und im Umgang mit Fachpersonen und Behörden vermitteln», erklärt Irène Inderbitzin. Zudem haben die Kinder auch das Recht auf eine Rechtsvertretung. Ohne zusätzliche Unterstützung können Kinder ihre Rechte oft nicht wahrnehmen. Und häufig können die Eltern von in Verfahren involvierten Kindern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, was dazu führt, dass die Kinder keinen Zugang zur Justiz haben. 

Es mangele auch an spezialisierten Befragungspersonen. In Verfahren mit Kindern involvierte Fachpersonen würden die Kinderrechte oft ungenügend oder gar nicht anwenden. Gerade vom Recht auf Gehör werde in den meisten Fällen «nur stiefmütterlich» Gebrauch gemacht. Häufig werden Kinder also nicht oder nur ungenügend über das Verfahren und dessen Hintergründe informiert, nicht kindgerecht eingeladen oder von den jeweiligen Fachpersonen unprofessionell befragt.

«So kommt das Kind gestärkt aus dem Verfahren heraus»

Eine nicht korrekt durchgeführte Befragung kann gravierende Folgen haben: «Solche Aussagen des Kindes sind nicht standhaft und können dann leider ganz leicht von der Gegenseite zerrissen werden.» Hier soll die Ombudsstelle Abhilfe schaffen, indem sie zwischen Kind und Staat vermittelt und die jeweilige Situation klärt. Die Stelle solle für «checks and balances» – einen Machtausgleich zwischen Staat und Kind –  sorgen und sicherstellen, dass das Recht auf Gehör, Information und auf Rechtsvertretung gewährt wird.  «Das Kind geht in einem Verfahren oft unter, obwohl es dringend Beistand bräuchte. In diesem Fall könnte das Kind bei der Ombudsstelle anrufen.»

Die Ombudsstelle vermittelt, spricht Empfehlungen aus und verweist auf Angebote von Kantonen oder Gemeinden. Wichtig: Das Kind solle den Weg – sofern es das kann und will – mehrheitlich selber gehen, dabei jedoch von der Ombudsstelle unterstützt und angeleitet werden. «So das Kind auch Resilienz bilden und kommt gestärkt aus der Situation und aus dem Verfahren heraus.» Ein kindgerechtes Rechtssystem habe direkte Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder.

Ombudsstelle setzt auf digitale Präsenz und Flyer

Wie erfahren Kinder überhaupt von ihren Rechten und wie werden sie auf die für sie geschaffene Ombudsstelle aufmerksam? Die Ombudsstelle werde digital präsent sein, sagt Inderbitzin. Zusätzlich würden Flyer in Schulen aufgelegt werden. Und: «Die 100’000 Kinder, die jedes Jahr von einem Verfahren betroffen sind, werden auch einen Flyer in die Hand gedrückt kriegen. So wissen sie, dass und wie sie handeln können.»  

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