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Die Zukunft der Familie: «Sie wird farbiger und vielfältiger»

Mit welchen Herausforderungen werden Familien konfrontiert sein? In einer OECD-Familienstudie hat Klaus Haberkern, Familienforscher am Soziologischen Institut der Uni Zürich, mit anderen Forschenden einen Bericht über die Zukunft der Familie verfasst. Im Interview verrät er, wie sie aussehen wird.

Wie sieht die Zukunft der Familie in der Schweiz aus?
Die Zukunft der Familie: Alle Generationen unter einen Hut bringen. Foto: iStockphoto, Thinkstock.

In der OECD-Studie wird ja vielleicht ein schwarzes Bild von der Zukunft der Familie gezeichnet! Ein-Personen-Haushalte, keine Kinder, keiner will sich um die Senioren kümmern und es gibt sowieso nur noch Arm und Reich.

Also ich sehe das nicht so düster. Die Frage ist immer: Wie bewertet man Veränderung? Wenn das Familienbild, das wir die letzten Jahre gehabt haben, als Nonplusultra betrachtet wird, dann wirkt die Zukunft bedrohlich. Wenn man da aber etwas offener ist, kann man die Zukunft wirklich mit Freude erwarten. Sie wird sehr viel farbiger, individueller und vielfältiger.

Welche Bilder sehen Sie, wenn Sie an die Familie im Jahr 2030 denken?

In erster Linie ein Rückgang des ganz klassischen Modells mit der Idee, ein Leben lang mit wechselseitiger Verantwortung zusammenzuleben. Man ist wirtschaftlich nicht mehr so abhängig wie bei der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Ein Auseinandergehen und Zusammenkommen wird viel einfacher möglich sein. Der Trend ist, dass wir einerseits mehr Brüche haben, aber andererseits auch zu mehr Neuzusammensetzungen kommen, wie zum Beispiel Patchworkfamilien. Das heisst aber nicht, dass das klassische Modell in 20 Jahren nicht mehr dominant sein wird.

Was bedeutet das für die Beziehungen?

Die Beziehungen werden heute viel mehr auf ihre Qualität überprüft. Wie gut ist die Beziehung? Ökonomische Zwänge gibt es kaum noch. Beziehungen werden damit qualitativ viel hochwertiger.

Mit welchen Problemen werden Familien 2030 konfrontiert sein?

Mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das über den ganzen Lebenslauf. Bisher hat sich die Politik vor allem auf Familien mit sehr jungen Kindern konzentriert. Wir beobachten aber eine steigende Erwerbsbeteiligung von älteren Personen und Frauen. Das sind die Personen, die sich momentan am meisten um die Pflege  der älteren Menschen kümmern. Wenn Frauen nun aber vermehrt arbeiten, haben sie weniger Zeit, sich um die eigenen pflegebedürftigen Eltern zu kümmern. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass es viele verschiedene Familienmodelle geben wird, dann wird es auch viel Pendelverkehr geben. Zur Arbeit, aber auch zu Angehörigen. Es ist wichtig, dass man der Art und Weise wie Menschen leben wollen, unvoreingenommen begegnet. Historisch betrachtet gab es immer wieder Veränderungen, denen mit viel Argwohn begegnet wurde. Die Alleinerziehenden zum Beispiel: Ihnen wurde ja die moralische Fähigkeit zur Erziehung abgesprochen. Heute weiss man, dass es nicht zwingend schlecht ist für Kinder und dass sich auch Alleinerziehende mit viel Liebe und Fürsorge um ihre Kinder kümmern.

Sie haben das Thema Altenpflege angesprochen: Vereinfacht gesagt, wird eines der Hauptprobleme auch sein, dass wir zuwenig  Nachwuchs haben werden, damit die Kosten für die Pflege von Senioren gedeckt werden können.

Grundsätzlich ja. Aber das wird in der Regel nach dem Altersquotient bemessen. Wie viele ältere Leute kommen auf Personen im erwerbsfähigen Alter? Wenn wir an die demographische Struktur im 19. Jahrhundert denken, da hatten wir sehr viele Kinder und kaum alte Leute. Da wurde sehr viel Zeit und Geld in die Kinder investiert, damit sie Essen hatten, Kleidung und in die Schule gehen konnten. Das ist eine Belastung, die wir heute nicht mehr in diesem Ausmass haben.

Dann geht es darum, die Gelder umzuverteilen?

Ja. Ein Teil der Ressourcen, die man früher für Kinder verwendet hat, müssen heute für ältere Menschen aufgebracht werden. Das mildert die Dramatik der demographischen Alterung. Wir müssen darauf einfach frühzeitig reagieren. So sollte man zum Beispiel den Pflegefachmangel frühzeitig angehen. Darüber muss man sich Gedanken machen.

Sie schlagen für dieses Problem ja ein neues Versicherungsmodell vor. Vereinfacht gesagt zahlt man viel in die Versicherung ein, wenn man seiner Familie nicht nahe steht, wenig wenn man ein inniges Verhältnis hat und auf liebevolle Pflege hoffen kann. Ist das nicht absurd? Was, wenn man sich am Ende doch nicht mehr leiden kann?

Das ist die grobe Idee, ja. Aber: Wenn mit der Familie, Angehörigen oder anderen Personen eine Pflege vereinbart wird, dann sollte man auch weniger Beiträge zahlen, schliesslich nimmt man die subventionierten Pflegeleistungen nicht oder nur wenig in Anspruch. Umgekehrt kann man sich für ein Modell mit einer ausschliesslich staatlichen Verantwortung und Unabhängigkeit von Angehörigen entscheiden, dann fallen jedoch auch etwas höhere Versicherungsbeiträge an. Die Grundsicherung muss selbstverständlich in beiden Modellen gewährleistet sein. Das finde ich persönlich sehr sinnvoll, weil die Möglichkeit der freien Entscheidung gegeben ist. Die Modelle, die wir jetzt in den meisten Ländern haben, fragen: Haben Sie Angehörige? Kann man ihnen eine finanzielle Verpflichtung aufbürden? Ich finde aber, wenn es um die Würde des Alterns geht, sollte man älteren Menschen und ihren Angehörigen die Möglichkeit geben, sich entscheiden zu können, in welchem Pflege-Arrangement sie sich am wohlsten fühlen.

Das ist aber eine enorme Doppelbelastung, gerade für Frauen, die vermehrt erwerbstätig sein werden. Kinder, arbeiten und dann noch die Eltern unterstützen.

Das Modell erlaubt ja gerade, die Doppelbelastung zu vermeiden und sich für das Modell mit der staatlichen Verantwortung zu entscheiden. Es gibt zudem eine grosse Bandbreite an technischen Lösungen, die sehr viel übernehmen können. Die meisten denken beim Wort «Pflege» an eine bettlägerige Person, die man beim Waschen oder dem Toilettengang unterstützen muss. Oft hat man es aber auch mit Demenz zu tun. Da geht es dann viel mehr darum: Hat man die Medizin genommen? Hat man den Schlüssel abgezogen? Hat man den Herd ausgeschaltet?

Wie sehen diese technischen Lösungen aus?

Das können Sensoren sein, die Alarm schlagen, wenn zum Beispiel jemand gestürzt ist. Sensoren, die melden, wenn der Wasserhahn noch aufgedreht ist. Diese Hilfsmittel sind sehr wichtig, damit die Familie entlastet und alte Menschen die Möglichkeit haben, auch mal für sich zu sein. Oft denkt man, dass alte Leute sofort vereinsamen, wenn sie alleine sind. Gerade bei einer sehr intensiven Betreuung wünschen sie sich jedoch manchmal, einfach nur für sich zu sein. Das wird häufig übersehen.

Ist es nicht absurd, dass ausgerechnet die technikfernste Generation auf technische Lösungen angewiesen sein soll?

Sobald man älteren Menschen klar machen kann, wie die Bedienung funktioniert und was der Nutzen für sie ist, steigt die Akzeptanz sehr schnell. Das haben diverse Studien bestätigt. Die erste Funktion dieser technischen Lösungen wäre die, dass ältere Menschen solange wie möglich ein autonomes Leben in den eigenen vier Wänden führen können. Dieser Wunsch ist sehr ausgeprägt bei älteren Menschen. Dann gibt es Techniken für intensive Pflege. Auch in Pflegeheimen, Privathaushalten oder eben mobile Wohneinheiten.

Sprechen Sie von der Altenbox?

Ja, daher kam die Idee für die Altenbox. Viele haben nicht die finanziellen Mittel um anzubauen, für diese kurze Lebensphase, wenn der Wunsch nach räumlicher Nähe da ist. Deswegen gibt es diese Module zum Mieten, die - wie Sie sie nennen - Altenboxen. Diese mobilen Wohnungen sind medizinisch und technisch gut ausgestattet. Die erste Reaktion auf diese Altenbox war: Das geht ja gar nicht, dass die Eltern in so eine Box verfrachtet werden! Aber es hat viele Vorteile: So sichert man auch den älteren Personen Autonomie und Rückzugsmöglichkeiten.

Soziologe Klaus Haberkern zeichnet im Interview ein Bild von der Zukunft der FamilieKlaus Haberkern ist Oberassistent am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Er unterrichtet Statistik und Themen rund um Familien und Pflege und beteiligt sich an Forschungsprojekten auf diesen Gebieten. Er ist Vater einer Tochter. Foto: Stalder.

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