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«Elternbildungskurse sollten eine Selbstverständlichkeit werden»

Jede Mutter und jeder Vater stösst in der Erziehung irgendwann einmal an Grenzen. Manche schreien ihre Kinder an, andere zweifeln an sich selbst. Kathie Wiederkehr, Geschäftsleiterin der Stiftung Kinderschutz Schweiz und Initiantin des Elternkurses «Starke Eltern – Starke Kinder» in der Schweiz, erklärt, wie Erziehungskurse Eltern unterstützen können.

Elternbildung: Elternkurse
Der Elternkurs «PEKiP» will die Beziehung zwischen dem Baby und seinen Eltern stärken. Foto: PEKiP e.V.

Mit gesundem Menschenverstand wissen Eltern, wie man Kinder erzieht. Früher hat sich ja auch keiner Gedanken um Elternbildungskurse gemacht. Brauchen Eltern heute wirklich einen Erziehungskurs?

Schon früher haben nicht alle Eltern gut erzogen. Auch sie waren teilweise überfordert oder verunsichert. Ich bin nicht dafür, dass alle Eltern einen Kurs besuchen müssen. Aber für jeden anderen pädagogischen Beruf ist es selbstverständlich, dass man eine Ausbildung hat. Wenn Sie in einen Computerkurs gehen, heisst es: «Toll, du bildest dich weiter.» Wenn Sie in einen Elternbildungskurs gehen, heisst es immer noch häufig: «Was, hast du das nötig?» Mein Ziel wäre, dass der Besuch eines Elternbildungskurses zur Selbstverständlichkeit wird. Dass man sagt, ich hole mir dort Impulse und Anregungen. Die meisten Eltern kommen irgendwann an den Anschlag. Es ist wunderbar Kinder zu haben, aber manchmal können sie auch nerven. Und plötzlich merkt man vielleicht, dass man sich ganz anders verhält, als man es möchte.

Gehört es denn nicht zur Erziehung dazu, dass Eltern in Situationen kommen, in denen sie sich nicht richtig verhalten?

Ja, Eltern müssen nicht perfekt sein. Sie sollen Freude an ihrer Aufgabe haben und ihre Elternrolle leben können. Es gibt Mütter und Väter, die ganz lange alles durchlassen und plötzlich an einem Punkt explodieren oder einfach resignieren. Manche versuchen, stets die besten Kollegen fürs Kind zu sein. Das ist nicht richtig – als Eltern hat man eine Führungsverantwortung und muss es aushalten können, dass die Kinder auch mal wütend auf einen sind.

Kathie Wiederkehr ist Geschäftsleiterin der Stiftung Kinderschutz Schweiz.

Kathie Wiederkehr ist seit März 2011 Geschäftsleiterin der Stiftung Kinderschutz Schweiz.

Sie leitete viele Jahre die Fachstelle Elternbildung im Kanton Zürich. Die Sozialpädagogin hat den vom Deutschen Kinderschutzbund entwickelten Kurs «Starke Eltern – Starke Kinder» in der Schweiz aufgebaut.

Foto: privat

Heute haben viele Eltern Angst in der Erziehung zu versagen. Warum ist der Druck so hoch?

Eltern sind immer auch Menschen. Sie vergessen manchmal, die Balance zwischen Partnerschaft, Elternrolle und Eigenleben zu suchen. Ich finde es sehr schade, dass manche Eltern glauben, ihr Kind schon ganz früh drillen zu müssen. Es wäre mir lieb, wenn sich Eltern rückbesinnen auf Werte, die wirklich wichtig sind wie zum Beispiel Lebensfreude, Entdeckungslust, Verantwortung, Empathie.

Wie können Elternbildungskurse Eltern dabei unterstützen, das zu erkennen?

Es gibt nicht die Eltern und es gibt nicht die Elternbildungskurse. Sie haben nicht alle das gleiche Ziel. Kurse, die eine Grundsicherheit in der Erziehung vermitteln, bilden ein gutes Fundament für den Familienalltag. Eltern lernen, dass sie innehalten und sich fragen dürfen, was ihnen wichtig ist. Es geht nicht darum, den Sturm zu bekämpfen, sondern zu schauen, dass das Schiff auf Kurs bleibt.

Kritiker sagen, dass man mit Elternkursen die Risikofamilien, die Elternbildung am nötigsten hätten, nicht erreicht. Was ist Ihre Erfahrung?

Wir müssen mit dem Vorurteil, es kommen sowieso nicht die, die es nötig haben, vorsichtig sein. Wir wissen wenig über die Teilnehmenden und wir wissen nicht, wie es ihnen gehen würde, wenn sie nicht gekommen wären. Jährlich nehmen in der Schweiz rund 65 000 Personen an Elternbildungsveranstaltungen teil, die sicher nicht einfach aus Langerweile gekommen sind. Andererseits stimmt es natürlich, dass wir schwierig zu erreichende Zielgruppen mit dem jetzigen System nicht gut genug ansprechen. Da könnte man mehr machen und sie gezielter abholen. Dazu bräuchte es aber entsprechende Ressourcen.

Wäre es denn sinnvoll, Elternbildungskurse verpflichtend für Risikofamilien zu machen?

Die jetzige gesetzliche Grundlage würde das zulassen. Wenn eine Kindsgefährdung vorliegt, darf die Vormundschaftsbehörde Eltern zur Elternbildung verpflichten. Sie machen es aber nicht. Zwingen würde ich die Eltern nicht, das bringt nichts. Aber man müsste den Eltern klar sagen: «Ich erwarte, dass Sie am Kurs teilnehmen, sonst muss eine andere Massnahme ins Auge fasst werden.» Wir haben vor Jahren schon einmal mit dem Projekt «Elternbildung im Betrieb» gute Erfahrungen gemacht. Bei einem Grossverteiler waren die Mitarbeiterinnen, die den Kurs besuchen mussten, zu Beginn sehr skeptisch. Aber dann sagten sie: «Hätte ich das nur schon viel früher gemacht.» Ich denke, man könnte da bedeutend mehr anschieben. Aber Elternbildung ist nicht das Allerheilmittel für alle Familienschwierigkeiten.

Viele Eltern besuchen heute nur eine Einzelveranstaltung, nicht einen ganzen Elternkurs.

Sich auf etwas Längerfristiges einzulassen hat wirklich abgenommen. Aber ganz viele, die einmal kommen, kommen wieder. Ich kann das von mir selber sagen. Ich bin berufstätige Mutter gewesen und es wurde Vieles angeboten, das mich interessiert hat. Dafür hatte ich aber keine Zeit. Aber ich habe immer wieder mal eine Einzelveranstaltung oder ein Referat besucht, um mir Impulse für den Erziehungsalltag zu holen.

Bringen Einzelveranstaltungen etwas?

Die längerfristigen Kurse bringen sicher mehr. Aber wenn es uns gelingt, die Eltern für eine Einzelveranstaltung zu gewinnen, ist schon mal ein Schritt getan. Lieber den Spatz in der Hand als die Tauben auf dem Dach.

Sie haben in der Schweiz den Elternkurs aufgebaut: «Starke Eltern – und Starke Kinder». Mit welchen Fragen und Problemen kommen die Eltern in diesen Kurs?

Ich denke, dass Eltern ganz häufig einen Kurs nicht bewusst wählen. Sie haben von einer Nachbarin gehört oder ein Prospekt mitbekommen. Die Fragestellungen sind sehr breit. Die meisten Eltern kommen, weil sie einen Leidensdruck haben; zum Beispiel, weil die Kinder nerven, oft streiten und sie selbst laut werden. Nach dem ersten Abend realisieren viele erst, dass ihr Kind auch positive Seiten hat.

Was lernen sie ausserdem im Kurs?

Den Eltern wird bewusst, welche Werte ihnen wichtig sind. Sie verstehen, weshalb eine Situation eskaliert und wie man aus der Wutspirale aussteigen kann. Eltern üben aktiv zuzuhören und Ich-Botschaften, so dass die Message beim Kind ankommt. Aber auch eine gewisse Fehlerfreundlichkeit ist wichtig. Manche Eltern tauschen sich durch den Kursbesuch erstmals mit dem Partner über ihre Erziehungsvorstellungen aus. Geübt wird an konkreten Beispielen und durch eine Wochenaufgabe vertieft. Viele sagen, dass das Familienleben viel entspannter geworden ist und sie wieder mehr Freude hätten, eine Familie zu sein. Aber natürlich ist es nicht so, dass durch den Kurs alle Probleme gelöst werden.

Was davon wird auch noch auf lange Sicht wirklich umgesetzt?

Die Profossorin Sigrid Tschöpe-Scheffler von der Fachhochschule Köln hat in ihrer breit angelegten Evaluationsstudie festgestellt, dass das entwicklungsfördernde Verhalten, wie ermutigen, der Kursteilnehmenden gestiegen, das entwicklungshemmende, wie runtermachen, gesunken ist. Professor Wulf Rauer von der Universität Hamburg hat Kursteilnehmende vor, während und nach dem Kursbesuch sowie vier Monate später befragt und die Resultate mit einer Begleitgruppe, die keinen Kurs besucht hat, verglichen. Die Studie macht deutlich, dass die Kursteilnehmenden auch vier Monate später bedeutend zufriedener mit ihrer Elternrolle sind, klarer den Kindern ihre Erwartungen kommunizieren können und die Kinder die vereinbarten Regeln besser einhalten. Auch die Kinder wurden befragt und meldeten, dass sie mehr Unterstützung, Wärme und Trost von den Eltern erfahren.

Vorhin sagten Sie, dass über 65 000 Eltern einen Elternbildungskurs pro Jahr besuchen. Darunter sind aber nur 13 000 Männer. Ist Erziehung Frauensache?

Sicher nicht. Übrigens haben wir in Europa die höchste Männerrate. Aber wir müssen versuchen, den Väteranteil zu steigern. Es hängt viel davon ab, wie zielgruppenspezifisch wir die Leute angehen. Wer Väter ansprechen will, muss sich überlegen wie und wo er die Männer erreichen kann. Es gibt gewisse Elternbildungskurse, die sich bewusst an Mütter richten; zum Beispiel Kurse, die am Vormittag stattfinden, für Eltern mit Babys. Andere bieten Kurse am Samstagvormittag oder am Abend an. Da kommen vermehrt auch Männer. Wir haben erlebt, dass Frauen ihre Männer angemeldet haben oder dass Männer, ihren Kollegen mitgenommen haben, damit sie nicht so allein sind.

Es gibt in der Schweiz etwa 1000 Organisationen, die Erziehungskurse anbieten. Woher sollten Eltern wissen, welcher der richtige Kurs für sie ist?

Auf der Homepage von Elternbildung Schweiz gibt es eine grosse Veranstaltungsdatenbank. Das Angebot ist regional sehr unterschiedlich. Wenn man unsicher ist, welches Angebot genutzt werden soll, kann man bei den Anbietern oder bei der Kursleitung anrufen und sich erkundigen oder man fragt Leute an, die schon teilgenommen haben. Mund zu Mund Propaganda ist sicher das Beste.

Interview: Angela Zimmerling im September 2011

Starke Eltern - Starke Kinder ist ein Elternkurs, der das Selbstvertrauen stärken will.

Elternkurs: «Starke Eltern – Starke Kinder»

Der Elternbildungskurs «Starke Eltern – Starke Kinder» wurde vom Deutschen Kinderschutzbund entwickelt. In der Schweiz wird der Kurs von der Stiftung Kinderschutz Schweiz getragen. Er will das Selbstvertrauen der Eltern stärken und ihren Blick auf die positiven Seiten des Kindes lenken. Zudem werden die Wert- und Erziehungsvorstellungen in der Familie geklärt.

Der Kurs gliedert sich in einen Basis- und einen Aufbaukurs von jeweils vier Einheiten. Der Basiskurs kostet zwischen 100 und 180 Franken pro Person. Es gibt teilweise auch günstigere Angebote.

Weitere Informationen zum Kurs gibt es unter www.starkeeltern-starkekinder.ch

 

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