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«Natürlich ist eine Rabenmutter keine schlechte Mutter»

Nathalie Sassine-Hauptmann hat mit «Rabenmutter.ch» einen pädagogisch unkorrekten Mutterblog aufgelegt, der nicht unter die Ratgeber einsortiert werden will. Dieses Jahr erschien das gleichnamige Buch dazu. Wir trafen die Autorin zum Interview.

Nathalie Sassine Hauptmann: Trautes Familienglück einer «Rabenmutter»
«Das Familienglück muss jede Familie für sich selbst definieren, da sollte keiner reinreden» meint Autorin Nathalie Sassine-Hauptmann. Illustration: © Kati Rickenbach - Walde+Graf Verlag

Mit ihrem gelassenen Blick auf Erziehungsfragen spricht die Mama terrible der Mütterblogs allen Frauen aus dem Herzen, die keine perfekten Mütter sein wollen. Mit einem Augenzwinkern plaudert sie mit uns über die schlimmsten Erziehungskritikerinnen, Mütter, die Frauen geblieben sind und die Akzeptanz von Müttern in der Arbeitswelt.

Mit Ihrem gleichnamigen Blog und Buch sind Sie wohl die bekannteste «Rabenmutter» der Schweiz. Was macht eine Rabenmutter eigentlich aus?

Eine Rabenmutter ist für mich eine Mutter, die nicht perfekt sein will, weil niemand perfekt sein kann. Sie ist eine Mutter, die ihr Kind auch mal eine halbe Stunde fernsehen lässt oder mit ihrem Kind auch mal nicht an die frische Luft geht, weil das Wetter einfach nicht so schön ist. Sie ist eine Mutter, die diese ganzen gesellschaftlichen Erwartungen, daran was eine Mutter zu tun oder zu lassen habe, einfach nicht so genau nimmt. Und natürlich ist eine Rabenmutter keine schlechte Mutter. Aber Sie ist eine Frau, die auch mal an sich denkt - und nicht nur an die Kinder. Weil dann ist auch an die Kinder gedacht! Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass meine Kinder glücklicher wären, wenn ich öfter zuhause wäre und weniger arbeiten würde. Denn dann wäre ich ja nicht glücklich und das kann meine Kinder nicht glücklich machen.

In Ihrem Buch versprechen Sie «Die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und das Muttersein». Was wurde den Frauen denn bislang verschwiegen?

Kinder zu haben ist ein grosses Glück, es ist nur nicht so wie man es sich vorstellt. Als ich vor acht Jahren mit meinem ersten Kind schwanger war, bin ich sofort in die Buchhandlung gerannt und habe haufenweise Ratgeber gelesen. Danach stellte ich mir das Muttersein wahnsinnig schön vor, aber auf die möglichen Probleme war ich überhaupt nicht vorbereitet. Der allgemeine Tenor lautet immer gleich: Mami sein ist so toll! Und dann ist man ganz überrascht, wenn es mal nicht so toll ist. Dann darf man das aber auch nicht zugeben, weil man ja jetzt als frischgebackene Mutter gefälligst überglücklich zu sein hat. Die Darstellung von Schwangerschaft und Muttersein entspricht einfach nicht der Realität.

Woher kommt eigentlich der Begriff «Rabenmutter»?

Der Begriff «Rabenmutter» ist eine häufig negativ gebrauchter Ausdruck für eine Mutter, die ihre Kinder vernachlässigt. Die Annahme, dass Raben allerdings keine fürsorglichen Eltern seien, basiert auf einem Trugschluss. Der Ausdruck «Rabenmutter» geht auf eine sehr alte und falsche Interpretation des Verhaltens von Rabenfamilien in der Natur zurück. Junge Raben sind eigentlich Nesthocker, verlassen aber auf eigenem Antrieb das Elternnest noch bevor sie fliegen können. Dadurch erscheinen junge Raben sehr unbeholfen und vermittelten Naturbeobachtern anfänglich den Eindruck, als wären sie zu früh auf sich alleine gestellt. Tatsächlich füttern Raben ihren Nachwuchs über viele Wochen lang und beschützen sie vor Feinden.

Quelle: Wikipedia

Es gibt Legionen an Büchern über Schwangerschaft, Babys und Kindererziehung. Warum mischen Sie da auch noch mit, wo Sie doch gar nichts von Ratgebern halten?

Mein Buch ist kein Ratgeber. Wenn sich jemand daraus Rat erhofft, dann hat er sich geschnitten. Ich bin weder pädagogisch noch psychologisch ausgebildet, so dass ich sagen könnte, genau das ist gut für dein Kind. Ich kann nur erzählen was ich selbst erlebt und in meinem Umfeld beobachtet habe. Deshalb ist mein Buch vielmehr eine Geschichte, in der sich Mütter mit ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen wiedererkennen können. Diese Rückmeldung bekomme ich übrigens ganz oft. Aber schon bei meinem Rabenmutter-Blog habe ich gemerkt, dass viele Mütter froh sind mal etwas zu lesen, das nicht von einer Supermami handelt.

Auch in Ihrem Buch spielen Supermamis eine grosse Rolle. Glauben Sie, dass Frauen ihr Konkurrenzdenken und ihren Ehrgeiz auf das Muttersein übertragen?

Total! Ich hätte das Buch auch Anti-Supermami-Buch nennen können, weil das ist wirklich ein Thema, dass mir sehr am Herzen liegt. Abgesehen von Ratgeberliteratur und vielleicht noch Grossmüttern, sind die schlimmsten Kritikerinnen - oder die wir als die schlimmsten Kritikerinnen empfinden - andere Mütter. Denn jede Mutter glaubt für sich, so wie sie es macht, ist es richtig. Bereits während der Schwangerschaft wird man von wildfremden Frauen konfrontiert, die einen fragen, ob man Alkohol trinkt oder ob man Stillen will. Deshalb trifft man mich auch nie wieder auf Kinderspielplätzen, diesen Undergroundpartys für Mütter. Da habe ich immer das Gefühl alle anderen Mütter sind perfekt organisiert, nur ich nicht. Alle haben ihre Tupperware dabei, voll mit Apfelschnitzli und Vollkornkräcker, und ich hab schon wieder alles vergessen. Und wenn ich dann schnell in den Kiosk um die Ecke düse und irgendeinen Schokoriegel kaufe, höre ich solche spitzen Bemerkungen wie: «Also Schokolade ist wirklich nicht gesund für den Znüni.» Als ob ich das nicht selber wüsste, ich bin ja nicht doof!

Geht es dabei eigentlich um das Kind oder um eine Art Lebensstil, den man zeigt?

Es geht um einen Lebensstil, den man zeigt, ganz offensichtlich. Das fängt ja schon beim Kinderwagen an. Es ist tatsächlich so, dass man Mütter beispielsweise am Kinderwagenmodell erkennen kann. Das Kind ist dabei vollkommen irrelevant. Es geht darum, was du als Mutter richtig oder falsch machst. Und es geht natürlich um die gewisse Konkurrenz, die wir Frauen untereinander sowieso schon immer pflegen und als Mütter noch potenziert haben. Weil Kinder eben heute so wichtig sind und das Zentrum der Familie bilden - und weil oft auch Einzelkinder da sind, ist das Kind quasi zu einem Karriereprojekt geworden - und das Projekt muss gelingen, sonst hat man versagt.

Warum sind Väter in Erziehungsfragen häufig soviel gelassener als Mütter?

Das habe ich meinen Mann auch schon gefragt. Wie geht das, dass man sich so wenig Fragen stellt, sondern einfach macht – und so viel machen sie ja nicht falsch! Ich habe keine richtige Antwort auf diese Frage. Männer sind sozialhistorisch bedingt vielleicht selbstbewusster. Wir Frauen zweifeln ja immer an uns. Wenn dich ein Mann verlässt, frägst du dich zuerst: Was habe ich falsch gemacht? Und du denkst eben nicht, was für ein Idiot, der weiss gar nicht, was er an mir hat. Das ist wahrscheinlich das doppelte X-Chromosom.

In Ihrem Buch erwähnen Sie oft, dass sie eigentlich grosses Glück haben. Sie haben einen Ehemann, der sie unterstützt und die finanzielle Sicherheit zwischen Vollzeitmutter und Berufstätigkeit zu entscheiden. Wie müssten Sie die Geschichte der Rabenmutter eigentlich umschreiben, wenn es keinen Mann dazu gäbe und das Geld ohnehin schon immer knapp wäre?

Da hätte ich gar keine Zeit gehabt ein Buch zu schreiben. Ohne meinen Mann wäre das nicht gegangen. Wenn aber doch, dann hätte ich die Papa-Kapitel wahrscheinlich entweder zynischer geschrieben oder gleich ganz weggelassen. Wahrscheinlich wäre mir aber auch sehr viel mehr passiert, das ich ins Buch hätte reinpacken können. Ich kenne viele alleinerziehende Mütter, die das mit sehr viel Humor meistern.

Sie widmen Ihren Blog «Müttern, die Frau geblieben sind». Glauben Sie, dass Mütter in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht mehr als Frauen wahrgenommen werden?

Der Fernseher als Babysitter:Typisch Rabenmutter?
«Rabenmutter» Nathalie Sassine-Hauptmann widmete ein Kapitel ihres Buches der Danksagung an den Fernseher. Illustration: © Kati Rickenbach - Walde+Graf Verlag

Ich denke, dass es sich gerade wieder bessert. Als ich vor sieben Jahren Mutter wurde, hatte ich das Gefühl, jetzt bin ich also nur noch Mutter. Von der Werbung und den Medien, wurde ich nur mit Mutter- und Babythemen eingelullt. In keinem dieser Familienmagazine war auch mal ein politisches oder wirtschaftliches Thema drin. Aber selbst nimmt man sich auch so wahr. Ganz oft interessiert einen als Mutter auch gar kein anderes Thema, zumindest am Anfang. Bei mir war das so. Gleich nach der Geburt wieder Arbeiten zu gehen war bei mir überhaupt keine Option. Ich hätte das nicht gekonnt. Mein Gehirn war völlig babylastig. Aber ich glaub schon, mit dem ersten Kind wirst du fast nur noch als Muttertier wahrgenommen. Das Schlimmste ist natürlich, wenn dich der eigene Mann nur noch als Mutter sieht.

Sie haben als berufstätige Mutter durchwachsene Erfahrungen gemacht und sich in Selbstständigkeit verabschiedet. Zum einen beklagen Sie mangelndes Verständnis für den straffen Zeitplan berufstätiger Mütter, zum anderen wollen Sie im Beruf auch nicht ständig auf Ihre Mutterrolle reduziert werden. Gibt es eigentlich einen Platz für berufstätige Mütter in der Schweiz?

Fangfrage! Natürlich gibt es einen Platz für Mütter in der Arbeitswelt. Ich glaube auch nicht, dass die Männer das Problem sind. Es kommt vielleicht auf die eigene Einstellung an. Ich habe damals ein latent schlechtes Gewissen mit mir herum getragen, als ich wieder arbeiten gegangen bin. Und wenn mich dann jemand fragte, was ich eigentlich mit meinen Kindern mache, während ich im Büro sitze, bin ich gleich in die Luft gegangen. Wenn man das schlechte Gewissen aber nicht hat - das ich jetzt übrigens auch überhaupt nicht mehr habe, dann geht das wunderbar. Offen bleibt die Frage der Akzeptanz für Mütter in Kaderstellen. Wobei das auch ein Wahrnehmungsproblem ist. Man spricht ständig davon, dass Frauen in den Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Dabei wollen 80 Prozent aller Frauen gar keine Führungsposition. Sie haben aber trotzdem Probleme im Job, weil sie eben immer pünktlich um halb sechs gehen müssen, um ihr Kind von der Krippe abzuholen. Von denen spricht jedoch niemand. Es wird aber wahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis berufstätige Mütter so akzeptiert sind wie beispielsweise in Frankreich. Das gehört dort ganz selbstverständlich zum gesellschaftlichen Leben dazu. In der Schweiz befinden wir uns dagegen noch im Mittelalter. Man tut hier immer so, als hätten Mütter noch nie gearbeitet. Dabei ist es noch gar nicht lange her, da war das völlig normal.

Ist die Vorstellung der Frau, die sich um Kinder und Heim kümmert ein Phänomen der Wohlstandsgesellschaft?

Auf jeden Fall. Man redet ja immer nur über Karrieremütter, die sich selbstverwirklichen wollen, aber keiner redet über die, die arbeiten müssen. Dabei gibt es sehr viele Mütter, die einfach keine Wahl haben. Denen wirft man dann auch noch vor, wieso sie überhaupt Kinder haben, wenn sie sich nicht um sie kümmern können. Ich glaube schon, dass es uns in der Schweiz in ganz vielen Dingen viel zu gut geht. Deshalb haben wir den Luxus über bestimmte Dinge diskutieren zu können, anstatt einfach zu funktionieren.

Sie sagen Sie möchten keine Ratgeberin sein. Wenn sie aber einen Ratschlag an Frauen und Mütter formulieren müssten, wie würde der lauten?

Locker bleiben! Versuch erst gar nicht perfekt zu sein, denn das kann keine Ambition sein. Vielmehr geht es darum herauszufinden, was für die ganze Familie passt. Stillen oder nicht, Fernseher immer aus, Süsses fürs Znüni, ob die Mutter arbeiten geht, der Vater arbeiten geht oder eben beide, dass alles sollte keine Rolle spielen Das wichtigste ist, dass die Familie für sich einen Weg findet, der alle glücklich macht.

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Foto: © Jean-Luc Grossmann - Walde+Graf Verlag

Nathalie Sassine-Hauptmann ist als freie Journalistin unter anderem für das Familienmagazin wir eltern und das Frauen-Onlinemagazin clack.ch tätig. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich. Auf ihrem Blog rabenmutter.ch berichtet sie aus subjektiver Sicht von den Höhen und Tiefen des Mutterwerdens und Mutterseins. Dabei blickt sie auch über den eigenen Tellerrand hinaus und beleuchtet die Sorgen moderner Frauen im Kontext von Politik und Gesellschaft. Im Mai 2011 erschien ihr erstes Buch «Rabenmutter. Die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein».

Buchtipp: «Rabenmutter»

von Nathalie Sassine-Hauptmann, illustriert von Kati Rickenbach

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Furchtbar witzig, manchmal fast gemein und immer frei von der Leber weg erzählt «Rabenmutter» Nathalie Sassine-Hauptmann vom turbulenten Alltag des Mutterwerdens und Mutterseins. Und ganz allein ist sie dabei auch nicht: Manchmalmacho mit Vaterherz, vollblutitalienische Nonna, Arschlochmutter und babyfreie Singlefreundin wirbeln im Buch kräftig Erzählstaub auf. Und für Rabenmütter nicht zu vergessen, einen prima Sohn, der später mal Polizischt werden will und eine süsse Tochter, die sich so lange im Kreis dreht bis ihr schwindelig wird.

Ein tolles und kurzweiliges Buch, um ein manchmal etwas zu ernst gewordenes Thema vom Kopf wieder auf die Füsse zu stellen. Man könnte auch sagen, kein Ratgeber aber ein guter Rat für den nächsten Bücherkauf. 176 Seiten, Walde + Graf Verlag 2011, ca. 32 Franken

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