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Zuhören macht Kinder stark

Schade, dass uns Zuhören manchmal so schwer fällt. Denn Zuhören drückt eine Wertschätzung aus, die Kinder stark macht. Zuhören lässt sich üben und lernen – und führt oft zu überraschenden Erkenntnissen.

Hören Sie Ihrem Kind aktiv zu!
Durch aktives Zuhören bringen Sie Ihrem Kind Respekt entgegen. Foto: Wavebreakmedia Ltd, Thinkstock

«Du hörst mir gar nicht richtig zu!» ruft Tanja (9) wütend. Die Mutter, die gerade ihren Schlüssel sucht, fühlt sich ertappt. «Aber das, was Tanja da gerade von der Freundin erzählt, ist doch ohnehin nicht wichtig», rechtfertigt sie sich in Gedanken. In unserer schnellen Zeit, in der täglich so viele Aufgaben zu bewältigen sind, ist aufmerksames Zuhören schwierig geworden. Wer viel um die Ohren hat, verschliesst sie oft – halb oder ganz - vor anderen. Doch ohne aufmerksames Zuhören ist keine klare Kommunikation möglich.

Ohne Zuhören kein Verständnis

Kommunikation beruht auf zwei Fähigkeiten: aus Reden und aus Zuhören. Dem ersten Teil der Kommunikation, dem Reden, wird in unserer Gesellschaft ein hoher Wert beigemessen. Viele Menschen versuchen zu lernen, gut zu reden. Arbeitnehmer besuchen Seminare um zu erfahren, wie sie in Vorstellungsgesprächen überzeugen. Manager bezahlen viel Geld um herauszufinden, wie sie Geschäftspartnern gegenüber geschickt argumentieren können.

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Doch der andere Teil der Kommunikation, das Zuhören, wird oft vernachlässigt. «Mit dem Zuhören beschäftigen sich wenige. Dies ist eines der grössten Defizite in unserer heutigen Zivilisation und oft auch Auslöser für Konflikte», sagt Christian Steudler, Kursleiter für Gordon-Familientraining in Gstaad, bei dem aktives Zuhören gelernt werden kann. Wer nicht zuhört, kann den anderen nicht verstehen und muss zwangsläufig falsche Rückschlüsse ziehen.

Vielleicht ist das, was Tanja von der Freundin erzählt, doch nicht so unwichtig? Vielleicht liegt im Verhalten der Freundin sogar die Ursache dafür, dass Tanja heute etwas missmutig ist. Und möglicherweise trägt die Unzufriedenheit heute dazu, dass Tanja am Essen herumnörgelt. Mit der Mutmassung, Tanja wolle einen Machtkampf mit ihr ausfechten, läge die Mutter also ganz falsch.

Zuhören zeigt Wertschätzung

Wenn Eltern häufig nur halbherzig zuhören, zeigen sie ihrem Kind: «Das, was du redest, hat wenig Wert für mich.» Ein Kind in einem Hörclub hat einmal gesagt: «Wenn einem die Erwachsenen nicht zuhören, dann ist das so, als wenn man nicht da ist.» «Das bringt die existentielle Bedeutung des Zuhörens hervorragend auf den Punkt», so Marion Glück-Levi, Vorsitzende der Stiftung Zuhören in München.

Bewusstes Zuhören demonstriert: «Du bist mir wichtig.» Kinder wünschen sich das. «Aufmerksam zuzuhören ist das beste Kompliment für den Sprecher», erkannte schon der schottische Historiker Thomas Carlyle (1795-1881).

Richtig zuhören: So geht es

«Was eine gute Zuhörerin oder ein guter Zuhörer zu tun hat, ist anspruchsvoll, bedeutsam und entscheidend. Dies gilt vor allem auch für Erwachsene, die mit Kindern im Gespräch sind», schrieb die Schweizer Religionspädagogin, Autorin und Erwachsenenbildnerin Vreni Merz (2011 verstorben). Anspruchsvoll ist Zuhören vor allem dann, wenn die Zeit knapp ist, Kinder aber viel reden. Wie soll man da offenen Ohres bleiben?

Immer und ständig die Ohren offen halten, das geht sicher nicht. Wichtig ist aber, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann es sich lohnt, richtig hinzuhören. Zuhören – das geht nicht nur mit den Ohren. Zuhören bedeutet, den anderen mit Interesse wahrzunehmen, ihn anzusehen, auch in ihn hineinzuspüren.

Sinnvoll ist es, einfach mal alles stehen und liegen zu lassen, wenn man das Gefühl hat, das Kind müsse jetzt ein paar Gedanken loswerden. «Erzähl mal», mehr an Worten bedarf es kaum. Auch eine gemeinsames Teetrinken, das wie ein Ritual jeden Tag um etwa dieselbe Zeit stattfindet, kann ein guter Rahmen zum Zuhören sein.

Zuhören – so lässt es sich lernen

  • Wir beenden die Arbeit, mit der wir gerade beschäftigt sind.
  • Wir zeigen durch unsere Körperhaltung, dass wir zuhören. Vielleicht müssen wir uns dazu herunterbeugen. Vielleicht setzen wir uns dazu auch neben unser Kind. Wir schauen unser Kind an und schenken ihm unsere ganz Aufmerksamkeit.
  • Wir achten genau auf die Worte, die unser Kind benutzt. Wir fragen uns: «Was fühlt unser Kind?» Wir denken an ein Wort, das dieses Wort beschreibt. Wir fragen uns ausserdem: «Warum hat unser Kind dieses Gefühl? Wodurch wurde es verursacht?»
  • Wir hören aktiv zu. Wir stellen uns vor, wir seien ein Spiegel, der die Worte und Gefühle des Kindes widerspiegelt, dasheisst wir wiederholen die Aussage entweder im Wortlaut oder mit eigenen Worten. Wir nennen die Gefühle des Kindes beim Namen und verleihen ihnen damit Ausdruck.

(Quelle: Step - Das Elternbuch: Die ersten sechs Jahre. Von Don Dinkmeyer, Gary D. McKay und Joyce L. McKay. Beltz Taschenbuch. 5. Aufl 2010.)

 

Zuhören: Lernen am Vorbild

Kinder sind sehr gute Beobachter. Wenn Eltern gut zuhören, lernen auch Kinder, genau hinzuhören und das Gegenüber ernst zu nehmen. Christian Steudler sagt: «Vorbilder sind wichtig.»

Klavier spielen, Englisch sprechen, geometrische Formeln durchblicken können – das alles sind Fähigkeiten, die Kindern wichtiges Rüstzeug im Leben sein können. Ohne die Fähigkeit des Zuhörens aber lassen sie sich nicht erlernen. Kinder, die zuhören können, sind in der Lage, sich auf Menschen und auf Aufgaben zu konzentrieren. Sie verstehen Arbeitsanleitungen und Anforderungen. «Wir stellen fest, dass zuhörgeübte Kinder ruhiger werden und besser mit Konflikten umgehen», heisst es auf den Internetseiten der Stiftung Zuhören. «Denn nur wer zuhört, kann Informationen differenzieren, bewerten und seine Handlungen und Entscheidungen danach ausrichten.»

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