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Motorik-Test für Kinder: «Nicht jeder kann ein Lionel Messi werden»

Ab wann sollte ein Kind auf einem Bein hüpfen können? Die Neurophysiologin Tanja Kakebeeke hat einen Motorik-Test für Kinder zwischen drei und fünf Jahren entwickelt. So können frühzeitig motorische Störungen erkannt werden. Im Interview erklärt sie, warum es gut ist, dass Kinder mit drei Jahren nicht alles können.

Ein Motorik-Test prüft, ob Kinder hüpfen können.
Springen, rennen und laufen: Der Motorik-Test von Tanja Kakebeeke überprüft, was Kinder schon können. Foto: Ryan McVay,  Lifesize, Thinkstock

Frau Kakebeeke, in welchem Alter haben Sie das Laufen gelernt?

Tanja Kakebeeke: Ich war unheimlich schlecht. Mit 16 Monaten habe ich angefangen, mit 17 Monaten konnte ich frei laufen.

Ich war ungefähr 13 Monate alt, als ich die ersten Schritte gemacht habe. Schon bei uns beiden ist der Unterschied sehr gross, denn jedes Kind entwickelt sich anders. Warum ist es wichtig zu wissen, was ein Kind wann können muss?

Uns geht es nicht so sehr darum, wann ein Kind etwas kann, sondern wie es etwas kann. Wenn ein Kind mit 13 Monaten auf Zehenspitzen geht, ist das nicht gut. Ein Kind, das das Laufen erst mit 17 Monaten lernt, dafür aber die Füsse flach auf den Boden aufsetzen kann, entwickelt sich normal.  Natürlich müssen wir auch schauen, in welchem Alter ein Kind etwas können sollte.

Warum ist es so wichtig zu wissen, wie ein Kind etwas kann?

Bestimmte Muster sind ein Zeichen dafür, dass neurologisch nicht alles in Ordnung ist. Vielleicht muss man eine Therapie einleiten.

Kann das nicht nur eine Phase sein?

Nein. Ein Kind, das beim Laufen ein Bein nach aussen dreht, wird es wahrscheinlich immer so machen.

Was würde der Kinderarzt raten, wenn das Kind auf Zehenspitzen läuft oder ein Bein nach aussen dreht?

Das kann ich nicht beurteilen, aber ich denke, eine Physiotherapie wäre eine Möglichkeit.

Wie haben Sie Ihren Motorik-Test für Drei- bis Fünfjährige aufgebaut?

Wir haben das Testverfahren, die Zürcher Neuromotorik für Kinder von  fünf bis 18 Jahren, vom bekannten Kinderarzt Remo Largo übernommen und mit anderen Aufgaben kombiniert. Zum Beispiel haben wir grobmotorische Tests wie Treppen laufen und auf einem Bein springen oder auf einem Bein stehen hinzugefügt. Ausserdem haben wir spielerische Elemente ergänzt: Die Kinder müssen Perlen auffädeln oder Schrauben drehen. Wir haben diesen Test von 100 Kindern durchlaufen lassen und alles auf Video aufgenommen.

Was haben Sie herausgefunden?

Mit drei Jahren können die Kinder vieles noch nicht: zum Beispiel hüpfen auf einem Bein und länger stehen auf einem Bein. Aber im Alter von fünf Jahren können das die meisten. Was ich nicht erwartet hätte:  Alle Kinder, die wir angeschaut haben, schafften es nicht, seitwärts zu springen. Offenbar kommt das erst später.

Wann könnte man Ihren Test in der Kinderarztpraxis anwenden?

Vielleicht in ein bis zwei Jahren. Wir wollen diesen Test noch weiterentwickeln.

Wie können Eltern die Motorik Ihres Kindes fördern?

Bestimmte Entwicklungen, wie aufrecht zu gehen, sind genetisch bedingt. Die Koordination aber ist abhängig von der Übung. Wir wissen allerdings nicht, wann ein Kind mit dem Üben anfangen muss. Das möchte ich sehr gern herausfinden. Wir wissen, dass Roger Federer mit drei Jahren angefangen hat Tennis zu spielen. Tiger Woods hat mit zwei Jahren angefangen Golf zu spielen. Man weiss aber nicht, inwiefern es notwendig ist, so früh anzufangen. Was man weiss ist, dass Kinder möglichst viele Bewegungserfahrungen sammeln und viele Sportarten ausprobieren sollten.

Was halten Sie von Frühförderung?

Das Kind ist der Taktgeber. Es muss den Sport auch mögen. Drill bringt in diesem Alter nichts. Wir haben unsere Ergebnisse nicht veröffentlicht, um Eltern zu verunsichern, sondern um zu zeigen, dass Kinder mit drei Jahren noch nicht alles können und das ist gut so.

Eltern wollen aber immer das Beste für ihr Kind.

Wir wollen unsere Kinder zu den grössten Sportskanonen und Intelligenzbestien machen. Es kann aber nicht jeder ein Lionel Messi werden. Wir müssen von diesem Gedanken wegkommen, dass wir immer alles zu 100 Prozent können. Es ist normal, dass Kinder manches noch nicht können. Das Problem ist, dass es heute immer weniger Kinder gibt, die draussen zusammen spielen. Ich habe als Kind mit meinen Freunden Gummitwist und Himmel und Hölle gespielt. Dabei haben wir ganz nebenbei unsere Koordination trainiert.

Sind Eltern zu vorsichtig?

Ja, man muss mehr Mut haben. In meiner Kindheit hatte man ein unverkrampfteres Verhältnis. Aber in Zürich würde ich mein Kind auch nicht mit dem Fahrrad zum Bellevue hinunter schicken. Das ist eine Kamikaze-Übung. Auf dem Dorf geht das.

Tanja Kakebeeke hat einen Motorik-Test für Kinder zwischen 3 und 5 Jahren entwickelt.Dr. Tanja Kakebeeke ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich. Zuvor arbeitete sie einige Jahre als Physiotherapeutin, studierte in England und den Niederlanden Human Movement Science und promovierte und habilitierte in Fribourg.

(Bild: Angela Zimmerling)

Interview: Angela Zimmerling, im März 2013

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