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Jungen in der Krise: Was kleine Machos wirklich brauchen

Jungen prügeln sich, stören den Unterricht, bringen schlechte Noten nach Hause, sind unruhig und machen blöde Witze. «Jungen stecken in der Krise», bestätigt der Psychologe Allan Guggenbühl, Autor des Buches «Kleine Machos in der Krise». Im Interview erklärt er, wie das Problem zu lösen ist.

Jungen in der Krise: Keine Lust auf Schule
Keinen Bock auf Schule: Laut Allan Guggenbühl ist die heutige Pädagogik nicht jungengerecht. (Foto: Dangubic/iStock, Thinkstock)

Herr Guggenbühl, wenn Eltern von Söhnen und Lehrer von Schülern sprechen, berichten sie immer wieder von Lustlosigkeit, Desinteresse und Aggressivität. Geht es Jungen wirklich so schlecht?

Allan Guggenbühl: Ja, vor allem in der Schule haben viele Jungen grosse Probleme. Sie bringen schlechtere Leistung, stören mehr und sind öfter von Schulausschlüssen betroffen. Die Schule bereitet den Jungen viel mehr Mühe als den Mädchen.

Woran liegt das?

Das Problem liegt vor allem darin, dass sich eine Pädagogik verbreitet hat, die nicht jungengerecht ist. Sie ist sehr sprachlastig und stellt soziale Kompetenzen in den Vordergrund. Vieles widerspricht der Psychologie der Jungen.

Es gibt also Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

Natürlich! Und das ist auch keine Katastrophe, sondern eine Bereicherung des Lebens! Gleichberechtigung wird leider mit Gleichheit verwechselt. Chancengleichheit ist immens wichtig, jedoch muss man bei der Förderung der Mädchen zum Teil anders vorgehen als bei den Jungen.

Zur Person:

Alain Guggenbühl: versteht die Jungen

Allan Guggenbühl leitet das Institut für Konfliktmanagement und Mythodrama sowie die Abteilung für Gruppenpsychotherapie für Kinder und Jugendliche an der kantonalen Erziehungsberatung der Stadt Bern. Der Psychotherapeut ist darüber hinaus als Dozent an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Zürich tätig und berät Lehrpersonen und Führungspersonen von Organisationen und Schulen über Konfliktmanagement.

Worin bestehen die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen?

Schon Kleinkinder entwickeln geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, die für Jungen oder Mädchen typisch sind, aber natürlich nicht bei jedem Mädchen oder jedem Jungen vorkommen müssen. Während Jungen sich mehrheitlich für Autos, Sport und Computer begeistern, wenden sich Mädchen persönlichen Beziehungen oder sozialen Spielen zu. Kinder selber sagen, dass Jungen gerne herumrennen, kämpfen und Blödsinn machen, während Mädchen zusammensitzen und reden. Jungen tragen Spannungen und Rivalitäten offener aus, sie werden von dramatischen Ereignissen angezogen und haben die Tendenz zu übertreiben. Sie gehen auch grössere Risiken ein.

Können Sie ein Beispiel für ein typisches Verhaltensmuster von Jungen nennen?

Wenn Jungen in eine neue Klasse kommen oder in einer Clique Anschluss suchen, dann setzen sie andere Strategien als Mädchen ein. Sie bringen sich selten primär über den persönlichen Kontakt ein, sondern wollen sich erst einmal präsentieren. Die neuen Mitschüler sollen beeindruckt werden und wissen, wen sie vor sich haben! Lässig stellen sie sich mit ihrem Skateboard hin, demonstrieren nebenbei ihr Handy oder prahlen mit Fussball-Ergebnissen. Nicht persönliche Eigenschaften zählen, sondern das, was man tut, spielt und besitzt. Auftritte und Selbstdarstellung entscheiden darüber, welche Stellung man in der Gruppenhierarchie hat und welche Rolle man übernehmen wird.

Woher kommen diese Geschlechter-Unterschiede?

Inzwischen hat die Genderforschung erkannt, dass Geschlechtseigenschaften nicht nur das Produkt von Erziehung und Umwelt-Einflüssen sind, sondern auch genetische oder hormonelle Dispositionen. Natürlich werden wir von der Gesellschaft beeinflusst und verfügen zudem über einen persönlichen Gestaltungswillen, doch in allen Gesellschaften entwickeln sich auch unterschiedliche Verhaltensprofile.

Was muss für Jungen getan werden?

Es ist dringend geboten, dass die Geschlechter-Unterschiede in der Erziehung und in der Schule mehr Berücksichtigung finden!

Muss sich die Schule verändern?

Heute spielen die verbalen Fähigkeiten und Sozialkompetenzen eine grosse Rolle in der Schule. Die Standards, die dazu definiert wurden, kommen jedoch den Mädchen viel mehr entgegen. Mädchen sprechen viel mehr auf das individuelle Gespräch an, Jungen suchen Gruppenvergleiche und Wettbewerb, das ist jedoch oft verpönt.

Es gilt also, typisch männliche Eigenschaften zu nutzen statt unterdrücken?

Ja. Das gilt auch für die Neigung der Selbstüberschätzung. Wenn ein Junge überzeugt ist, dass er die Fähigkeit zum grössten Gitarristen der Welt hat, dann kann dieses überhöhte Selbstbild auch eine Ressource sein. Statt dem Jungen diese grandiosen Fantasien zu nehmen, könnte man jedoch einfach realistische Zwischenziele anpeilen.

Wie können Eltern sinnvoll mit ihren Söhnen umgehen?

Gut, wenn Eltern ihre Söhne in ihrer Sprache ansprechen! Es gilt, jene Themenkomplexe zu finden, die ihnen am Herzen liegen – ob Dinosaurier, Autos, Eishockey oder Fussball. Die Rede über Sachthemen erleben Jungen als persönlichen Ausdruck. Das heisst, wenn sie über Computer, Skateboards oder Fussball reden, dann sprechen sie auch über sich selbst. Die Kunst ist es, die persönlichen Botschaften herauszuhören. Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Söhne mehr lesen. Das Lesen wäre auch für Jungen interessant, wenn Sachthemen wie das Lieblings-Fussballteam, Automarken oder andere spannende Ereignisse im Vordergrund stehen.

Viele Eltern stöhnen darüber, dass ihre Jungen nicht auf sie hören.

Jungen gehorchen auf eine andere Weise. Appelle oder gutes Zureden nützen bei ihnen oft nichts. Sie reagieren auf eine klare, bestimmte Sprache oder Befehle. Darüber hinaus muss man mit Jungen verhandeln! Wenn man von ihnen will, dass sie die Küche oder das Wohnzimmer aufräumen, dann muss aus ihrer Sicht ihr Einsatz mit einer Gegenleistung gebührend honoriert werden. Mädchen machen viel mehr der Beziehung zu liebe.

Buchtipp

Cover «Kleine Machos in der Krise»

«Kleine Machos in der Krise: Wie Eltern und Lehrer Jungen besser verstehen»
Von Allan Guggenbühl
Herder Verlag 2016
ISBN: 978-3451287671

Autor: Sigrid Schulze im Mai 2013

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