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«Bohrmaschinen fehlen»: Alte Rollenmuster in der Kinderkrippe

Mädchen und Jungen werden in der Kinderkrippe nicht gleichbehandelt. Stattdessen werden dort unbemerkt althergebrachte Rollenmuster an Kinder weitergegeben. Prof. Franziska Vogt von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen erläutert, warum das so ist und was sich dagegen tun lässt.

Alte Rollenmuster in der Kinderkrippe
Das Mädchen möchte vielleicht lieber mit der Bohrmaschine spielen. Die ist jedoch nicht vorhanden: Foto: Hemera Thinkstock

Frau Prof. Vogt, drei Jahre lang haben Sie und Ihr Team im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms zur Gleichstellung der Geschlechter 20 Deutschschweizer Kinderkrippen durchleuchtet. Was war Ihr Ziel?

Franziska Vogt: Wir wollten herausfinden, ob das Personal von Kindertagesstätten im Kita-Alltag Geschlechter-Stereotype verstärkt oder abschwächt. Dazu haben wir gezielt Interviews geführt. In vier Krippen haben wir darüber hinaus den Alltag auf Videofilmen festgehalten und ausgewertet.

Wie lautet das Ergebnis Ihrer Forschung?

Die Gleichbehandlung der Geschlechter ist in allen Kitas unstrittig. Niemand, weder Leitung noch Team einer Kinderkrippe, will Kindern Rollenklischees vermitteln. Das gelingt in sehr offensichtlichen Situationen besser, zum Beispiel, wenn ein Junge bei einem Gespräch zur Fasnacht behauptet, Frauen könnten nicht Piratin sein, die Kinderbetreuerin aber sagt: «Doch, es gibt Piratinnen und ich gehe als Piratin zur Fasnacht.» In weniger offensichtlichen Situationen werden geschlechtertypische Muster häufig verstärkt – ganz unbewusst.

Wie findet die geschlechtertypische Erziehung in der Kinderkrippe statt?

Stellen Sie sich vor, ein Junge hat Langeweile. Eine Kinderbetreuerin will helfen. Sie macht ihm Spiel-Vorschläge. «Vielleicht magst du mit dem Auto spielen? Oder mit den Bauklötzen?» In solchen Momenten werden häufig nur geschlechtertypische Vorschläge gemacht.

Sie kritisieren auch die Einrichtung in den Kitas …

Die meisten Kindertagesstätten richten die Spielbereiche der Kinder so ein, wie es seit Jahrzehnten üblich ist. Irgendwo steht eine Puppenstube, in einer anderen Ecke ist die Bauecke. Nun muss sich das Kind entscheiden, wo es in der Kinderkrippe spielen will. Und natürlich hat es bereits eine Ahnung davon, dass in unserer Gesellschaft Jungen eher bauen, während die Puppen eher für die Mädchen bereit stehen.

So wird sich das Mädchen wahrscheinlich eher für die Puppen entscheiden, der Junge für die Legosteine …

Ja! Darüber hinaus finden sich in vielen Krippen Spielzeug-Waschmaschinen, Bügelbretter, viele Stöckelschuhe und Handtaschen. Bohrmaschinen, Männerkleider, Werkbänke und Experimentier-Ecken fehlen dagegen oft. Das schränkt Mädchen wie Jungen ein.

Was liesse sich die Situation verbessern?

Relativ leicht ist es in einer Kinderkrippe möglich, die Spielbereiche neu anzuordnen. Das Puppenhaus könnte zum Beispiel neben dem Strassenteppich stehen. Dann könnten im Rollenspiel die Figuren vom Haus aus zur Arbeit fahren – Frauen wie Männer, Jungen wie Mädchen.

Bringen Männer als Erziehende andere Impulse in die Arbeit ein als Frauen?

Krippenleitungen und weibliche Kollegen begrüssen generell Männer als Kinderbetreuer. Sie begegnen ihnen zugleich immer wieder mit stereotypen Erwartungen. Sie sollen mit den Kindern toben, Fussball spielen, motorisch anspruchsvolle Sport- und Spielangebote machen und auch Werkangebote initiieren – ob dies ihren persönlichen Stärken entspricht oder nicht. Decken die Männer diese Bereiche tatsächlich ab, lernen die Kinder umso mehr eine stereotype Geschlechter-Zuordnung kennen.

Ohnehin gibt es viel zu wenige Männer im Personal von Kindertagesstätten ...

Nach Schätzung des Verbands Kindertagesstätten der Schweiz liegt der Frauenanteil bei den Fachkräften in der Krippenerziehung bei 97-98 Prozent. Der Anteil der Männer in Ausbildung ist jedoch erfreulicherweise etwas höher.

Lassen sich diese Ergebnisse auch auf die obligatorischen Kindergärten übertragen?

Kindergarten-Lehrpersonen wie auch Spielgruppen-Leitungen haben an Workshops und Referaten an den Forschungsergebnissen grosses Interesse gezeigt. Viele der oben erwähnten Aspekte sind für sie auch relevant.

Welche Anstrengungen, Kinder weniger geschlechtskonform aufwachsen zu lassen, bestehen bereits?

Gender-Fragen werden bisher in den pädagogischen Konzepten der Krippen kaum berücksichtigt. Das wollen wir ändern, in dem wir an Kita-Leitungen herantreten. Sie können mit uns einen Organisations-Entwicklungsprozess starten. Ziel ist dabei, die Arbeit in der Kita für Männer und Frauen gleichermassen attraktiv zu gestalten und die Integration von Männern in Kitas zu erleichtern und zu begleiten. Die Reflexion der Kita-Arbeit aus der Gender-Perspektive leistet darüber hinaus einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung. Ausserdem wollen wir Männer, die sich bereits in der Kinderbetreuer-Ausbildung befinden, miteinander vernetzen, indem wir Coaching-Treffen anbieten, bei denen Strategien im Umgang mit der besonderen Situation von Männern in diesem Beruf entwickelt werden. Diese Angebote sind für die Kitas und Kinderbetreuer kostenlos, da das Projekt durch das Eidgenössische Büro für Gleichstellung im Rahmen der Finanzhilfe nach dem Gleichstellungsgesetz unterstützt wird.

Zur Person

Prof. Dr. Franziska Vogt
 

Prof. Dr. Franziska Vogt leitet seit 2007 das Institut für Lehr- und Lernforschung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Weitere Informationen.

Weitere Links

• Künftige Projekt-Homepage: www.gender-kita.ch

• Gender in Kinderkrippen – alles über das Forschungsprojekt.

 

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