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Sexfantasien: «Unterschiedliche Vorlieben sind das Salz in der Suppe»

In der Sexualität gibt es eine Bandbreite unterschiedlicher Techniken und Bedürfnisse. Wie Paare mit verschiedenen Sexfantasien umgehen können, erklärt Friedemann Haag, Paar- und Sexualtherapeut aus Zug.

Unterschiedliche Sexfantasien können Partnerschaft beleben
Paare können unterschiedliche Sexfantasien haben. Foto: João Silas, Unsplash

Herr Haag, in der Sexualität gibt es eine grosse Palette unterschiedlicher Vorlieben, Techniken und Bedürfnisse. Doch oft wissen Paare gar nicht, was für Sexfantasien der Partner hat.

Friedemann Haag: Wenn zwei Menschen die ersten Male Sex miteinander haben, sind sie vorsichtig und wollen nichts falsch machen. Sie zeigen sich so, wie sie glauben, dass der andere ihn haben will. Besondere sexuelle Wünsche und Bedürfnisse äussern sie nicht – aus Angst, den anderen zu schockieren. Der Wunsch, eine Beziehung zu knüpfen bzw. zu erhalten, steht zunächst im Vordergrund.

Doch besondere Wünsche in der Sexualität lassen sich nicht ewig unterdrücken.

Tatsächlich halten viele Menschen lange Zeit mit ihren Sexfantasien hinterm Berg. Sie bleiben beim Sex im vertrauten Bereich, dort, wo es auf Anhieb ihnen und ihrem Partner gefallen hat – nicht nur inhaltlich, auch zeitlich, zum Beispiel immer Sonntag morgens, wenn die Kinder noch schlafen.

Das klingt berechenbar und langweilig!

Ja! Ich übertrage das Ganze mal auf einen anderen Bereich, auf das Essen. Zwei Menschen wissen voneinander, dass sie Spaghetti mit Tomatensosse mögen. Und so essen sie ständig Spaghetti mit Tomatensosse, obwohl der eine auch ein 5-Gang-Menü oder der andere sich dazwischen nach Fast Food sehnt.

Warum sprechen die Partner nicht miteinander?

Eigene Wünsche in der Sexualität zu äussern, gleichgültig, ob es sich um Sado-Maso, Anal- oder Oralsex, Leder, Gummi oder anderes handelt, erfordert Ehrlichkeit und grossen Mut. Es gilt nicht nur, Scham zu überwinden, sondern sich auch der Angst zu stellen, den Partner mit den eigenen Sexfantasien zu schockieren. Der Partner könnte sich darüber hinaus auch angegriffen oder verletzt fühlen, wenn er erfährt, dass die bisher gemeinsam gelebte Sexualität nicht als erfüllend erlebt wird.

Sind die Ängste vor dem Outing denn berechtigt?

In der Sexualtherapie werden die Partner manchmal aufgefordert, ihr ideales sexuelles Wunschprogramm aufzuschreiben. Dieses Vorgehen ist spannend für beide Partner. Jeder fragt sich: «Wie wird mein Freund/meine Freundin aufnehmen, was ich geschrieben habe?», «Wird mir gefallen, was er/sie sich wünscht?» In den meisten Fällen reagieren beide viel lockerer und gelassener als erwartet. «Ist das alles? Dann machen wir das so!» oder «Ich kann mir vorstellen, das mal auszuprobieren» ist oft die Antwort abseits aller Klischees. Sich zu outen, kann also sehr erleichternd sein! Und Grenzen zu erweitern, ist spannend, erregt und macht Lust.

Unterschiedliche Sexfantasien sind also nichts Trennendes, sondern eine Chance?

Auf jeden Fall! Unterschiedliche Vorlieben sind das Salz in der Suppe beim Sex. Und sich bei einem Kaffee oder einem Spaziergang darüber auszutauschen, schafft darüber hinaus Beziehungstiefe. Das Paar kann eine spielerische Abmachung treffen: Wir machen es mal auf deine Weise und das nächste Mal nach meiner sexuellen Speisekarte, wo ich bestimmen darf. Sagen, was ich nämlich wirklich möchte, ist manchmal herausfordernder und erfordert Mut und Klarheit. Oder das Paar verabredet sich zu einer spielerischen Variante: Königin und Diener – und umgekehrt. Das bedeutet, dass der König für eine Stunde wünschen und sagen darf, was er möchte und der andere Teil spielt Diener und zeigt sich von der besten Seite. Das nächste Mal werden die Rollen gewechselt.

Bedürfnisse können sich ändern …

Ja, zum Beispiel nach einer Geburt. Dann wünschen sich Männer öfter Sex als Frauen, die vom Baby besonders stark in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus finden Partner selten den geschützten Rahmen, den Sexualität braucht, weil die Tür offen bleiben muss, um das Baby hören zu können. Grundsätzlich hilft nur eines: im Gespräch bleiben und nach Lösungen suchen.

Nicht jeder Wunsch wird akzeptiert …

Wenn ein Partner davon träumt, Grenzen in der Sexualität zu erweitern, der andere aber den Weg nicht mitgehen will, gibt es zwei Standpunkte, von denen beide eine Berechtigung haben. Dann wird sich der Partner, dessen Wunsch in der Sexualität bisher unbefriedigt ist, fragen: Kann ich mit dem «Nein» leben? Oder geht mir etwas Existenzielles verloren? Das Paar muss versuchen, den Konflikt zu lösen. Manchmal ist es schon wirkungsvoll, dem Partner nur zu zu hören, ohne seine Wünsche abzuwerten. Das Paar hat in der heutigen aufgeklärten Sexualität die Freiheit, dass es nicht alles tun muss, was man tun kann. Oft gibt es Kompromisse. So könnte der Partner zum Beispiel dabei sein, aber nicht aktiv mitmachen. Oder er akzeptiert, dass der andere seine Wünsche alleine auslebt und dafür das Schlafzimmer gelegentlich verschliesst.

Friedemann Haag, Paar- und Sexualtherapeut

Zur Person

Als Paar- und Sexualtherapeut begleitet Friedemann Haag bereits seit 30 Jahren Paare und Einzelpersonen durch schwierige Situationen. An seinem Beruf liebt er besonders die Bandbreite an Themen. «Die Bereitschaft, sich bei Konflikten Hilfe zu holen, steigt, vor allem bei jungen Menschen», freut sich Friedemann Haag. Das jüngste Paar, das er beraten hat, waren 17 und 19 Jahre, das älteste Paar, das ihn derzeit konsultiert, ist bereits 85 und 87 Jahre alt: www.paartherapie-zug.ch

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