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Identitätskrise: Wann ist ein Mann ein Mann?

Schweizer Frauen leben heute so selbstbestimmt wie nie zuvor. Längst haben Sie Männern wichtige Domänen streitig gemacht. Das Selbstbild der Männer ist zerfallen. Ein Ende ihrer Identitätskrise ist noch nicht in Sicht.

Auch Männer stecken in einer Identitätskrise
Die Rolle des Mannes steckt in einer Identitätskrise. Doch, Männer sollen Männer bleiben können. Foto: gpointstudio, iStock, Thinkstock

Kinder, Küche, Kirche – auf diese drei Ks waren die Aufgaben der Frauen einst reduziert. Zwar hat die Bedeutung der Kirche im Leben von Frauen verloren, doch in Erziehung und Haushalt bringen sich Frauen auch heute weit mehr ein als Männer. Das aber hat Frauen nicht davon abgehalten, auch in anderen Lebensbereichen Verantwortung zu übernehmen. So sind Frauen besonders gut gebildet. «Ihr Bildungsstand ist erstmals mindestens so hoch wie derjenige der Männer; 60 Prozent Frauen, aber nur 40 Prozent Männer haben wir an den Gymnasien», erklärte Buchautor und Kinderarzt Remo Largo in einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Darüber hinaus punkten Frauen im Berufsleben mit ihren ausgeprägten sozialen und kommunikativen Fähigkeiten.

Identitätskrise Mann: Frauen sind unabhängig geworden

Unsere Grossmütter waren noch weitgehend abhängig von ihren Männern. Waren sie unglücklich, traurig oder enttäuscht, dann blieb ihnen nicht viel anderes übrig, als «die Faust in der Tasche zu machen». Wer heute meint, seinen Mann nicht mehr ertragen zu müssen, kann sich dagegen von ihm trennen oder scheiden lassen. Um ihre Kinder müssen Frauen dabei in der Regel nicht fürchten – nach einer Trennung bleibt des Lebensmittelpunkt der Kleinen meist bei den Müttern. Remo Largo im Tagesanzeiger: «Die Frau wird sozial nicht mehr diskriminiert, wenn sie sich scheiden lässt und alleine lebt.» Im Prinzip sind Frauen unabhängig geworden – von Männern.

Männer immer mehr im Rückstand

Männer dagegen tun sich schwer. Margrit Stamm, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Freiburg i. Ü. und Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, beklagte in der NZZ, dass Knaben die Negativ-Ranglisten in den Rückstellungen beim Schuleintritt, bei den Ritalin-Schluckern, Schulschwänzern und Schulabbrechern anführen. «Dies führt dazu, dass die Gruppe junger Männer wächst, die ab 16 Jahren ohne Ausbildung dastehen» Allgemeine Tendenz sei, dass männliche Jugendliche in Zukunft immer mehr in Rückstand geraten.

Identitätskrise: Männer sollen keine Machos und keine Softies sein

Männer leiden unter einem verloren gegangenen Rollenbild. Sie sollen keine Machos, aber bitte auch keine Softies sein. Wer sind sie dann? Was sie können, können Frauen auch – und das teils besser. Heute teilen sie nicht nur den Job mit Frauen, oft sollen sie auch Führungspostionen um einer besseren Frauenquote willen freimachen. Auch zu Hause sind sie nicht dominant, denn Kinder und Haushalt unterstehen tendenziell immer noch der Regie der Frauen. Die Identitätskrise der Männer erscheint vor allem deshalb problematisch, weil sie wenig diskutiert wird. Und wird sie zur Sprache gebracht, dann meist von Frauen. «In der gesellschaftlichen Diskussion geht es viel um die Rolle und das Bild der Frau. Aber es geht nicht um die Männer», sagte Jens Lönneker, Geschäftsführer des Marktforschungs- und Beratungsinstituts Rheingold Salon in einem Interview mit dem Spiegel. Frauen diskutierten ausführlich darüber, wie sich Privatleben und Arbeit vereinen liessen. «Von Männern hört man da kaum was - die sind seltsam still», konstatierte er.

Männer und Frauen: Rollentausch?

Wie kann ein neues männliches Selbstbild aussehen? Ist ein Rollentausch die Lösung? «Nein», sagte Lönneker. «Die Wertschätzung für das häusliche Terrain war doch in Wahrheit nie so hoch wie die im beruflichen Bereich.» Darum sei es für die Männer völlig unattraktiv, den Hausmann zu machen. Dann müssen Männer vielleicht einfach ein wenig weiblicher werden? «Männer müssen nicht weiblicher werden, aber sie sollten sich der Veränderung von Männlichkeit stellen, alte Machtansprüche aufgeben und mehr Engagement in der Familie, zum Beispiel in Form von Teilzeitarbeit, auch tatsächlich erkämpfen wollen», meint dazu Magrit Stamm in der NZZ.

«Männer brauchen Authentizität»

«Wann ist ein Mann ein Mann?» grölte bereits Musiker Herbert Grönemeyer. «Männer haben's schwer, nehmen's leicht, aussen hart und innen ganz weich, werden als Kind schon auf Mann geeicht.» «Die Männer müssen selbstbewusster mit den Frauen darum ringen, wie sie ihr Feld abstecken wollen», fordert Lönneker. «Männer müssen an bestimmten Stellen sagen: Hier will ich meinen eigenen Stil haben.» Es gilt, Risikofreude auszuleben und Grenzen auszuloten. So sagte ein Teilnehmer seiner Studie, mit deren Hilfe Lönneker das Lebensgefühl der Männer zu erforschen versuchte: «Wir Männer müssen authentischer sein, wir dürfen uns den Mund nicht verbieten lassen. Ehrlichkeit ist wichtig, sonst sind wir Männer ohne Eier.» Der Männersoziologie Walter Hollstein sieht das ähnlich. «Es bräuchte mehr Männer, in allen Schichten, die bewusster für unsere Bedürfnisse einträten», sagte er dem Tagesanzeiger. «Und die Gesellschaft muss akzeptieren: Es gibt nicht nur Frauen, sondern auch Männer.» Vor allem aber müssten Männer mehr zu sich selber stehen.

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