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Lernschwäche: Wie man sie erkennt und was Eltern tun können

Vielen Kindern fällt das Lernen schwer. Manchen aber besonders – und das hat nichts mit mangelnder Motivation zu tun. Wie Eltern erkennen, ob es sich um eine Lernschwäche handelt und was sie tun können, erklärt uns Lerntherapeutin Monika Müller-Burger im Interview.

Lernschwäche: Was Eltern tun können
Bei einer Lernschwäche vergeht die Lust am Lernen. Foto: GettyImages Plus, Imgorthand

Ob als Schulkind, Jugendlicher oder Erwachsener: Lernen ist lernbar. Monika Müller-Burger ist die Co-Präsidentin des Schweizerischen Berufsverbandes der diplomierten Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten (SLTV). Sie weiss, welche Probleme Lernschwächen mit sich bringen und wie Familien damit umgehen können. 

Frau Müller-Burger, welche Lernschwächen gibt es?

Monika Müller-Burger: Es können sehr viele verschiedene Schwierigkeiten beim Lernen auftreten wie eine Lernblockade, Lernkrisen, Motivationsprobleme, Hausaufgabenprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten (ADHS), Planungs- und Organisationsschwierigkeiten, Wahrnehmungsschwierigkeiten, Leistungsängste und Mobbing.

Gibt es da Unterschiede?

Ja, sicher. Jeder Mensch hat seine Geschichte und Lernen ist immer Ausdruck der ganzen Persönlichkeit. Wie bei Stärken gibt es auch bei Schwächen verschieden starke Ausprägungen. Einige sind leicht und lassen sich durch Stärken kompensieren. Andere «behindern» das Lernen im wahrsten Sinne.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Ein Kind hat Schwierigkeiten beim Lernen. Wie erkennen Eltern das Problem?

Wenn die schulischen Leistungen nicht mehr erbracht werden können, oder zum Beispiel stundenlang gelernt wird, aber das Gelernte an der Prüfung nicht abgerufen werden kann. Dann liegt möglicherweise eine Leistungsangst vor, die wiederum zu Motivationsproblemen führen kann.

Wie wirkt sich eine Lernschwäche auf das Familienleben aus?

Eltern und Schüler erzählen immer wieder, dass Lernen und Hausaufgaben das Dauerthema zuhause sind. Wenn Eltern nicht mehr die Rolle als Eltern wahrnehmen können, sondern Nachhilfelehrer sind, dann wird das Familienleben oft problematisch und übt Druck auf jedes einzelne Mitglied aus. Häufig werden dann Beziehungsprobleme und Konflikte Teil des Familienalltags.

In welchem Alter treten diese Schwächen auf?

Die Schwäche ist schon immer da, die Frage ist, wann sie bemerkt wird. Einige Kinder zeigen schon im Kindergarten oder in der ersten Klasse Schwierigkeiten mit dem Lernen. Andere schaffen es, die Lernschwäche durch Strategien zu kompensieren. Diese Kinder fallen erst später auf. Lernschwierigkeiten können sich bis ins hohe Alter immer wieder zeigen. Insbesondere dann, wenn sich der Lernende ungeeignete Muster angeeignet hat, die ihn am erfolgreichen Lernen hindern. Dazu gehört zu einem grossen Teil fehlendes Selbstvertrauen.

Verschwinden diese Schwächen mit der Zeit?

Lernschwächen wie ADHS oder Legasthenie und Dyskalkulie verschwinden nicht einfach. Die Lernenden können jedoch lernen, damit umzugehen und trotz dieser Schwächen ihr Potential zu nutzen. Eine Lerntherapie zum richtigen Zeitpunkt kann hier sehr hilfreich sein und die Schwierigkeiten stark vermindern oder teilweise sogar beheben.

Lerntipps

In der Praxis von Monika Müller-Burger haben Erfahrungsgemäss im Allgmeinen folgende Methoden gute Ergebnisse gebracht:

Phase I = Vorbereitung

Ich lasse mir circa 5 – 10 Minuten Zeit, um alles was ich zum Lernen brauche auf das Pult zu legen. Eventuell ein Glas Wasser, Notizzettel für Gedanken, die nicht zum Lernen gehören, Handy ausschalten.

Phase II = Konzentration

Eventuell Zeituhr einstellen, um konzentriert zu lernen.

Phase III = Rückblick

Ich überlege, was ich gelernt habe und was wichtig für die Prüfung sein könnte.

An wen können sich Eltern wenden, wenn ihr Kind Schwierigkeiten beim Lernen hat?

Als Erstes würde ich die Lehrperson darauf ansprechen, beispielsweise an einem Elterngespräch. Gemeinsam können dann weitere Schritte und individuelle Massnahmen getroffen und geplant werden. Die Lerntherapie bietet einen niederschwelligen, persönlichkeitsorientierten Ansatz für Lösungen von Lernschwächen.

Und wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?

Für Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen haben, ist es umso wichtiger, dass sie auch eine unbeschwerte Freizeit geniessen dürfen. Das heisst, dass Kinder auch Zeit brauchen zum Spielen oder einfach Zeit, die sie für sich nutzen können.  

Werden Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen haben, gemobbt?  

Das kann, muss aber nicht zwingend so sein. Ich erlebe im Schulalltag auch Kinder mit Lernschwächen, die von ihren Mitschülern unterstützt werden, weil sie in eine Gruppe integriert sind, die sich Vertrauen schenkt.

Fühlen sich Kinder mit einer Lernschwäche «dumm»?       

Oft ist das leider so und das mindert das Selbstwertgefühl enorm. Es entsteht eine Negativspirale vor allem im Kopf und jedes Mal, wenn die Note wieder nicht nach den Erwartungen ausfällt, gibt das die Bestätigung  «ich bin dumm». Deshalb arbeiten wir Lerntherapeuten vor allem ressourcenorientiert und bauen auf den Stärken auf, um eine positive Entwicklung zu fördern.

Können Eltern ihre Kinder auf Lernschwäche testen?

Dies würde ich eher nicht empfehlen. Dafür gibt es verschieden Fachpersonen und Beratungsstellen, welche auf spezifische Abklärung spezialisiert sind. Eine von den Institutionen unabhängige Möglichkeit ist unter anderem eine lerntherapeutische Praxis.

Wie kann man besser lernen?

Da gibt es nicht die eine Methode. So vielfältig die verschiedenen Schwierigkeiten beim Lernen sind, so komplex sind auch die Möglichkeiten des individuellen Lernens. Lerntherapeutinnen arbeiten lösungsorientiert und entwickeln mit dem Kind und den Bezugspersonen zusammen massgeschneiderte Lösungen.

Gibt es heute mehr Kinder mit Lernproblemen als früher?      

Unsere Gesellschaft ist unbestritten leistungsorientierter. Ich denke, diese Entwicklung führt gezwungenermassen zu mehr Druck. Mehr Druck kann wiederum zu Versagensängsten führen und Ängste können Widerstand auslösen. Ein Teil der Kinder kann mit diesem Druck umgehen, andere wiederum nicht. Ausserdem liegt heute der Fokus auch viel mehr auf guten Noten und einer akademischen Laufbahn. Das vermittelt das Gefühl, dass mehr Kinder Lernschwächen haben als früher.

Die Hausaufgaben und der Druck nehmen zu – hat es einen Zusammenhang mit der Lernschwäche?         

Ich denke schon. Aber was man mit überlegen muss ist, dass heute auch viel mehr Möglichkeiten in allen Gebieten angeboten werden. Sei das mit Hobbys, elektronischen Geräten, Medien und so weiter. Langeweile ist ein Wort, das Kinder kaum mehr kennen. Genau das wäre für eine gesunde Entwicklung aber sehr wichtig.                                                                                                                           

Schweizerischer Berufsverband der diplomierten Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten

Möchten Sie mehr über die Lerntherapie erfahren? Der Berufsverband der diplomierten Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten SVLT wurde im März 1994 gegründet. Auf der Webseite lerntherapie.ch finden Sie eine Liste von ausgebildeten Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten. Diese unterstützen Menschen in schwierigen Lernsituationen und versuchen gemeinsam mit ihnen einen optimalen Lösungsweg zu finden.

Lerntherapeut/in ist kein geschützter Titel. Die Bezeichnung Lerntherapeut SVLT weist auf die Mitgliedschaft im Schweizerischen Berufsverband der Lerntherapeuten hin, der auch für eine Qualitätssicherung garantiert.

Interview: Evelyn Leemann im April 2016

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