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Offene Beziehung oder monogame Partnerschaft: Was macht glücklicher?

Viele Menschen scheitern immer wieder an der Herausforderung, eine monogame Beziehung zu führen. Ob eine offene Beziehung eine sinnvolle Alternative sein kann und wie sie in Familien auf Kinder wirkt, weiss Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler aus Zürich.

Eine offene Beziehung bedingt offene Kommunikation aller Beteiligten.
Exklusiv gibt's nicht? Wer sich für eine offene Beziehung entscheidet, sollte einige Spielregeln definieren. Foto: michaeljung, iStock, Thinkstock

Frau Disler, die meisten Menschen gehen eine monogame Paarbeziehung statt einer offenen Beziehung ein. Warum ist das so?

In einer monogamen Beziehung bestätigen zwei Menschen einander ihre Einzigartigkeit und damit verbunden ihren Wert. Das Selbstbewusstsein wird so vorwiegend von der Anerkennung dieses einen Partners abhängig gemacht. Gross ist dementsprechend die Angst vor Zurückweisung und weiter vor der Tatsache, dass jeder Mensch auf sich alleine gestellt ist. Zweisamkeit bedeutet für viele «Mit Dir bin ich nicht allein auf dieser Welt». Dieser Gedanke vermittelt eine vermeintliche Sicherheit. Das Versprechen, einander treu zu bleiben, ist der Versuch, die Angst vor der Einsamkeit zu überwinden.

Fast jede zweite Ehe wird geschieden. Warum funktionieren so viele monogame Beziehungen nicht?

Wenn ein Paar über eine längere Zeit zusammen ist, denken beide, dass sie sich in- und auswendig kennen. Auch sexuell. Viele verpassen es, sich gegenseitig upzudaten und beschränken ihren Austausch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und reden kaum noch miteinander. Sie begegnen sich nicht mehr als zwei Individuen, die sich im Leben ständig weiterentwickeln und neugierig auf den anderen sind, sondern nur noch im altbekannten «Wir». Wenn man den Mut und das Interesse nicht mehr aufbringt, sich dem anderen zu zeigen und auch etwas vom anderen zu wollen, dann besteht die Möglichkeit, dass die Beziehung stirbt.

Ist eine offene Beziehung vielleicht leichter als eine monogame Beziehung zu führen? Macht sie glücklicher?

Nein, die Balance zwischen Autonomie und Bindung zu halten, ist in jeder Beziehung eine Herausforderung. Die Krux einer offenen Beziehung ist nicht selten, dass einer der beiden Partner mehr daran interessiert ist als der andere.

Wie hoch schätzen Sie den Prozentsatz derjenigen, die eine offene Beziehung leben?

Zahlen kenne ich dazu nicht. Mein Eindruck ist, dass homosexuelle Männer vermehrt eine offene Beziehung führen als heterosexuelle Paare. Ihnen scheint es leichter zu fallen, Beziehung und Sex voneinander zu trennen. Fremdgehen empfinden sie weniger als Bedrohung für ihre Beziehung. In heterosexuellen Beziehungen scheint mir das Interesse an Sex ausserhalb der Partnerschaft bei Männern und Frauen gleich verteilt zu sein. Homosexuelle Frauen dagegen scheinen einer offenen Beziehung gegenüber eher weniger offen zu sein.

Ist das Leben mit mehr als einem Sexualpartner in der Regel eine bewusste und offene Entscheidung oder ergibt es sich durch einen zufälligen Seitensprung?

Sex mit einem Menschen zu haben, ist immer eine bewusste Entscheidung. Wer von sich behauptet, in eine Affäre «hineingeschlittert» zu sein, will keine Verantwortung für sein Tun übernehmen.

Ist es sinnvoll, seinem Partner vom Seitensprung zu berichten?

Hier gilt es abzuwägen. Der Preis der Offenheit ist hoch! Einen One Night Stand zu beichten, der die bestehende Beziehung nicht tangiert, würde den Betrogenen nicht nur unnötig sehr verletzen, sondern er bekäme zudem auch noch die Aufgabe zugewiesen, entscheiden zu müssen, ob er dem Partner verzeihen und mit ihm die Beziehung weiter führen möchte. Wenn man fremd gegangen ist, sollte man dafür auch die Verantwortung übernehmen und mit einem allfälligen schlechten Gewissen selber fertig werden. Es kann sich lohnen, genauer hinzuschauen und sich zu fragen: Was genau hat mich da zu diesem Seitensprung hingezogen? Ist es etwas, was ich in der bestehenden Beziehung vermisse? Wenn einem bewusst wird, was für Sehnsüchte einen geleitet haben, kann das eine Chance für die Beziehung sein.

Viele Paare führen ihre offene Beziehung nach dem Motto «Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss» …

Ja, und das ist nicht fertig gedacht! Nicht vorhandene Vereinbarungen können zu Unsicherheiten führen. Darf zum Beispiel ein Partner, der ahnt, dass der andere eine Affäre hat, nachfragen? Und muss der andere dann ehrlich antworten? Und was passiert, wenn das Kondom beim Seitensprung vergessen wurde? Soll der Seitensprung dann gebeichtet werden, obwohl die Abmachung besteht, nicht über ihn zu sprechen?

Welche Spielregeln sollten in einer offenen Beziehung ausserdem geklärt werden?

Ist Sex mit beiden Geschlechtern erlaubt? Darf Sex mit gemeinsamen Bekannten sein? Darf der Seitensprung am Wohnort stattfinden oder nur weit entfernt, ausserhalb der Schweiz? Welche Praktiken sind ok? Darf eine sexuelle Beziehung über einen längeren Zeitraum dauern? Wie gehen wir damit um, wenn sich ein Partner verlieben sollte? Das sind alles Fragen, die unter anderen diskutiert werden sollten.

Wie lässt sich in einer offenen Beziehung mit Verlustängsten und Eifersucht umgehen?

Eifersucht ist grundsätzlich kein schlechtes Gefühl. Sie kann signalisieren, wie wertvoll der Partner für mich ist. Wer will schon einen Partner haben, der gar nicht eifersüchtig ist? Problematisch wird Eifersucht nur dann, wenn sie so gross wird, dass sie kaum noch auszuhalten ist und zu Kurzschlussreaktionen führt. Es ist wichtig, sie genau wahrzunehmen und dann zu entscheiden, wie man sie ausdrücken möchte. Was genau will mir die Eifersucht sagen? Habe ich Angst, von meinem Partner verlassen zu werden? Vergleiche ich mich mit der anderen Person und fühle mich dabei minderwertig? Je nachdem weckt die Eifersucht aber auch wieder den Jagdinstinkt: Ich setze alle meine Qualitäten ein und erobere meinen Partner zurück! Solange man in einer offenen Beziehung weiss, dass man für den Partner die Nummer eins ist, kann man mit der Eifersucht spielerisch umgehen. Zweifelt man aber an der Loyalität des Partners, kann die Eifersucht auch ein Alarm dafür sein, dass man gerade dabei ist, seinen Platz in der gemeinsamen Beziehung an einen anderen Menschen zu verlieren.

Sollten sich Menschen in einer offenen Beziehung wenn schon nicht sexuell, dann doch immerhin emotional treu bleiben?

Ich denke, wenn man mit jemandem eine Beziehung eingeht, dann vor allem deshalb, weil man sich mit diesem Menschen emotional verbunden fühlt. Es ist jedem frei zu entscheiden, wie offen oder geschlossen er eine Beziehung leben möchte. Es gibt Paare, die in einer monogamen Beziehung leben, sich gegenseitig aber in Gedanken nicht „treu“ sind. In einer offenen Beziehung steht Loyalität vor der sexuellen Treue. Swinger-Paare zum Beispiel sind sich auf ihre Art treu und praktizieren nur miteinander und gleichzeitig mit anderen Paaren Sex. Es gibt Menschen, die mehrere Menschen gleichzeitig lieben können und verschiedene Liebesbeziehungen gleichzeitig leben, das nennt sich «Polyamorie». Das heisst, sie fahren sexuell und emotional mehrere Spuren gleichzeitig. Wenn es für alle Beteiligten so stimmt, kann auch das funktionieren.

Was bedeutet eine offene Beziehung für Kinder?

Wie Paare ihre sexuelle Beziehung gestalten, ist ihre Sache. Kinder haben nur dann ein Problem damit, wenn sie merken, dass Mama oder Papa darunter leidet. Das kann in einer monogamen Beziehung ebenso der Fall sein wie in einer offenen Beziehung. Wichtig ist für Kinder zu wissen, dass sie sich auf ihre Eltern verlassen können.

Monogame Beziehung oder offene Beziehung – welche Art der Partnerschaft ist denn normal?

Normal gibt es nicht. Stattdessen gibt es ganz viele Formen von Beziehungen. Grundsätzlich ist die Frage «Wie will ich leben?» entscheidend. Es braucht Selbstbewusstsein, sich einem anderen Menschen zuzumuten. Wenn man sich klar begegnet, ist es möglich, Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte und Neugierden frei zu äussern. Und genau daran wächst eine Beziehung, ob diese nun monogam oder offen gelebt wird.

Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler

Bettina Disler ist Paar- und Sexualberaterin mit einem Masterabschluss in Sexueller Gesundheit und sexuellem Recht FH. Sie berät Paare und  Einzelpersonen in Fragen zu Beziehung und Sexualität. Insbesondere das Herausarbeiten des individuellen sexuellen Profils sowie die Kommunikation der beiden Partner über ihre jeweiligen sexuellen Profile spielen eine zentrale Rolle in ihrer Arbeit. Zusammen mit Bettina Roth führt sie eine Praxis in Zürich.

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