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Mütter mit Magersucht: Ein Leben zwischen Scham und Sorge

Frauen, die unter Bulimie oder Magersucht leiden, stehen unter einem hohen psychischen Druck. Eine Schwangerschaft und das anschliessende Muttersein sind da oft eine starke, zusätzliche und nicht leicht zu bewältigende Belastungen, welche häufig eine Therapie erfordern. 

Magersucht und Muttersein
Magersucht erfordert oft eine professionelle Behandlung. Am häufigsten sind Töchter aus schwierigen Familienverhältnissen betroffen. Bild: Zinkevych, iStock, Getty Images Plus

Magersucht ist eine ernstzunehmende psychische Krankheit. Sie tritt häufig bei jungen Frauen auf und verleitet sie dazu, ihren Körper bis auf die Knochen auszuhungern. Bei vielen Frauen mit Anorexie spielt der Körper verrückt: Haarverlust, spröde Haut und Magenbeschwerden sind nur wenige Symptome.

Hinzu kommt, dass bei betroffenen Frauen eine Schwangerschaft aufgrund ihres starken Untergewichts ein grosses Risiko darstellt oder aufgrund eines gestörten Zyklus gar nicht erst möglich ist. Die Körper vieler Betroffener sind so dünn, dass ihr Hormonhaushalt nicht mehr richtig funktioniert und sie deshalb nicht einmal ihre Periode bekommen.

Wenn aber trotz der Krankheit eine Schwangerschaft zustande kommt, dann kann das für diese Frauen zum zusätzlichen Stressfaktor werden - in der Schwangerschaft und nach der Geburt des Babys.

Junge Frauen betroffen

Häufig erkranken junge Frauen an «Anorexie», was aus dem Lateinischen übersetzt «Appetitlosigkeit» bedeutet. Nur leiden die Betroffenen nicht an einer Appetitlosigkeit, sondern an einer nervlich-psychischen Einschränkung, mit welcher sie ihren Appetit verleugnen und sich so in die Symptome einer Essstörung reinsteigern (Anorexia Nervosa). Rund zehn Prozent aller jungen Menschen zeigen Symptome einer Magersucht und können sich kaum mehr im Spiegel betrachten. Betroffen sind vor allem Töchter aus Familien mit schwierigen Verhältnissen. 

Gefahr für Mutter und Kind: Magersucht und Schwangerschaft

Die Ursachen für Anorexie sind verschieden: Schwierige Familienverhältnisse, der Verlust eines Angehörigen und andere biologische Faktoren können eine Anorexie begünstigen. Die grösste Sünde bei magersüchtigen Menschen ist dabei, Gewicht zuzulegen und nicht dünn zu bleiben. Doch genau dies passiert bei einer Schwangerschaft. Eine normal gebaute Frau, die ein Kind austrägt, nimmt durchschnittlich zwölf Kilogramm zu. 

Schwangere Betroffene mit Magersucht quält der Gedanke, Gewicht zulegen zu müssen. Doch wer schwanger ständig Kalorien zählt und sein Essverhalten genau unter die Lupe nimmt, tut sich und dem Kind nichts Gutes und setzt es unter ein erhöhtes Risiko. 

«Wie kann ich meinem Kind ein gesundes Körpergefühl vermitteln, wenn ich selbst keines habe?»

Die 37-jährige Anna erzählt, wie sie es trotz Magersucht geschafft hat, schwanger zu werden. Sie gibt Einblick in die Gedanken und Herausforderungen, mit der sie als essgestörte Mutter täglich zu kämpfen hat.  Zum Erfahrungsbericht.

In der Schwangerschaft verändert sich der Körper einer Frau massgeblich. Er nimmt sich, was er für ein gesundes Kind benötigt und versorgt in erster Linie das Kind in der Gebärmutter. Frauen mit Essstörung fehlt dabei ein beachtlicher Teil der Nährstoffe. Der Körper der werdenden Mutter verliert an Muskelmasse und Kalzium, kann sogar Knochenschwund leiden. Das Schlimmste, was einer erkrankten Frau passieren kann: Bei der Geburt des Sohns oder der Tochter kann das Becken plötzlich brechen. Deshalb werden Kinder dieser Patienten häufig per Kaiserschnitt geboren. 

Auch nach der Geburt beeinträchtigt

Experten sind sich einig, dass Kinder von magersüchtigen Müttern bei der Geburt ein reduziertes Gewicht aufweisen und im Verlauf der ersten Lebensjahre deutlich anfälliger für Erkrankungen sind. Zudem ist davon die Rede, dass die Sterblichkeitsrate im ersten Lebensjahr von diesen Symptomen beeinflusst wird. Auch Anzeichen für einen verlangsamten Entwicklungsprozess des Kindes nach der Geburt werden häufig auf die Ursache von Anorexie in der Schwangerschaft zurückgeführt.  

Doch nicht nur Frauen mit einer vorherigen Bulimie-Erkrankung schaden ihrem Kind. Auch erkranken gesunde Frauen, welche schwanger werden, an einer Essstörung. Obwohl eine Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ganz natürlich ist, kann es passieren, dass sich die werdenden Mütter so sehr gegen diesen Gedanken sträuben, dass sie eine Magersucht entwickeln.

Schwangerschaft: Die Krankheit endgültig überwinden

Erfolgt bei essgestörten Frauen eine Schwangerschaft und die Geburt eines gesunden Kindes, heisst das nicht, dass die Krankheit überwunden ist. Wie Dr. Phil. Charlotte Wunsch vom Zentrum für Essstörungen in Ihrem Manuskript schreibt, tritt die Krankheit während der Schwangerschaft oft in den Hintergrund und die Frauen haben das Gefühl, die Erkrankung dank der Situation gesund überwunden zu haben. 

Eine norwegische Forschungsgruppe hat zu diesem Thema Tiefeninterviews mit betroffenen Frauen durchgeführt. Die Wissenschaftlerin befragte die Mütter zu ihrem Empfinden der Zeit während der Schwangerschaft. Dabei stellte sie fest, dass es geteilte Meinungen gab. Für die einen Frauen war es eine sehr schöne Zeit, für andere wiederum bedeutete die Schwangerschaft enormen Stress für den Körper.

Und genau diesem Stress sind einige Eltern und vor allem Mütter nach der Geburt des Sohns oder der Tochter auch ausgesetzt. Charlotte Wunsch erklärt die Beziehung folgendermassen: «Nach der Geburt hält dieses Gefühl an, bis in irgendeiner Form eine emotionale Überforderung eintritt: Sei dies durch Stress in sozialen Kontakten, wie z.B. mit dem Vater des Kindes, der Familie oder an der Arbeitsstelle.» Dies kann eine Ursache sein, wieder in alte Verhaltensmuster der Magersucht zu fallen. 

Magersucht-Symptome erkennen und behandeln: Hier erhalten Sie Hilfe und Beratung

Eltern mit Essstörung – Angst als ständiger Begleiter

Ein Kind bedeutet gleichzeitig auch Überforderung, Stress und für manche Mütter auch Einsamkeit. Oft fehlt Müttern die Liebe und Anerkennung des Partners, wobei das Gemüt darunter leidet. Auch daraus kann eine Essstörung entstehen. 

Mütter, die an dieser Erkrankung leiden, beeinflussen mit ihrem Verhalten auch das Essverhalten ihres Kindes massgeblich. Es fällt ihnen schwer, die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren. Gemäss Dr. Phil. Charlotte Wunsch vom Zentrum für Essstörungen haben Kinder von Eltern mit einer Essstörung meistens nicht die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse bezüglich Essen kennenzulernen und adäquat befriedigen zu lernen. Sie erfahren von ihrer Familie ein entfremdetes Essverhalten, wenn das Mami nicht am Tisch mitisst oder nach dem Essen immer zum Erbrechen ins Badezimmer verschwindet.  

Im Besonderen werden von Essstörungen betroffene Mütter häufig dadurch belastet, dass sie versuchen, diese Krankheit vor ihren Kindern zu verstecken. Das fand die norwegische Forscherin Kristine Rortveit von der Universität Stavanger heraus. Laut der Befragung herrscht bei den meisten Patienten die Angst vor, dass auch die Kinder an Bulimie oder Magersucht erkranken könnten. 

Professionelle Behandlung und Therapien

Ob nun Eltern bereits vor der Schwangerschaft unter «Anorexia nervosa» gelitten haben oder die Krankheit erst nach Geburt der Tochter oder des Sohns aufgetreten ist: Professionelle Hilfe in Form einer medizinischen Behandlung oder einer Therapie ist nie verkehrt. Bei Anzeichen einer Essstörung ist bestenfalls ein Arzt zur gesundheitlichen Aufklärung aufzusuchen. Dieser kann seine Patienten unterstützen und auch weitere Therapien oder Behandlungen veranlassen. 

Um essgestörten, werdenden Müttern besser helfen zu können, empfehlen Experten, Hebammen und Ärzte besser zu schulen. Dadurch sollen sie bei Kontrollen im Verlauf der Schwangerschaft eine Essstörung eher erkennen und entsprechend auf die Frauen eingehen können. Besonders in schweren Fällen können sie Patienten für eine Behandlung oder Therapie an einen Spezialisten für Anorexia nervosa verweisen.

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