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Gemeinsame Sorge, aber noch keine faire Betreuungsregelungen

Seit drei Jahren haben Getrennte und Geschiedene grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht. Sehen Väter ihre Kinder nun öfter? Männerorganisationen sehen positive Aspekte – üben aber auch Kritik.

Ein Mädchen hüpft über ein Himmel und Hölle-Spiel und muss sich zwischen Vater und Mutter entscheiden.
Auch mit dem automatischen gemeinsamen Sorgerecht sind Väter den Müttern noch nicht gleichgestellt. (Bildmontage*: heb)

«Die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts hatte eine grosse Symbolwirkung», findet Markus Gygli, Präsident von männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen. «Die Gesellschaft respektiert heute, dass Väter Verantwortung übernehmen.» Er spricht damit ein Thema an, das Männer jahrelang beschäftigte: Dass Väter nach einer Trennung kaum mehr Mitspracherecht bei wichtigen Fragen zu ihren Kindern hatten.

Gesetz hilft Männern aus der Rolle des Zahlvaters

Seit Juli 2014 haben nun getrennte und geschiedene Eltern grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder. Das bedeutet: Jener Elternteil, der das Kind betreut, darf in alltäglichen oder dringlichen Angelegenheiten alleine entscheiden. Entscheide über «grösseren» Themen wie Religionszugehörigkeit, Schulwechsel oder medizinische Behandlungen müssen gemeinsam getroffen werden. Um einem Elternteil das Sorgerecht abzusprechen, braucht es triftige Gründe, etwa wenn sexueller Missbrauch, Gewalt, Alkoholismus oder Vernachlässigung im Spiel sind. Dass eine Mutter das alleinige Sorgerecht bekäme, sei nur noch selten der Fall.

Damit wurde vor drei Jahren ein Zustand behoben, der von verschiedenen Männerorganisationen stark kritisiert wurde. Gemäss altem Gesetz erteilten die Gerichte das gemeinsame Sorgerecht nur auf gemeinsamen Antrag der Eltern hin. In der Regel wurde es einem Elternteil übertragen, fast immer der Mutter. Dies vor allem, weil meist die Mutter ihre Erwerbstätigkeit aufgibt oder reduziert, während der Vater für das Familieneinkommen sorgt. Viele Väter wurden somit faktisch zum Zahlvater, der seine Kinder nur noch alle zwei Wochenenden sehen darf.  

Gerichte bevorzugen trotzdem vielfach die Mutter

Doch wie ist die Situation der Väter heute, sind sie im Leben ihrer Kinder heute präsenter als vor der Gesetzesänderung? Ob das gemeinsame Sorgerecht dazu führt, dass Kinder ihre Väter mehr sehen, kann Markus Gygli nicht beantworten. Denn es werde statistisch nicht erfasst, wie viele Tage Kinder bei Vater und Mutter wohnen. «Das gemeinsame Sorgerecht bedeutet noch nicht, dass Vater und Mutter ihre Kinder auch sozusagen hälftig betreuen,» so Gygli. Heute wird mit einer sogenannten Obhutsregelung definiert, wer wie viel Betreuungszeit übernimmt.

Zwar sieht das neue Unterhaltsrecht, das Anfang 2017 in Kraft getreten ist, vor, dass die Möglichkeit der alternierenden Obhut geprüft wird, also der fair aufgeteilten Betreuung durch Vater und Mutter. Doch eine Pflicht gibt es nicht. Gygli weiss: «Die Gerichte entscheiden in Sachen Obhut sehr unterschiedlich. Noch gibt es an vielen Orten Richter, die traditionell denken und finden, dass ein Kind per se am besten bei der Mutter aufgehoben ist.»

Väter fallen aus dem Alltag der Kinder raus

Oft heisse es, mit Rücksicht auf das Kindswohl sei es am besten, wenn der Status Quo beibehalten wird: also dass die Mutter unter der Woche die Hauptversorgerin bleibt. «Der Status Quo wäre aber, dass ein Vater weiterhin im Alltag der Kinder präsent ist.» Denn viele Väter kümmerten sich bis zur Trennung morgens und abends und am Wochenende um die Kinder. «Werden sie zum Wochenendvater gemacht, fallen sie aus dem Alltag der Kinder raus.»

Zusammen mit den Väterorganisationen beobachte männer.ch die Gerichtsentscheide und versuche, Männer zu unterstützen, die um die Obhut kämpfen. «Leider gibt es noch kein Bundesgerichtsurteil, das hier als Präzedenzfall dienen könnte», sagt Gygli. Und seiner Organisation fehlten die Mittel, Männer bis vor Bundesgericht zu begleiten.

Hält sich der Vater nicht an Regeln, kommt die Polizei

Auch Oliver Hunziker, Präsident der Vereinigung für gemeinsame Elternschaft GeCoBi, sagt, dass das Sorgerecht heute «praktisch kein Thema» mehr ist. «Früher sagten die Anwälte von Vätern immer ‹Pass auf, sonst verlierst du noch das Sorgerecht›. Heute können Väter bei einer Scheidung für ihre Sache einstehen.» Sie würden nicht mehr einfach aus ihrer Verantwortung gekickt. Die Obhut werde aber leider immer noch meistens der Mutter zugesprochen.

Auch Hunziker übt Kritik an den Gerichten: «Je nachdem, wo du wohnst, werden sehr konservative Entscheide gefällt; das darf nicht sein. Es müsste eine einheitliche Grundlage geben.» Hunziker gibt aber zu bedenken, dass GeCoBi «mit den schlimmsten Fällen» konfrontiert sei und viele Eltern nach der Trennung gute Lösungen fänden.

Doch wenn die Beziehung zu den Kindern auf dem Spiel stehe, seien die Väter häufiger deutlich im Nachteil. Halte sich eine Mutter nicht an die Obhutsregelung und lasse die Kinder nicht zum Vater, werde kaum eingegriffen. «Bei einem Vater steht immer noch schneller die Polizei vor der Tür.» GeCoBi wünsche sich darum, dass das Verweigern des Kontakts konsequenter verfolgt würde.

«Alternierende Obhut müsste erste Wahl sein»

Sowohl Oliver Hunziker als auch Markus Gygli sagen, dass die Gesetzeslage eigentlich für faire Urteile ausreichen würde. Beide erwarten jedoch, dass die alternierende Obhut stärker gefördert werde und eine Mediation bei zerstrittenen Eltern Pflicht sein müsste. Gygli sagt: «Die Vorgaben müssen konkreter werden». Und Oliver Hunziker ergänzt: «Die alternierende Obhut müsste die erste Wahl sein.» Denn so könnten mehr Väter einen besseren Kontakt zu ihren Kindern haben und mehr Mütter könnten mehr arbeiten gehen. «So wären auch die Finanzen fairer verteilt.»

Infostellen für getrennt lebende Väter

(* Bilder: Violetastock, Professor25/iStock, Thinkstock)

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