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Mach ich morgen: «Aufschieberitis ist etwas zutiefst Menschliches»

Immer auf den letzten Drücker: Prokrastinieren kann Kindern schon in der Schule die Zukunft verbauen. Warum gerade sie besonders betroffen sind und wie Eltern ihre Kinder zum Lernen ermutigen, erklärt der Schweizer Psychologe Fabian Grolimund.

Prokastination kann einem viel versauen. So motivieren Sie Kinder Aufgaben nicht mehr aufzuschieben.
Je länger Aufgaben aufgeschoben werden, desto schwerer wird es sie zu erledigen. Illustration: iStock

Zur Person

Fabian Grolimund ist Psychologe und leitet die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Im Februar ist sein neues Buch «Vom Aufschieber zum Lernprofi» im Herder Verlag erschienen.


«Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen», heisst ein Sprichwort. Doch wenn es um Hausaufgaben, Vokabeln lernen und Üben für Arbeiten geht, vertagen Kinder lieber alles auf morgen. Woran liegt das?

Aufschieberitis ist etwas zutiefst Menschliches, etwas, das nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene erfasst. Sie entsteht dort, wo wir in Konflikt zwischen dem kurzfristig Angenehmen und dem langfristig Sinnvollen geraten. Kinder sind aber besonders betroffen, weil sie stärker im «Hier und Jetzt» leben.
Zudem ist die Gehirnstruktur, die sie benötigen, um Belohnungen aufzuschieben und um zu planen, Ziele zu setzen und sich selbst zu steuern, noch im Aufbau. Das alles macht es ihnen schwerer, Selbstdisziplin aufzubringen.

Eltern reagieren oft allergisch, wenn Kinder zum Aufschieben bzw. zur Prokrastination neigen.

Eltern wissen, dass es entscheidende Phasen gibt, in denen sich Kinder und Jugendliche in der Schule oder Ausbildung bemühen sollten. In diesen Phasen ist es besonders schwer, hilflos mit anzusehen, wie das eigene Kind zu spät oder gar nicht anfängt, Hausaufgaben zu machen oder sich auf Tests oder Prüfungen vorzubereiten. Eltern wollen nicht, dass schlechte Zeugnisse später einmal die beruflichen Chancen ihres Kindes einschränken.

Was ist Prokrastination?

«Prokrastination» stammt vom lateinischen Wort «procrastinare» ab, das «vertagen» bedeutet. Sie gilt als eine Störung der Selbststeuerung. Betroffene schieben Aufgaben immer wieder vor sich her. Nur wenn der Druck sehr stark ist, können sie die Arbeit angehen und beenden. So kann Prokastination zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Schule und später in der Ausbildung führen.


Was steckt hinter der Gewohnheit, immer alles aufzuschieben?

Das kann Vieles sein und sieht in jedem Einzelfall etwas anders aus. Aber einige wichtige Punkte spielen oft eine Rolle. So ist das problematische Aufschieben eng mit einem bestimmten Typ von Aufgaben verknüpft. Es handelt sich dabei um grosse Aufgaben, die viel Zeit beanspruchen und schlecht vorstrukturiert sind. Solche Aufgaben überfordern Kinder rasch. Das äussert sich in Bemerkungen wie «Es ist so viel!» oder «Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll!». Schwierig wird es, wenn Kinder gleichzeitig das Gefühl haben, noch genug Zeit zu haben.

Kinder fragen auch oft: «Warum muss ich das machen?»

Ja, viele Kinder schieben eine Aufgabe vor sich her, weil sie ihren Sinn anzweifeln. «Das ist so öde!», «Dieses Fach werde ich nach der Schule nie mehr brauchen», sagen sie dann. Doch dummerweise müssen wir alle oft Dinge tun, die wir nicht sinnvoll finden, um damit Ziele zu erreichen, die uns wichtig sind.

Hat Prokrastination auch etwas mit Persönlichkeitsmerkmalen zu tun?

Impulsiven Kindern gelingt es viel schlechter als anderen, Belohnungen aufzuschieben und genügend Selbstdisziplin aufzubringen. Werden sie dann zusätzlich mit Aufgaben konfrontiert, die schwierig und langwierig sind und deren Sinn sie nicht sehen, können sie sich kaum dazu aufraffen.
 

So können Eltern ihre Kinder motivieren

Oft hilft es, mit dem Kind gemeinsam die anstehenden Aufgaben am Wochenbeginn zu planen, einzuteilen und damit die Arbeit sichtbar zu machen. Eltern können mit dem Kind die folgenden Fragen durchgehen:

  1. Was habe ich alles auf? Welche Prüfungen stehen an?
  2. Wie lange brauche für die einzelnen Aufgaben?
  3. Welches Material benötige ich dazu?
  4. Bis wann muss was fertig sein?
  5. Wann habe ich Zeit?

Es lohnt sich, ein Magnetboard und Karteikarten zu kaufen. Dabei verwendet das Kind pro Aufgabe eine Karteikarte, auf der die Antworten auf die Fragen 1 bis 3 notiert werden.

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Nun lassen sich die einzelnen Karteikarten mit Hilfe der Fragen 4 und 5 auf der Magnettafel auf die Wochentage verteilen. Das Kind merkt, dass es einfach komisch aussieht, wenn es alle Aufgaben (Karten) auf den Donnerstag legt, nur weil es sie erst am Freitag abgeben muss. Dieser klare Plan hilft beim Einstieg. Besonders dann, wenn er nicht überladen ist und das Kind sieht, dass genügend Freizeit übrig bleibt.

Wo sollten Kinder Ihre Aufgaben am besten erledigen?

Kindern hilft es oft, wenn sie neben einem Elternteil arbeiten dürfen – wenn also die Eltern beispielsweise ihre E-Mails erledigen oder Rechnungen bezahlen, während das Kind die Hausaufgaben macht. Dabei können die Aufgaben kurz vorbesprochen werden. «Was ist die nächste Aufgabe?», «Weisst du, was du machen musst?»? Ausserdem kann ein Startsignal wie «Also los!» gegeben werden. Manchen Kindern hilft es auch, wenn sie die Hausaufgaben gemeinsam mit einem Klassenkameraden erledigen dürfen.
 

Kindern hilft es, wenn Sie die Hausaufgaben nicht allein erledigen müssen.
Zu zweit geht's besser mit den Hausaufgaben. (Bild: iStock)

Und was sollten Eltern besser nicht tun?

Alles, was die Aufgaben unangenehmer werden lässt. Dazu gehören ständiges Erinnern, Nörgeln und Diskutieren. Denn immer, wenn Eltern beispielsweise eine mühsame Aufgabe erwähnen, ohne dass diese dann gleich erledigt wird, heizen sie negative Gefühle im Zusammenhang mit dieser Aufgabe an. Ein Kind mitten im Legospiel daran zu erinnern, dass es später noch Hausaufgaben machen muss, vermiest ihm nur unnötig seine Spielzeit. Besser ist es also, das Kind nach der Schule zu fragen. «Was willst du heute Schönes machen?» und mit ihm dafür Zeit zu reservieren. Anschliessend können Sie sagen: «Und jetzt lass uns noch kurz schauen, welche Hausaufgaben du hast und wo du noch für Prüfungen lernen willst.»

Wichtig werden Prüfungen vor allem dann, wenn Kinder älter werden. Lassen sich Jugendliche auf die gleiche Weise motivieren?

Die meisten Jugendlichen haben irgendwann einmal einen Durchhänger, eine Phase, in der sie sich für die Schule und die Noten weniger interessieren und andere Themen wichtiger sind. Wenn es nicht gerade um eine kritische Phase geht, sollte das auch mal sein dürfen. Sind aber die Versetzung oder der Abschluss gefährdet, weil der Jugendliche zu spät mit dem Lernen beginnt, sollten die Eltern reagieren.
Wenig hilfreich, ja meistens sogar kontraproduktiv, sind Moralpredigten und Vorhaltungen. Jedes «Diese Arbeit schreibt sich nicht alleine, Freundchen» oder «Meinst du nicht, es wäre mal an der Zeit, anzufangen?» lädt zusätzlich zum Aufschieben ein. Das gilt gerade für Jugendliche, bei denen die Prokrastination auch eine rebellische Komponente hat.

In der Pubertät sind Eltern ohnehin als Ratgeber oft wenig gefragt.

Vor allem dann, wenn die Schule bereits ein Reizthema ist. Oft hilft es Jugendlichen, wenn sie nicht zu Hause lernen müssen. In einer Bibliothek, an der Schule, im Betrieb oder sogar in einem Café geht es oft besser als zu Hause. Nützlich ist oft auch eine Lernpartnerschaft mit jemandem aus der Klasse.

Wie können Jugendliche sich auf Prüfungen vorbereiten?

Bei grösseren Prüfungen oder schriftlichen Arbeiten ist oft ein klarer Prioritätenplan unter dem Motto «Was muss ich tun, um meine Ziele zu erreichen?» sinnvoll. Auch Mini-Deadlines strukturieren die Lernzeit. Mit Studierenden, die ihre Bachelorarbeiten aufschoben, habe ich oft kleine Ziele wie «Du bringst mir jede zweite Woche drei Seiten» vereinbart. Ausserdem habe ich ihnen regelmässig Rückmeldungen gegeben. Bei einem Jugendlichen kann vielleicht die Gotte oder ein Onkel diese Funktion übernehmen. Ich denke an eine erwachsene Person, zu der der Jugendliche eine gute Beziehung hat und die doch so viel Distanz hat, dass sie sich nicht emotional wird, wenn die Arbeit einmal nicht erledigt wurde. Stattdessen ist es hilfreich, wenn sie nachfragt: «Was fiel dir schwer? Bis wann willst du es tun? Was würde dir dabei helfen?»

So geht die Arbeit leichter: 4 praktische Tipps für Aufschieber

1 Leise Hintergrundmusik
Sie kann anregend wirken und hilft vielen Jugendlichen, den Einstieg zu finden.

2 Die Zehn-Minuten-Regel
Der Jugendliche stellt den Wecker auf zehn Minuten und legt los. Klingelt der Wecker, fragt er sich: «Möchte ich noch weitermachen oder geht es heute wirklich nicht?» Vielleicht merkt er, dass er in die Arbeit hineingefunden hat und nun nicht gleich aufgeben will. Ansonsten hat er immerhin zehn Minuten gearbeitet – besser als nichts.

3 Pausen vom «sollen» und «müssen»
Wenn grosse Prüfungen anstehen oder Arbeiten geschrieben werden müssen, könnte man ständig etwas dafür tun. Die Arbeit lauert andauernd im Hinterkopf. Das ist ermüdend. Besser ist es, für sich klare Auszeiten zu definieren, während derer nicht gearbeitet werden darf. Das könnte zum Beispiel so lauten: «Von Freitagnachmittag bis Samstagabend mache ich überhaupt nichts für die Schule – da erhole ich mich nur!»

4 Die Warum-Übung
Wann immer ein Jugendlicher denkt «Warum muss ich das tun?», kann er sich hinsetzen und die Warum-Übung machen. Dabei überlegt er sich möglichst viele Gründe, warum er die Aufgabe anpacken möchte. Anstatt zu grübeln, warum er jetzt  Französisch lernen muss, kommt er so vielleicht zum Schluss: «Ich möchte in Französisch eine genügende Note schaffen, weil ich dann meinen Lehrabschluss schaffe und dadurch auf eigenen Füssen stehe, eigenes Geld verdiene, mir eine eigene Wohnung leisten kann etc.»
 

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Buchtipp

«Vom Aufschieber zum Lernprofi» richtet vorwiegend an Studierende , die ihre Arbeiten und die Prüfungsvorbereitung vor sich herschieben. Es hält aber auch für Jugendliche, die sich auf grössere Prüfungen vorbereiten müssen, eine Menge praktischer Tipps bereit.
 

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