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Bitte, anschalten! So bekommen Kinder Medienkompetenz

Wer immer nur den Ausschaltknopf drückt, kann Kindern keine Medienkompetenz vermitteln. Warum Kinder früh mit Medien vertraut gemacht werden sollten und wie Eltern Kinder im Umgang mit Medien gut begleiten, erklärt Medienpädagogin Dr. Eveline Hipeli.

Kinder brauchen Medienerfahrung um Medienkompetenz zu erlangen.
«Damit aus Wisch- Medienkompetenz werden kann, braucht es Zeit und Begleitung.» Bild: E+

Frau Dr. Hipeli, Ihnen liegt am Herzen, dass Kinder früh mit Medien vertraut werden und Medienkompetenz erwerben. Heisst das, Kinder sollen mehr mit Smartphones spielen statt draussen im Sand wühlen?

Nein, auf keinen Fall! Kinder im Vorschul- und Kindergartenalter sollen unbedingt Primärerfahrungen machen, also Erfahrungen im direkten Kontakt mit realen Dingen: Sie sollen im Sand wühlen, Steine übereinanderstapeln, Äste sammeln, den Stift in die Hand nehmen, mit der Schere schneiden. Denn nur das Greifen führt zum Begreifen. Wir Erwachsenen sind dazu da, unsere Kinder dabei zu begleiten und sie vor grösseren Gefahren zu schützen. Auf dem Tablet erleben Kinder gewiss spassige Momente, aber in ganz jungen Jahren haben sie eher eine «Wischkompetenz». Damit daraus Medienkompetenz werden kann, braucht es Zeit und auch Begleitung.

Eltern denken oft, sie würden selbst über zu wenig Kenntnisse verfügen, um Medienkompetenz vermitteln zu können.

Manche Eltern verzichten aber selbst weitgehend auf Medien. 

Natürlich schadet es keinem Kind, wenn es die ersten Jahre ohne Filme und digitale Spiele aufwächst. Aber es wird auf diese Medien treffen, sobald es die Familienidylle verlässt. Dann ist es doch besser, wenn es bereits ein wenig vorbereitet ist. Stellen Sie sich vor, ein Kind hätte noch nie ferngesehen. Jetzt bekommt es eine Einladung zum Kindergeburtstag, in dessen Rahmen die Kinder zusammen ins Kino gehen. Dort wird das Kind angesichts der gewaltigen neuen Eindrücke völlig überfordert sein, weil es noch gar keine Vorerfahrungen mit audiovisuellen Medien hat.

Zur Person

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Dr. Eveline Hipeli ist Medienpädagogin und Kommunikationswissenschaftlerin an der Pädagogischen Hochschule Zürich mit dem Schwerpunkt Medienkompetenz für Kinder. Ihre Erkenntnisse gibt sie gerne praxisnah und realistisch an Eltern und Lehrpersonen weiter. Als Mutter von drei Kindern im Alter von 2, 5 und 8 Jahren kennt sie die Herausforderung im Umgang mit digitalen Medien.

Eltern können nicht immer kontrollieren, wann und wo ihre Kinder in der digitalen Welt unterwegs sind. Wichtig ist, dass sie nach und nach selbst lernen, mit Medien umzugehen. Wie können Eltern konkret schon kleinen Kindern Medienkompetenz vermitteln?

Eltern denken oft, sie würden selbst über zu wenig Kenntnisse verfügen, um Medienkompetenz vermitteln zu können. Aber viel wichtiger, als viele Apps zu kennen, ist es, mit dem Kind über Medienerlebnisse zu sprechen. Viele Eltern sprechen zu Hause aber nicht viel über Medieninhalte. «Jetzt stellst du das Ding aber ab», «Nur noch 15 Minuten», «Jetzt scheint die Sonne, jetzt wird nicht ferngesehen», heisst es dann nur.

Wie können Eltern sinnvoll mit Kindern über Medien sprechen?
 
Über Medien zu sprechen heisst zum Beispiel, die Gefühle ausdrücken, die bei der Mediennutzung entstehen können. Eltern können nachhaken: «Hattest du denn Angst, als der Bär das Kaninchen verfolgt hat?» «Welche Stelle fandest du lustig?» Kinder erzählen sehr gerne von ihren Medienerlebnissen! Wichtig ist auch, dass Eltern ihren Kindern erklären, warum sie nicht wollen, dass sie bestimmte Inhalte sehen. 

Kindern fällt es schwer, zwischen Inhalt und Werbung zu unterscheiden.

Wie erklären Eltern ihren Kindern, dass Filme nicht real sind?

Eltern erklären Kindern ohnehin die Welt – das ist auch im Medienbereich wichtig. Wie ist es möglich, dass Pippi Langstrumpf ein Pferd hochhebt? Wie ist es möglich, dass viele Kinder in einer kleinen Kiste verschwinden? Und ist der Dieb ein echter Dieb – oder doch nur ein Schauspieler? Je früher Eltern mit den Kindern darüber sprechen, umso früher können sie digitale Inhalte einordnen und einschätzen.

Medien sind durchtränkt mit Werbung. Wie können Kinder lernen, Werbung zu erkennen und durchschauen?

Kindern fällt es schwer, zwischen Inhalt und Werbung zu unterscheiden. Sie können aber nach und nach lernen, ein bisschen kritischer zu werden. Eltern können kleinen Kindern erklären: «Werbung macht ein Gefühl in deinem Bauch, etwas gerne haben zu wollen.» Es ist spannend, mal durchs Dorf zu laufen und Plakate anzuschauen. Was soll mit dem Plakat verkauft werden? Brauche ich das? Was passiert mit Wünschen, wenn man mal darüber geschlafen hat? Auch die Schule vermittelt Medienkompetenz. Schon Primarschulkinder können eigene Werbung machen, zum Beispiel Plakate gestalten, um den besten Kuchen der Schule zu bewerben. So lernen sie, wie Werbung funktioniert. 

Was ist Medienkompetenz?

«Medienkompetenz bedeutet, bewusst und vor allem verantwortungsbewusst mit Medien umzugehen», erklärt die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Darunter versteht man sowohl das Wissen, wie man mithilfe von Medien das Bedürfnis nach Informationen und Unterhaltung erfüllt, als auch den eigenen Medienkonsum kritisch zu hinterfragen. 

Die Kinder beobachten sehr genau, wie Eltern mit den Medien umgehen. Sie lernen an ihrem Vorbild.

Was können kleine Kinder von digitalen Medien lernen?

Kinder können einiges von Apps lernen. Das müssen nicht immer Englischvokabeln sein. Manches von dem, was sie lernen, ist für Eltern nicht auf den ersten Blick sichtbar – Problemlösefähigkeiten und Strategisches Denken zum Beispiel. Grundsätzlich denke ich aber auch, dass Apps auch mal sinnfrei und nur unterhaltsam dürfen sein. Nicht jedes Spiel muss pädagogisch wertvoll sein. Eltern, die sich für das, was Kinder begeistert interessieren, lernen neue Welten kennen.

Ab wann dürfen Kinder alleine eine App spielen?

Kinder müssen gewisse Fähigkeiten besitzen, um eine App sinnvoll nutzen zu können. Im Alter von eineinhalb Jahren hauen sie einfach auf dem Gerät herum und bemerken staunend: «Oh, das passiert was!» Etwas ältere Kinder haben dann genügend Vorerfahrung, um Spiele für die Kleinsten zu verstehen. Sie können zum Beispiel Logikaufgaben lösen und Reifen dem Auto, Käse dem Brot zuordnen.

Lesetipp!

Diese Apps sind für Kinder gut geeignet.

 App dafür! 10 empfehlenswerte Apps für Kinder

Wie finden Eltern gute Apps?

Das Angebot an Apps für Kinder ist ausgesprochen gross. Das Deutsche Jugendinstitut bietet Hilfe bei der Auswahl. Ausschliessen sollten Eltern Apps, die Kindern einen Ausflug in die Social-Media-Welt ermöglichen oder die Werbung beinhalten. Eine gute App für die Kleinen ist ausserdem so aufgebaut, dass das Spiel nach einer Weile ein Ende findet. Weil Apps mit Qualität Geld kosten, tun Eltern gut daran, einige Franken in die Hand zu nehmen. Wenn das Kind älter ist, kann es sich mit dem Taschengeld beteiligen.

Welchen Tipp möchten Sie am Ende Eltern noch mit auf den Weg geben?

Die Kinder beobachten sehr genau, wie Eltern mit den Medien umgehen. Sie lernen an ihrem Vorbild und übernehmen Verhaltensweisen. Kinder, deren Eltern beim Essen ständig aufs Handy schauen, lernen, dass ein solches Verhalten offensichtlich in Ordnung ist. Eltern, die das Smartphone als Wecker nutzen, werden wahrscheinlich Kinder haben, die ebenfalls das Handy mit ans Bett nehmen wollen. Wer dagegen selbst bewusst mit Medien umgeht und mit Kindern darüber spricht, vermittelt Kindern Medienkompetenz und einen sinnvolleren Umgang Tablet und Co.

Lesen Sie auch unseren 1.Teil des Interview mit Dr. Eveline Hipeli: Wie viel Medienkonsum tut Kindern gut?

 

Warum Medienkompetenz so wichtig ist

Schon in jungen Jahren hilft das Wissen über digitale Spiele und Filme, mit Medien umgehen zu können, ohne überfordert zu werden. Dazu gehört zu begreifen, dass Filme nicht die reale Welt widerspiegeln und Filmfiguren am Computer erschaffen oder durch Schauspieler dargestellt wurden. 

Ein Daumenkino hilft beispielsweise zu verstehen, wie Bewegung in Trickfilme kommt. Obwohl Kinder oft die Aussenwelt vergessen, während sie Medien konsumieren, können sie ausgestatttet mit Medienkompetenz Inhalte leichter verarbeiten. 

Darüber hinaus brauchen auch schon kleine Kinder Kenntnisse über Werbung und ihre Ziele, damit sie nicht zum Spielball der Konsumindustrie werden. Eltern können mit Ihren Kinder üben, Werbung zu erkennen und mit ihr umzugehen. Zur Medienkompetenz gehört auch zu lernen, wann es sinnvoll ist, abzuschalten.

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