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Hand in Hand: Wie Sie Ihrem Kind helfen, sich das Nägelkauen abzugewöhnen

Nägelkauen ist eine Angewohnheit zum Abgewöhnen. Aber das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Viele Mittel helfen wenig, weil sie nur Symptome, aber nicht die Ursachen bekämpfen. Warum Kinder an Ihren Nägeln kauen und welche Methoden Erfolg versprechen.

Wie Eltern Ihren Kindern helfen können, sich das Nägelkauen abzugewöhnen
Kinder brauchen oft die Unterstützung der Eltern, um sich das Nägelkauen wieder abzugewöhnen. Bild:


Nägelkauen ist für viele Gemüter so ekelhaft wie in der Nase zu popeln. Als Eltern schaut man sich das natürlich nicht gerne mit an. Hinzu kommt, das abgebissene und abgerissene Nägel nicht nur ungepflegt aussehen, sondern sich durch das ständige Kauen schmerzhaft entzünden können.

Trotzdem gilt grundsätzlich: Schimpfen oder strafen Sie nicht! Kinder kauen in der Regel nicht absichtlich an ihren Nägeln, schon gar nicht um ihre Eltern zu ärgern. Häufig leiden sie selbst darunter.

Aus der klinischen Psychologie weiss man, dass Nägelkauen, wie beispielsweise Stottern, Tics oder Tourette, zu den Impulskontrollstörungen gehört. Dabei sorgt eine innere Anspannung dafür, dass das impulsive Verhalten, in diesem Fall das Nägelkauen, automatisch ausgelöst wird und sich durch die ständige Wiederholung verfestigt.

Das heisst, Kinder erleben das Nägelkauen zwar bewusst mit, es lässt sich aber häufig nicht so einfach kontrollieren. Allein der Wunsch damit aufzuhören, genügt oft nicht.

Warum Kinder an ihren Nägeln kauen

Typischerweise beginnt das Nägelkauen im frühen Kindesalter, in der noch eine starke orale Fixierung gegeben ist, oder in der Pubertät, in der die seelische Belastung oft stark ausgeprägt ist. Auch spricht vieles für eine genetische Veranlagung: Denn Kinder deren Eltern selbst Nägelkauer sind oder waren, neigen eher dazu.

Wenn man Kindern das Nägelkauen abgewöhnen will, sollte man sich deshalb vor allem die Situationen anschauen, in denen das Kind die Nägel zum Mund führt. Fertigen Sie dazu am besten ein Protokoll an, so dass sich Ihr Kind über die jeweiligen Situationen und Ursachen bewusst werden kann.

Häufige Anlässe für das Fingernägelkauen sind in der Regel Stress- oder Frustsituationen. Aber auch positive Anspannung, zum Beispiel beim Filmschauen, oder Langeweile, zum Beispiel beim Warten. Beides kann für Kinder ebenfalls eine Art von Stress sein. Auch perfektionistisch veranlagte Kinder tendieren zum Fingernägelkauen. Das Nägelknabbern hilft Ihnen Druck abzubauen und wirkt entspannend. 

Für das nachhaltige Abgewöhnen sollte deshalb in der Regel der verursachende Stress reduziert oder eine andere Kompensation gefunden werden. Da sich aber Stress grundsätzlich nie ganz vermeiden lässt, ist es oft am sinnvollsten neue Stressausgleichshandlungen, sogenannte Ersatzhandlungen, an Stelle des Nägelkauens zu setzen, die keine störenden Folgen haben.

Welche Mittel gegen Nägelkauen Erfolg versprechen

Tipps zum Nägelkauen abgewöhnen gibt es viele. Die meisten sind aber nur mässig erfolgreich, weil sie nur das sichtbare impulsive Verhalten, nicht aber den inneren Impulsgeber angehen. Wir stellen die gängigsten Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Häufig kann es auch sinnvoll sein verschiedene Methoden zu kombinieren. Beispielsweise ist die Einführung von Ersatzhandlungen erfolgreicher, wenn Sie mit Belohnungen und Ermutigungen positiv verstärkt wird.

1 Bitterer Lack

Bestimmt haben Sie schon von speziellen Lackmitteln gehört, die man auf den Nagel streichen kann. Der Geschmack ist widerlich und soll das Kind vom Nägelkauen abhalten. In manchen Fällen kann diese Methode tatsächlich helfen, aber nur dann, wenn sie konsequent angewandt wird. Einige Kinder gewöhnen sich aber auch an den bitteren Geschmack oder nagen den Lack einfach ab, weil der innere Drang grösser ist. Die Methode lohnt sich deshalb vielleicht vor allem bei jüngeren Kindern.

2 Das Schönheitsversprechen

Eine andere Methode, die sich bei Töchtern anbietet, ist die Nägel zu schneiden, zu feilen und zu lackieren. So kann Ihr Kind sehen, wie schön seine Nägel sein können und hat einen Ansporn, die Nägel künftig in Ruhe zulassen. Tipp: Für Kleinkinder gibt es spezielle wasserlösliche Lacke, die keine schädlichen Stoffe enthalten.

Selbstverständlich hat diese Methode einen Haken: Nagellack für Kinder ist ein zweischneidiges Schwert. Schliesslich lautet die Message: Mit abgekauten Nägeln entsprichst du nicht dem Schönheitsideal. Man würde Kindern, die auf ihre Lippen beissen, ja auch keinen Lippenstift reichen. Andererseits: wenn es hilft, ist ein wenig Farbe auf den Nägeln vergleichsweise harmlos. Und dass abgebissene Nägel nicht schön sind, ist eine Tatsache, die ihr Kind früher oder später ohnehin spüren wird.
Unabhängig vom Geschlecht des Kindes können Sie das Kaubedürfnis reduzieren, wenn Sie die Nägel des Kindes regelmässig kurz schneiden und die Kanten abfeilen. Experten empfehlen sich täglich Zeit für die Nagelpflege des Kindes zu nehmen.

3 Belohnungen

Neutraler wäre sicher Geld als Belohnung für den Kaustopp. Für jeden nicht abgekauten Nagel, den man Ende der Woche schneiden kann, könnten Sie Ihrem Kind einige Rappen ins Sparschwein stecken. Damit die Belohnungs-Methode funktioniert, sollte das Kind aber auch grundsätzlich selbst motiviert sein, sich das Nägelkauen abzugewöhnen. So wirkt die Belohnung bestenfalls als eine positive Verstärkung einer selbst gewünschten Verhaltensänderung. Fehlt die Eigenmotivation, kann eine ausbleibende Belohnung auch schnell als Strafe verstanden werden: Wenn ich Nägel kaue, kriege ich kein Geld oder keinen Nagellack.

Lesen Sie dazu auch: Was Belohnungen in Kindern auslösen

4 Fingeryoga statt Nägelkauen

Verhaltenstherapeutisch geschulte Fachpersonen empfehlen weniger schädliche Ersatzhandlungen einzuführen, wie zum Beispiel einen Massageball in der Hand zu rollen oder einen Fidgetspinner kreisen zu lassen. Nachteil: Natürlich hat man diese Geräte nicht immer zur Hand. Im Unterricht sind sie beispielsweise verboten. Deshalb ist es besser sich mit dem Kind andere Ersatzhandlungen auszudenken. Geraten wird beispielsweise auf die Hand zu sitzen oder die Faust zu ballen. Diese Methode ist durch Verhaltenspsychologie wissenschaftlich fundiert, vielfacher erprobt und sicher einen Versuch wert. Ihr Erfolg beruht aber darauf, dass sich das Kind darauf einlässt und konsequent dran bleibt. Wie Sie mit einem Habit-Reversal-Training Schritt für Schritt Ersatzhandlungen einführen können, erklären wir hier.

5 Entkopplungstherapie

Als erfolgversprechend gilt auch die relativ junge Entkopplungsmethode des Neuropsychologen Steffen Moritz. Laut einer Studie konnte sie zumindest rund 50 Prozent der Betroffenen Linderung verschaffen. Dabei wird der Antrieb an den Nägeln zu kauen schrittweise auf eine immer andere, motorisch ähnliche Handlung umgelenkt und schliesslich ganz verlernt. Zum Beispiel werden die Finger statt zum Mund zum Hals, zum Bauch, an die Nase oder ans Ohr gelenkt. Eine Anleitung dazu, finden Sie hier. Nachteil: Für kleine Kinder ist diese Methode noch nicht geeignet.

6 Nicht daran denken

Ein häufiger Tipp von Wohlmeinenden lautet auch, einfach nicht mehr an das Nägelkauen zu denken. Tönt theoretisch gut, praktisch ist es aber gar nicht möglich, sich selbst vorzuschreiben, welche Gedanken man hat. Ein Beispiel: Sagen sie einem Hungrigen, er soll nicht ans Essen denken. Der Hunger verschwindet dadurch nicht. Und weil er immer noch hungrig ist, wird er weiter ans Essen denken. Vielleicht sogar noch mehr.

7 Ignorieren

Dieser Tipp gilt den Eltern. Nägelkauen ist in der Regel keine Krankheit, die unbedingt behandelt werden muss. Mit Überreaktionen kann man in manchen Fällen mehr Schaden anrichten. Medizinisch bedenklich wird es erst, wenn Kinder sich dabei selbst verletzen, chronisch unter Nagelbettentzündungen oder seelisch darunter leiden. In diesen Fällen sollten Sie mit Ihrem Kinderarzt sprechen und gegebenenfalls therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Ist das Nagelkauen jedoch eher eine lästige, aber harmlose Angewohnheit, lohnt es sich auch darauf zu hoffen, dass es sich mit der Zeit auswächst. Zufolge Schätzungen kauen bis zu 45 Prozent der Kinder und Jugendliche phasenweise an ihren Nägeln, unter den Erwachsenen sind es noch circa zehn Prozent.

Habit-Reversal-Training (HRT)

Wie Kinder sich mit Ersatzhandlungen Schritt für Schritt das Nägelkauen abgewöhnen

Das Habit-Reversal-Training (dt. Gewohnheitsumkehr-Training) nach N. H. Azrin und R. G. Nunn (1973), ist eine Methode aus der Verhaltenstherapie, die Sie auch zuhause ohne therapeutische Unterstützung ausprobieren können. Dabei soll das Kind dem Nägelkauen entgegenwirkende Verhaltensweisen erlernen, die ihm helfen das Nägelkauen zu kontrollieren. Weil hierzu ein gewisses Mass an Selbstwahrnehmung erforderlich ist, ist die HRT-Methode für kleine Kinder weniger geeignet. Voraussetzung ist zudem, dass das Kind selbst dazu motiviert ist und die Eltern es dabei unterstützen.

1. Selbstwahrnehmung schulen: Schreiben Sie gemeinsam mit Ihrem Kind auf, in welchen Situationen es zum Nägelkauen neigt und warum. Zum Beispiel beim Hausaufgaben machen, im Auto oder vor dem Klavierunterricht. Erst wenn das Kind, die Ursachen verstanden hat, können Ersatzhandlungen erfolgreich eingeführt werden. Wichtig dabei ist eine kindgerechte Sprache zu finden.
2. Ersatzhandlungen einführen: Sobald das Kind wieder den Drang zum Nägelkauen verspürt, soll es nun eine neutrale, ihm aber angenehme Ersatzhandlung seiner Wahl setzen. Da diese Übungen möglichst Spass machen sollte, kann ein verstärkendes Belohnungssystem hilfreich sein. Eltern sollten auch korrigierend eingreifen, wenn sie das Kind beim Nägelkauen beobachten. Damit aber eine motivierende Beziehung erhalten bleibt, sollte das Kind wesentlich häufiger für seine Bemühungen gelobt, als auf seine Fehler hingewiesen werden. Als Faustregel gilt: Loben Sie fünfmal mehr als zu korrigieren.
3. Motivation hochhalten: Damit die Ersatzhandlung wirken kann, gilt es fortwährend an der Motivation zu arbeiten. Sprechen Sie mit Ihrem Kind immer wieder darüber, warum es sich lohnt das Nagelkauen abzugewöhnen.
4. Ersatzhandlungen generalisieren: Damit sich die Ersatzhandlungen verfestigen, hilft es auch sie im Geiste zu üben. Das Kind soll sich dafür Situationen vorstellen, in denen es typischerweise die Nägel kaut. Anstelle des Kauens stellt es sich aber jetzt die Ersatzhandlung vor. Grundsätzlich sollte etwa 10 Minuten täglich geübt und die Fortschritte festgehalten werden.

Quelle: J.Margraf, S.Schneider (2009): Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 1

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