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Kaufsucht: Gefangen im Shoppingwahn

Werbung und Konsum bestimmen unser Leben: Sale, Aktion, Rabatt, neuer, besser… Und wir folgen dem Appell. Dabei quillt der Kleiderschrank längst über und die Kartons stapeln sich im Flur. Ab wann Kaufen ungesund oder zur Sucht wird.

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Shopping macht Spass. Wenn aus Einkauslust allerdings ein Kaufzwang wird, ist professionelle Hilfe nötig. Bild: Imtmphoto iStock, Getty Images

Fast fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung sind pathologisch, also krankhaft, kaufsüchtig. Das hat 2019 eine Kaufsuchtumfrage des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz ergeben. Schätzungen der Studie zufolge hat etwa jede fünfte Person in der Schweiz (also rund 21%) ein risikohaftes Kaufverhalten als Vorstufe zum Kaufzwang im realen Bereich, beim Online-Kaufverhalten sind es 11%. Doch wie lässt sich Kaufsucht erkennen und wie finden Betroffene Hilfe?

Wie sich Kaufsucht zeigt

Bei Kaufsucht, auch als Kaufzwang oder pathologisches Kaufverhalten bezeichnet, handelt es sich um eine sogenannte substanzungebundene Abhängigkeit. Sie unterscheidet sich von anderen Süchten (wie zum Beispiel Alkoholsucht) dadurch, dass nicht nach einem bestimmten Stoff verlangt wird, sondern nach der Tätigkeit, dem Einkaufen selbst. Das Gehirn von Menschen mit Oniomanie, wie Kaufsucht in der Fachsprache heißt, schüttet bei jedem Kauf Botenstoffe aus, die wie eine Belohnung oder beruhigend wirken. Dabei spielt es keine Rolle, welche Dinge gekauft werden. Innere Unruhe wird betäubt, psychische Probleme wie Depressionen und Ängste unterdrückt. Betroffene haben das Gefühl, ihr Leben im Griff zu haben.

Wie auch bei anderen Süchten entwickelt sich eine psychische Abhängigkeit: Das Gehirn verlangt mit der Zeit in immer kürzeren Abständen nach der Belohnung, Betroffene können ihr Kaufverhalten nicht mehr steuern. Der Prozess beginnt zunächst unbewusst und harmlos, er führt jedoch schnell in eine Abwärtsspirale, die mit sozialer Isolation, Kontrollverlust und häufig auch finanziellen Problemen wie hohen Schulden einhergeht.

Kaufsucht erkennen

Im Gegensatz zu Alkohol- oder Drogenabhängigkeit ist pathologisches Kaufen weniger offensichtlich. Die Betroffenen neigen dazu, ihr Verhalten zu verheimlichen, haben nach dem Kauf ein schlechtes Gewissen und ziehen sich zurück, so dass ihr Problem oftmals lange unentdeckt bleibt. 

Die Ursachen für Kaufsucht sind vielfältig, was einheitliche Kriterien für eine Diagnose schwierig macht. Mit der Bergen Shopping Addiction Scale, einem an der Universität Bergen (Norwegen) entwickelten Fragebogen, kann jeder selbst testen, ob er von Kaufsucht betroffen ist. Dabei werden Aussagen wie «Ich denke oft übers Einkaufen nach» oder «Wenn ich nichts kaufen kann, bin ich gestresst» bewertet. Auf der Skala basiert auch die aktuelle Schweizer Studie.

Kaufsucht als Krankheit

Süchte im Allgemeinen wurden lange nicht als Krankheit gesehen. Jemand, der abhängig war, galt als moralisch entgleist oder nicht willensstark genug, sich seinem Drang zu widersetzen. Heute ist stoffgebundenes Suchtverhalten in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) aufgenommen. Unter den Verhaltenssüchten ist Glücksspielsucht gelistet, pathologisches Kaufen hingegen nicht. Expertinnen wollen das ändern. Denn es gibt fünfmal mehr kaufsüchtige als etwa glücksspielsüchtige Menschen in der Eidgenossenschaft. 

Medizinerinnen haben festgestellt, dass mit der Zeit Veränderungen im Gehirn von kaufsüchtigen Menschen entstehen. Würde die Störung als Krankheit anerkannt, müssten die Kosten für eine Behandlung und Therapie nicht mehr selbst getragen werden, sondern würden von der Krankenversicherung übernommen. Bislang ist das nicht der Fall. 

Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau sind besonders gefährdet. Die Annahme, dass mehr Frauen unter Kaufsucht leiden als Männer, widerlegt die aktuelle Studie. Männer sind im Bereich Online-Shopping sogar häufiger vertreten als Frauen. Auch das Alter spielt eine geringere Rolle als gedacht: Zwar waren jüngere Menschen in der Gruppe der pathologisch Kaufsüchtigen tendenziell ein wenig häufiger vertreten, statistisch ist das Alter aber nicht ausschlagebend.

Hilfe für Betroffene und Angehörige

Für Betroffene: Am Anfang des Weges steht die Erkenntnis, dass eine Kaufsucht vorliegt. Dann führt der nächste Weg zu einer Beratungsstelle. Ein Ausstieg aus der Sucht kann zwar mit eigenen Kräften geschehen, benötigt aber häufig die Unterstützung von Fachpersonen im Rahmen einer Behandlung. Durch eine Therapie können Ursachen wie Depressionen oder Angst identifiziert und am Verhalten gearbeitet werden, damit Betroffene ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Wie auch bei substanzabhängigen Süchten ist Disziplin nötig, um nicht wieder in alte Muster zurückzufallen. Erste-Hilfe-Strategien können sein: Beim realen Shopping einen Einkaufszettel mitzunehmen und sich daran zu halten. Ausserdem nur geringe Mengen Geld einzustecken und damit zu zahlen, um eine bessere Kontrolle als bei Kartenzahlung zu haben.

Für Angehörige: Sollten Sie einen Kaufzwang vermuten sprechen Sie es offen an und weisen auf professionelle Hilfe hin. Verurteilen Sie Betroffene nicht, sondern bieten Sie Unterstützung an.

Beratungsstellen 

Im Vergleich zu den Zahlen, die die Forschenden vorlegen, gibt es nur wenige Angebote und wenig Aufklärung.
Folgende Stellen in der Schweiz bieten Beratung:

Informationen der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich 

Adressen in der Region Basel vom Gesundheitsdepartment Basel Stadt

Selbsttest zur Kaufsucht der Aargauischen Stiftung Suchthilfe 

Selbsthilfegruppen

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