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Ihr Kind mag kein Gemüse? Meins auch nicht!

Wenn kein Trick den Nachwuchs zum Gemüse essen bringt, hilft nur eines: Abwarten und Kakao trinken. Und lernen, dass auch andere Familien diese Vitamin-Flaute überstanden haben. Ein kulinarischer Befreiungsschlag von Eltern für Eltern.

Das Kinder über lange Strecken kein Gemüse essen, ist normal. Was Eltern jetzt am besten tun und vor allem lassen.
Dass Kinder über lange Strecken kein Gemüse essen, ist normal. Was Eltern am besten tun und vor allem lassen. Bild: iStock

von Linda Freutel

Bella kennen wir aus der Krippe. Und ihre Mutter macht sich Sorgen. Ihre Tochter will partout keinen Broccoli probieren. «Sie haben Glück», möchte ich am liebsten antworten. Tue ich aber nicht. Ich denke mit einfach nur: Mein Kind mag nämlich gar nichts essen. Ausser Joghurt. Himbeerjoghurt, um genau zu sein. Und zwar nur den einer bestimmten Marke. Keinen anderen. Punkt!

Keine Tricks!

Ob ich mir keine Sorgen mache, dass mein Kind nichts essen will? Natürlich mache ich mir Sorgen. Ob ich es schon mal mit lustig geschnitzten Rüeblisticks oder geschmolzener Butter über dem Gemüse probiert habe? Natürlich habe ich das. Ich habe auch sämtliche anderen Super-duper-Geheimrezepte ausprobiert, die angeblich jedes Kind zum Gemüse essen gebracht haben. Ich habe sogar schon mit dem Gemüse getanzt und gesungen, yumm-yumm gesagt, gedroht, geweint, verhandelt und getrickst. Ohne Erfolg. Mein 2 ½-jähriger Diktator hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er Himbeerjoghurt will. Morgens. Mittags. Abends.

Lassen Sie das Gemüse ruhig tanzen. Kinder freut's, aber beim Essen hilft es wenig.
Ein Gemüsetanz ist durchaus unterhaltsam, bringt aber nichts. Illustration: iStock

«Einfach» Ruhe bewahren

Und natürlich war ich auch schon beim Arzt. Die Blutwerte sind ok. Eine Laktoseintoleranz ist eindeutig auszuschliessen. Das Gewicht ist nicht wirklich hoch, aber nicht besorgniserregend. Und mein Arzt ist zum Glück auch in Ordnung. Und vor allem ist er ein Mann mit Erfahrung. Er empfiehlt: Ruhe bewahren. Die Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. Selber gesunde Sachen essen. Und nicht drüber sprechen. Und zwar mit niemandem. Und am besten auch nichts über irgendwelche Geheimtricks oder Super-Rezepte lesen. Kein Problem, denke ich. Ich lese nichts. Ich schreibe aber – und zwar hauptberuflich.

Der absolute Hungerstreik

Aber was schreibe ich nun am besten zu einem Artikel über kleine Vitaminverweigerer, die ihre Eltern an die Grenze der Verzweiflung treiben? Ausgerechnet ich. Vielleicht schreibe ich einfach, wie es mit unserem Joghurt-Junkie weitergegangen ist. Und zwar als wir in den Urlaub gefahren sind. Ich habe das Drama kommen sehen: In Südfrankreich gibt es keinen Himbeerjoghurt. Jedenfalls nicht von unserer Spezial-Marke. Und damit waren die ersten Tage im Eimer. Schlechte Laune, Geschrei und totale Essensverweigerung. Nach fast zwei Tagen einigten wir uns auf Kakao. So viel Milch habe ich in meinem Leben noch nicht aus dem Supermarkt geschleppt. Fast vier Tage lang nur Kakao. Ab und zu ein trockenes Brötchen. Es war nichts zu machen. Gar nichts.

Der Appetit kommt plötzlich

Und da sassen wir: Im Familienurlaub. Mitten in der Zwickmühle. Blieb uns nur abzuwarten – und dabei zuzusehen, wie unserem ohnehin schon schlanken Feinschmecker die Badehose vom Hintern rutscht. Wir stellen ihm also gezwungenermassen seinen Kakao vor die Nase, legen die trockene Brötchenhälfte daneben (wehe sie wurde mit einem marmeladen-verschmierten Messer geschnitten; dann war der Tag gelaufen!) – und verzweifeln innerlich, bis endlich das passiert, was keiner ausser unser Kinderarzt für möglich gehalten hätte: Unser Bocuse streckt den Arm aus, greift auf Papas Teller und beisst vom stinkendsten Käsebrot ab, das die Welt je gesehen hat.

Gelassenheit ist das beste Rezept

Vor Schreck in Bewegungsstarre gefallen, konnte ich den Moment nicht mal aufnehmen (hätte uns ja sonst keiner geglaubt). Aber wahrscheinlich ist das auch gut so: Keine Fotos. Keine besondere Aufmerksamkeit. Sondern einfach ein normales Essen zwischen Blauschimmel und Schokoladenmilch. Jedem, wie es ihm schmeckt. Inzwischen sind wir aus dem Urlaub zurück. Joghurt habe ich nicht mehr gekauft – wegen der Rückfallgefahr. Dafür ist Kakao weiterhin hoch im Kurs. Aber wenigstens nicht ausschliesslich. Unser Sohn probiert inzwischen immer mehr Sachen. Und ja, neulich war sogar Gemüse dabei; zwei Erbsen, um genau zu sein. Aber für uns ist das schon ein Erfolg. Und eine gute Perspektive.

Vor allem aber ist das Ganze eine Lehre für mich. Mein Sohn ist generell die grösste Lehre, die ich im Leben hatte. Und zwar die, dass man Menschen (egal welchen Alters) zu nichts zwingen kann – nicht mal dann, wenn es gesünder für sie wäre. Kinder sind kleine Seelen, die unsere Unterstützung, Geduld und unser Vertrauen brauchen. Vertrauen darin, dass sich viele Dinge von allein erledigen, wenn man den Druck rausnimmt. Vielleicht hilft auch Bellas Mutter diese Erkenntnis? Oder Ihnen? Gelassenheit soll ja ansteckend wirken, wenn man sie teilt.

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