Kinderernährung richtig gemacht
Wie gewöhnt man Kinder an Gemüse? Wie lernen sie ausgewogene Ernährung und gesundes Essen? Warum ist der Familientisch für Kinder wichtig? Und wieso gehören Kinder in die Küche? Antworten von der Expertin für Kinderernährung Marianne Botta Diener.
Frau Botta, Sie sind Lebensmittelingenieurin und haben sieben Kinder. Als Expertin: Wo sehen Sie die Hauptherausforderungen in der Kinderernährung?
Kinder durchlaufen verschiedene Stadien, die Eltern unterschiedliche Probleme bereiten. Besonders schwierig gestaltet sich sicher die Zeit zwischen zwei- und fünfjährig, in der die Kinder zu allem und vor allem zu Gemüse «nein» sagen. Eltern laufen Gefahr, hier viel zu schnell die Geduld zu verlieren. Viele wissen nicht, dass Kinder ungewohnte Lebensmittel zehn bis 15 Mal probieren müssen, bis sie auf den Geschmack kommen. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Kinder die Lebensmittel als normal ansehen, die sie regelmässig vorgesetzt bekommen. Nachgiebigkeit und die Einstellung, dass man das seinem Kind das nicht antun muss, können später unerwünschte Folgen wie einseitige Ernährungsgewohnheiten haben.
Kinder kopieren meistens das Essverhalten ihrer Eltern.
Gibt es einen Trick, um Kinder an Gemüse zu gewöhnen?
Von der Evolution her betrachtet bevorzugen Kinder schnell sättigende Speisen wie Kohlehydrate und Fette. Das liefert Energie, die sie zum Wachstum benötigen. Deftigere Kombinationen funktionieren auch beim Gemüse. Also Brösmeli dazu und überbacken oder in eine Teighülle einwickeln kommt gut an. Auch haben Kinder Gemüse lieber roh als gekocht. Zum Beispiel in der Form von farbenprächtigen Dips.
Neben Gemüse, gibt es noch weitere Problemfelder?
Ja, es gibt noch einige. Ein zentrales Problem aber ist, dass heute der traditionelle Familientisch mittags und abends oft zeitbedingt kaum mehr stattfindet. Das ist aus Ernährungssicht falsch, denn Kinder orientieren sich bis in der Pubertät mit Abstand am stärksten an den Eltern als engste Bezugspersonen. Sie kopieren meist ihr Essverhalten. Wenn der Familientisch nur noch am Wochenende stattfindet, fehlt dies zum einen. Zum anderen erfahren die Kinder, dass gemeinsames Kochen und Essen wenig Wertschätzung erfährt. Machtkämpfe und Esstheater am Familientisch ist eine ungeliebte Folge davon.
Ihre Familienerfahrungen und Rezepte haben sie in ein neues Buch geschrieben «Mit Kindern essen, kochen und geniessen». Sie nennen es auch mein Überlebens-Koch- und Backbuch…
Ja richtig. Ich habe es in meiner Küche entwickelt, immer neben dem Kochen. Es enthält Rezepte und Ideen für viele Alltagssituationen, etwa welche Gemüserezepte besser bei Kindern ankommen. Ich habe das Buch auch ein bisschen für mich geschrieben, damit es mein Leben erleichtert und meine Rezepte nicht mehr als Zettelchen in meiner Küche herumfliegen.
Der anfängliche Mehraufwand beim gemeinsamen Kochen mit Kindern zahlt sich am Ende aus.
Wie wichtig ist es, Kinder an der Menuplanung und am Kochen zu beteiligen?
Wichtig ist, dass die Eltern bestimmen, was es zu essen gibt. Bestimmt das Kind den Menuplan, gibt es bloss Chicken Nuggets und Pommes Frites. Bei Geburtstagen sollen Kinder wünschen. Doch sonst sollte man Lebensmittel auf den Tisch bringen, die das Kind nicht von Anfang an gern hat. Damit es die Chance bekommt, Unbekanntes kennen zu lernen. Beim Kochen sollten Kinder so oft wie möglich einbezogen werden, da dies auch gemeinsam verbrachte Zeit ist. Kindern lernen sehr viel in der Küche, nicht nur die Namen der Lebensmittel und Zubereitungsarten, sondern auch feinmotorisch. Häufig probieren sie Dinge in der Küche, die sie am Tisch nicht essen würden. Und sie sind stolz, weil sie einen Teil zum Essen beitragen können und dafür am Familientisch vor allen gelobt werden.
Macht gemeinsames Kochen mit Kindern das Kochen nicht langsamer und aufwändiger?
Doch schon. Es gibt mehr zu putzen, man braucht mehr Geduld und es kommt nicht alles so heraus, wie das der Vorstellung der Eltern entspricht. Wenn ein Kind anfängt zu helfen, kann es noch nicht alles exakt und muss seine Feinmotorik erst schulen, Aber ich denke, der Mehraufwand zahlt sich am Ende aus. Die Kinder sind die besseren Esser, sie verbringen mehr Zeit mit den Eltern. Sind die Kinder grösser, nehmen sie auch viel Arbeit ab und können einfachere Rezepte auch mal selbständig kochen. Meine Vierzehnjährige kann einen Zopf von A bis Z alleine backen. Mein Zwölfjähriger kann bereits einen Fisch mit Kräuterkruste kochen und auf den Tisch bringen.
Gibt es Nahrungsmittel, die Kinder nicht essen sollten?
Je mehr man Kindern verbietet, umso spannender wird es doch! Alkohol würde ich aber generell weglassen, weil zu wenig vom Alkohol beim Kochprozess verloren geht. Kinder haben nicht gerne bitter, sehr sauer und sehr scharf. Darauf würde ich Rücksicht nehmen, denn Kinder haben noch mehr Geschmacksknospen als Erwachsene auf der Zunge. Ich selbst finde Eistee sehr schädlich, denn Zucker und Säure greift die Zähne stark an. Zudem putscht das Teein ein Kind unter Umständen stark auf und kann es zappelig machen. Auch eine Reihe von E-Nummern, Farbstoffe, die im M&Ms und einigen Glaces vorhanden sind, können laut Studien Kinder unruhig machen.
Kinder sind auch deshalb wählerischer, weil sie noch viel mehr Geschmacksknospen auf der Zunge haben als Erwachsene.
Hyperaktivität und ADS sind heute ein grosses Problem. Kann man mit der Ernährung etwas machen und wenn ja, was?
Ja, man kann mit Ernährung viel bewirken. Es nützt aber sicher nicht in jedem Fall oder ist nicht effizient genug. Eltern, die nicht sofort zum Ritalin greifen wollen, sollten es erst mal mit der Ernährung probieren. Gewisse E-Nummern weglassen, wäre mein erster Schritt. Dann sollte das Kind auf Eisenmangel untersucht werden. Denn Studien belegen heute, dass Eisenmangel hyperaktiv und unkonzentriert machen kann. Es gibt auch die Vermutung, dass gewisse Allergien mit Hyperaktivität einhergehen. Zudem kann mit der Ernährung der Blutzuckerspiegel kontrolliert werden, so dass er über den Tag verteilt nicht mehr so hohe Ups und Downs aufweist. Zudem würde ich einem solchen Kind mehrmals pro Woche Fisch geben, wegen dem positiven Einfluss der Omega3-Fettsäuren auf die Nerven.
Kann eine eingeschränkte Ernährung wie zum Beispiel die vegetarische Ernährung sich auf Kinder ungünstig auswirken?
Ja, denn mit einer solchen Ernährung ist es schneller möglich, dass ein Kind Nährstoffmängel entwickelt. Auch ist es eine Frage, ob das Kind es überhaupt mitmacht, oder nicht im Klassenlanger und bei Schulfreunden zu den zuhause verbotenen Dingen greift. Ernährungsweisen wie vegetarisch oder vegan eignen sich nicht für Kinder. Eisenmangel und Wachstumsstörungen könnten Folgen sein.
Vier von fünf Menschen kennen eigentlich die Prinzipien für gesunde Ernährung, aber mit der Umsetzung hapert es noch ein bisschen. Aus Ihrer Sicht: woran liegt das?
Verschiedene Faktoren spielen hier eine Rolle. Viele Menschen können heute nicht mehr gut kochen und es kommen ihnen keine Rezepte in den Sinn. Wer erst kochen lernt, wenn eine Familie gegründet ist, das Baby schon da ist, hat nicht viel Zeit dazu. So gestaltet sich das Kochenlernen schwieriger. Zudem haben viele Familien in der Schweiz wirklich zu wenig Geld, um sich noch um eine gesunde Ernährung zu bemühen. Und letztlich gibt es noch den Faktor, dass man auf den Genuss nicht verzichten möchte und gesunde Ernährung eben schon mit Genussverzicht in Zusammenhang bringt. Dem ist aber ganz und gar nicht so. In meinem Buch habe ich deshalb besonders Wert gelegt auf einfache, feine und gesunde Rezepte, die bei Kindern gut ankommen. Für mich und meine Familie ist es wirklich ein Überlebens-Koch- und Backbuch.
Interview: Kathrin Fischer
Mit Kindern kochen, essen und geniessen.
Von Marianne Botta Diener.
Erschienen Juni 2009 im Beobachter Verlag,
ISBN 978 3 85569 401 3, 45.- Franken.
Siebenfache Mutter und Expertin für Kinderernährung: Marianne Botta Diener