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Wir müssen reden! Über Body Shaming und Selbstliebe nach der Geburt

Während zehn Monaten vollbringt der Körper Höchstleistungen. Kaum ist das Baby da soll er schnellstmöglich wieder so aussehen, wie vor der Schwangerschaft. Das erwarten nicht nur viele Frauen, sondern auch die Gesellschaft. Iris Lehner, Expertin für Postnatales Training, klärt auf, warum dieser Druck weder realistisch noch gesund ist. Und gibt Tipps, wie Sie Frieden schliessen mit Ihrem Körper.  

After-Baby-Body: Frau mit Dehnungsstreifen auf dem Bauch wickelt ihr Baby
Kaum ist das Baby da, soll der Körper wieder so aussehen wie vor der Schwangerschaft – aber der Körper braucht jetzt Zeit, sich zu erholen. Bild: GettyImages Plus, SanyaSM

Wenn ich Mütter nach der Geburt jeweils frage, worauf sie am wenigsten vorbereitet waren, bekomme ich grösstenteils die Antwort: Darauf, wie sich mein Körper nach der Geburt anfühlt. Und auch mir selber ging es so. Während der Schwangerschaft zeigen zahlreiche Artikel und Apps alle möglichen körperlichen Veränderungen und Beschwerden auf. Doch, wer sich über die Zeit nach der Geburt informieren will, findet fast nur Infos zur Pflege und Entwicklung des Babys.

Aber wie steht es um die Mutter? Was ist die Erwartung und wie ist es tatsächlich?

Falsche Vorstellungen und gesellschaftlicher Druck

Dass der Bauch nicht sofort wieder weg ist, kaum ist das Baby «draussen» und in der ersten Woche nicht schon wieder gejoggt werden kann, wissen viele. Aber so nach ein paar Wochen, sollte dann doch alles wieder beim alten sein, vor allem, wenn man sich bis Ende Schwangerschaft noch gut fühlte und auch noch regelmässig sportliche Aktivitäten ausgeübt wurde, oder?!

Oh, ist das zweite Kind schon unterwegs?

Diese Ansicht scheint in der Gesellschaft und auch unter Frauen stark verankert zu sein. Und deswegen müssen frischgebackene Mamis leider oft auch einiges über sich ergehen lassen. Sprüche wie: «Bist du schon wieder schwanger!?» oder «Bist du sicher, dass sie kein Baby im Bauch vergessen haben?» ein paar Wochen nach der Geburt sind leider keine Seltenheit.

Warum der Körper nach der Geburt Zeit braucht

Wenn man sich ein paar Fakten über die Schwangerschaft und Geburt ins Bewusstsein ruft, wird aber eigentlich schnell klar, dass die Erholung nicht so schnell gehen kann. Denn…

… die Bauchmuskeln werden stark gedehnt und zur Seite geschoben.

… die Gebärmutter wächst von etwa 8 cm auf bis zu 30 cm und wird etwa 2 Kilo schwer.

… die Bänder, welche die Gebärmutter halten, werden um das drei- bis vierfache gedehnt.

… bei einer vaginalen Geburt wird der Beckenboden maximal gedehnt.

… bei einem Kaiserschnitt werden die Bauchdecke und die Gebärmutter durchtrennt.

… die Plazenta hinterlässt eine Wunde von bis zu zehn Zentimeter Durchmesser in der Gebärmutter.

Der Körper erbringt in der Schwangerschaft über zehn Monate Höchstleistungen und die Geburt, egal ob vaginal oder Kaiserschnitt, ist ein Trauma, von welcher er sich erst wieder erholen muss. Die Stabilität der Körpermitte ist anfangs sehr angeschlagen. Dieses Gefühl, wenn man nach der Geburt, anstatt einen prallen Bauch, ein schwabbeliges Bäuchlein sieht, welches sich auch innen so richtig wackelig anfühlt, ist vor der Geburt unvorstellbar. Umso praller werden dafür nach der Geburt die Brüste durch den Milcheinschuss. Aber auch dies ist häufig unangenehm bis schmerzhaft und es braucht Zeit bis sich das Stillen eingespielt hat. Auch wenn man sich gegen das Stillen entscheidet, braucht der Körper Zeit, sich daran zu adaptieren. Ein paar Meter zu gehen, fühlt sich bereits wie ein Marathon an und das Baby zu tragen, ist bereits eine Höchstleistung.

Die Erholung dauert so lange wie die Schwangerschaft

Keine Sorge. Das Körpergefühl und die Leistungsfähigkeit werden mit der Zeit wieder besser, aber grob gesagt, braucht der Körper nochmals solange wie die Schwangerschaft selber, um sich zu erholen. Also ebenfalls etwa 10 Monate. Wie lange diese Phase dauert, ist aber sehr individuell und von verschiedenen Faktoren abhängig.

Neben den körperlichen Veränderungen, kommen hormonelle Umstellungen und psychische Herausforderungen dazu. Und um das Ganze noch zu erschweren, ist da ja auch noch das Baby, das Aufmerksamkeit, Zuneigung und Pflege braucht… Eine herausforderdernde und fordernde Zeit. Dabei sind Ruhe, viel Schlaf und eine ausgewogene Ernährung genau jetzt die wichtigsten Faktoren, welche die Erholung positiv beeinflussen. Sich Zeit zu nehmen, für erste Wahrnehmungsübungen, dann Rückbildungsübungen und später einen soliden Aufbau der Rumpfmuskulatur, ist gerade jetzt aber nicht immer einfach.

10 Tipps für mehr Selbstliebe und ein gesundes Körperbild

Schliessen Sie Frieden mit Ihrem Körper! Ich habe 10 Tipps zusammengestellt, Ihnen helfen können, Ihren neuen alten Körper zu akzeptieren und zu lieben.

1 Üben Sie sich in Geduld. Sie waren 10 Monate schwanger und dürfen sich nun mindestens diese Zeit geben, um sich davon zu erholen.

2 Stellen Sie sich darauf ein, dass der Bauch nicht von heute auf morgen verschwinden wird – muss er auch nicht.

3 Vergleichen Sie sich nicht mit anderen. So individuell wie die Schwangerschaft war, ist es auch danach.

4 Besorgen Sie sich passende Kleidung und setzen Sie sich nicht unter Druck, möglichst schnell wieder in die alten Kleider zu passen.

5 Holen Sie sich Unterstützung im Umfeld, damit Sie sich um sich selbst kümmern können.

6 Lassen Sie sich gerade am Anfang Zeit und warten Sie, bevor Sie wieder mit sportlichen Aktivitäten starten. Ihr Körper wird es Ihnen längerfristig danken.

7 Starten Sie mit Atem- und Wahrnehmungsübungen, absolvieren Sie eine Rückbildung und danach einen Aufbau, bevor Sie wieder mit Sport starten.

8 Fokussieren Sie sich auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung, anstatt auf irgendwelche Crashdiäten.

9 Lassen Sie sich zusammen mit Ihrem Baby fotografieren, auch wenn Sie mit dem eigenen Körper nicht zufrieden sind. Die Zeit vergeht so schnell und bald wünschen Sie sich, Sie hätten mehr Bilder von sich und dem Kind aus der Babyzeit.

10 Es ist in Ordnung, wenn Ihr Fokus jetzt nicht auf der perfekten Figur liegt und Sie sich wohl fühlen, so wie Sie sind!

Iris Lehner Training

Iris Lehner will der Coach sein, den sie vor dem ersten Kind selbst gerne gehabt hätte. Darum hat sie sich mit ihrer Firma Iris Lehner Training selbstständig gemacht. Die Pregnancy- und Postpartum-Trainerin berät Frauen rund ums Training mit Babybauch und nach der Geburt und bietet Online-Coachings und -Beratungen an. Mit Trainings wie den MomFit-Kursen will sie Freude an Bewegung wecken. Die zweifache Mutter ist selbst begeisterte Crossfitterin.

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