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Hypnose bei Kindern: Probleme mit der Kraft der Vorstellung lösen

Von der Angst im Dunkeln bis zum schweren Trauma: Die Psychologin Ina Blanc nutzt Klinische Hypnose bei Kindern, um Probleme zu lösen. Wie die Trance den jungen Patienten hilft – und weshalb dabei wirklich kein Kind die Kontrolle verliert.

Hypnose bei Kindern ist ein wirkungsvolles Mittel in der Psychotherapie.
Mit der Kraft der eigenen Vorstellung können Kinder während der Hypnose Probleme lösen. Bild: Ina Blanc

«Ein Mädchen kam zu mir, das seinen Bruder bei einem Autounfall verloren hatte. Es hatte oft Albträume und unkontrollierbare Erinnerungen an den Unfall, die immer wieder auftauchten», erzählt die Psychologin Ina Blanc. Sie hatte einen Moment lang überlegt, mit welchem Fall sie ihre Arbeit besonders gut beschreiben kann. Ihre Art, Kindern und Jugendlichen wie diesem Mädchen mit ihren Problemen oder Ängsten zu helfen, ist aussergewöhnlich – aber wirkungsvoll.

Nur acht Sitzungen hat Ina Blanc gebraucht um diesem Mädchen zu helfen, mit dem traumatischen Ereignis weiterzuleben und daran zu wachsen. Ina Blanc, Psychologin am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP) der Universität Basel, nutzte dafür Klinische Hypnose.

Wann Klinische Hypnose bei Kindern angewendet wird

Besonders häufig wendet die Psychologin Ina Blanc Klinische Hypnose bei Kindern an, wenn es um Emotionskontrolle geht, zum Beispiel bei starken Wutausbrüchen oder Ängsten. Auch Traumata behandelt sie mit Hilfe von Hypnose. Zur Leistungssteigerung, Lampenfieber oder bei Konzentrationsschwierigkeiten wendet sie ebenfalls Hypnosetechniken an.

«Ein Teil der psychotherapeutischen Arbeit beinhaltete Vorstellungsübungen im Trancezustand.  Das Mädchen konnte in der Vorstellung die schlimmen Erinnerungsbilder in eine grosse Holztruhe versorgen», erklärt sie. Die Truhe habe das Mädchen dann vergraben, den Schlüssel aber behalten und in die Schreibtischschublade geräumt.

«Die schönen Erinnerungen an und mit dem kleinen Bruder verwandelte es in der Vorstellung in farbige Perlen, die es auf einer Goldkette aufreihte. Das Mädchen stellte sich vor, wie es die Kette anzog, sodass es die wertvollen Erinnerungen immer bei sich hatte.»

Nacht acht Sitzungen konnte das Kind wieder alleine schlafen und hatte einen Weg gefunden, mit dem dramatischen Erlebnis weiterzuleben – und sogar daran zu wachsen.

Die Kraft der Vorstellung nutzen

Nicht in jedem Fall, den Ina Blanc mit Hypnosemethoden behandelt, geht es um schreckliche Erinnerungen. Sie erzählt auch von einem Mädchen, das wegen starken Lampenfiebers zu ihr gekommen sei, und von einem Kind, das seine Angst vor der Schule nach nur wenigen Sitzungen überwinden konnte.

Ina Blanc behandelt regelmässig Kinder und Jugendliche, die zum Beispiel unter Ängsten leiden, Konzentrationsschwierigkeiten haben oder ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben. Und sie tut das fast immer mit Methoden aus der Klinischen Hypnose.

Den Begriff Hypnose verwendet sie allerdings nicht gern, wenn sie über ihre Arbeit spricht. «Die Leute kennen die Schauhypnose aus dem Fernsehen. Und das ist etwas ganz anderes als das, was wir hier machen.», sagt sie. Sie spricht lieber davon, dass sie die Vorstellung ihrer Patienten nutzt, um Probleme zu visualisieren und diese Bilder konstruktiv zu verändern.

Das gängige Bild von Hypnose ist falsch

Mit Hypnose verbinden viele Menschen den Verlust jeder Kontrolle. In Filmen und Büchern wird oft ein falsches Bild von Hypnose vermittelt: Ein Mann gackert plötzlich wie ein Huhn, weil der Hypnotiseur es so wollte. Und das soll ein wirkungsvolles Mittel der Psychotherapie sein?

«In der Klinischen Hypnose behält der Patient die Kontrolle über seine Bilder, Gedanken und sein Verhalten. Für mich fühlt es sich während einer Sitzung in Klinischer Hypnose an, als könne ich mich in diesem Zustand selbst programmieren», entgegnet Ina Blanc und erklärt damit, wie medizinische Hypnose funktioniert. Nämlich ganz anders als viele glauben.

Klinische Hypnose, so sagt Ina Blanc, «ist keine Psychotherapieform per se, sondern nur eine Methode innerhalb einer Psychotherapie, die Trancezustände nutzt, um an den gewünschten Themen fokussiert zu arbeiten».

Die Trance ähnelt einer Tagträumerei

Sie vergleicht den Trancezustand mit Tagträumereien, wie sie wohl jeder kennt: Wenn man aus dem Fenster schaut oder ganz mitgerissen ist von einem guten Buch, ähnelt das einem hypnotischen Zustand.

Peter Sandor, Neurologe und Präsident der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose, betont jedoch: «Hirnstrommessungen und Bildgebungen zeigen, dass es sich bei Hypnose um einen ganz eigenen Zustand handelt.» Er bezeichnet Hypnose als einen Zustand entspannter Konzentration, in dem man sich ganz auf das konzentrieren kann, was in dem Moment wichtig ist.

Das kann man sich so vorstellen: Man befindet sich während der Hypnose nicht mehr in einem hell erleuchteten Raum, in dem man verschiedene Gegenstände sehen und sich ständig ablenken lassen kann. Der Trancezustand während der Hypnose ist laut Peter Sandor eher vergleichbar mit einem dunklen Raum, in dem man das Licht einer Taschenlampe auf das Objekt des Interesses richtet.

Im geführten Trancezustand im Rahmen einer Psychotherapie kann man also ein Problem konzentriert betrachten – und bleibt dabei völlig entspannt. «Man sieht die Dinge auf eine konstruktive und flexible Weise und betrachtet das Geschehen wie aus einer Vogelperspektive», erklärt Ina Blanc.

Hypnose bei Kindern ab vier Jahren möglich

Die Psychologin nutzt Klinische Hypnose bei Kindern gerne, um psychotherapeutisch zu arbeiten, da damit auf eine spielerische, fantasievolle Weise gewünschte Verhaltensweisen schnell eingeübt werden können, wie sie sagt. Schon bei Kindern ab vier Jahren funktioniere das.

Aber wie gelangen die Kinder in einen Trancezustand? «Es gibt gewisse Methoden, die den Trancezustand erleichtern können», sagt sie. «Ich verlangsame zum Beispiel mein Sprechtempo und spreche mit tieferer Stimme.» Und dann aktiviert Ina Blanc die Vorstellungskraft ihrer kleinen Patienten.

«Stell dir doch mal vor ...», sagt sie und lässt die Kinder in ihre Fantasiewelt eintauchen. An einen sicheren Ort zum Beispiel, an dem sie sich wohlfühlen und Zugang zu all ihren Ressourcen haben, zu all ihren Potenzialen und Stärken also, die schon in ihnen stecken, um Probleme zu bewältigen.

Später lässt sie die Kinder ein passendes Symbol dazu finden, das sie auch nach der Hypnose noch an diesen sicheren Ort erinnern wird und dieses wohlige Körpergefühl auslösen kann.

Die Kinder spielen einfach weiter

Während der Hypnose sind die Kinder laut Ina Blanc immer ansprechbar und haben die volle Kontrolle über die Situation. Einige spielen währenddessen weiter, erzählt sie, laufen im Raum herum und haben die Augen geöffnet.

Sie erzählt von einem Mädchen, das Monate lang grosse Angst hatte in die Schule zu gehen. Das Kind musste sich dort ständig übergeben, das Gefühl der Übelkeit ergriff regelrecht Besitz von ihm.

«Mit Hilfe von Hypnose hat das Mädchen schon nach ein oder zwei Sitzungen gelernt, dieses Gefühl zu kontrollieren und durch ein positives Gefühl zu ersetzen. Es konnte wieder in die Schule gehen.» Durch die Hypnosesitzungen habe das Kind Selbstvertrauen gewonnen. Es hat gelernt, dass es die Kontrolle über das, was geschieht, behalten kann.

Wenn fühlen wichtiger ist als verstehen

Aber wie wirkungsvoll kann eine Therapie mit Hypnose bei Kindern wirklich sein, wenn das Symptom verschwindet, zum Beispiel das Erbrechen, die Ursache dafür aber weiterhin unklar ist?

Ina Blanc erklärt: «Hypnosetherapie begrenzt sich nicht auf die Bedeutungsebene, sondern kann auf verschiedenen Ebenen wirken. Es kann sein, dass sich zwar die Therapeutin Hypothesen über die Ursache und Funktion des Symptoms gemacht hat, der Patient aber den rationalen Teil nicht verstehen will oder kann. Das ändert nichts an der Wirksamkeit der Hypnosetherapie, da man in der Vorstellung Gefühle in Bilder übersetzen und danach verändern kann, ohne intellektuell verstehen zu müssen, warum man diese Gefühle hat.»

Wenn die Patientin oder der Patient es wünscht, ergründet sie aber auch die Ursachen für die Probleme. «In der Hypnose geht beides», sagt sie. «Weil man dabei eine Vogelperspektive einnimmt, kann man plötzlich Zusammenhänge sehen, die vorher verborgen waren.»

So finden Sie einen geeigneten Therapeuten für Hypnose bei Kindern

Hypnotiseur ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Deshalb gibt es viele Anbieter, die keine umfassende Hypnoseausbildung haben und oft auch keine psychotherapeutische Ausbildung. Deshalb sollten Eltern bei der Wahl darauf achten, dass der Therapeut einen Fähigkeitsausweis einer anerkannten Hypnosegesellschaft hat. In der Schweiz sind das die Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose www.smsh.ch und die Gesellschaft für Klinische Hypnose Schweiz www.hypnos.ch

Es ist nicht immer einfach, Probleme nur rational und mit Worten zu lösen. Mindestens ebenso schwer ist es, die Wirkung von Hypnose in der Psychotherapie allein mit Worten zu erklären. Deshalb macht Ina Blanc zu Beginn der Sitzungen gerne eine praktische Übung mit den Eltern, die beim Erstgespräch dabei sind.

So verstehen Eltern die Hypnosetherapie

Die Mütter und Väter stellen sich dabei in die Mitte des Raums. «Winkeln Sie Ihren rechten Arm um 90 Grad an und drehen Sie Ihren Oberkörper so weit nach hinten wie Sie können», sagt Ina Blanc dann. «Weiter geht es nicht?» Der Arm schmerzt. Weiter geht es wirklich nicht.

«Gut. Merken Sie sich den Punkt an der Wand, bis zu dem Sie gekommen sind. Dann kommen Sie zurück in die Ausgangsposition. Jetzt tun Sie dasselbe in Ihrer Vorstellung. Drehen Sie sich an den Punkt Ihres absoluten Maximums. Und jetzt gehen Sie in der Vorstellung über diesen Punkt hinaus. 5 Zentimeter. 10 Zentimeter. Einfach über Ihr absolutes Maximum hinaus.»

Wenn die Drehung in der Vorstellung abgeschlossen ist, sagt sie: «Jetzt machen Sie die Bewegung in der Realität noch einmal – natürlich ohne die Füsse zu bewegen.» Und auf Anhieb überschreiten die meisten Eltern ihren ersten Versuch. «Sie haben es mental geschafft. Das war der erste Schritt», erklärt Ina Blanc und nutzt die Übung, um ihre Arbeit zu verdeutlichen: «In der Hypnose kann man Emotionen in Bilder übersetzen und diese Bilder verändern. Das hat eine unglaubliche Wirkung auf das Leben danach. Auch für mich ist das jedes Mal wieder verblüffend.»

Ina Blancs Weg zur Hypnosetherapie

Ina Blanc wendet Hypnose bei Kindern an

Ina Blanc ist aufgrund einer eigenen Erfahrung auf Hypnose als Therapieform gestossen: «Ich hatte Prüfungsangst nach einem ersten Misserfolg im Medizinstudium.» Danach hat sie das Fach gewechselt und Psychologie studiert. «Vor den Prüfungen bin ich zur Hypnose gegangen, wobei wir mit Bildern an meiner Prüfungsangst gearbeitet haben. Seitdem bin ich ganz und gar davon überzeugt.»

Ina Blanc ist Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie FSP am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie (ZEPP) an der Universität Basel und Leiterin der Weiterbildungen in Kinder- und Jugendpsychologie WB KJP. Sie hat drei Kinder.

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